BG Kritik: „Pieces of a Woman“

11. Januar 2021, Christian Westhus

Kraftvolles und schweres Drama mit „The Crown“ Darstellerin Vanessa Kirby. Bei ihrer geplanten Hausgeburt kommt es zum großen Unglück. Sie, Partner Shia LaBeouf und ihre Mitmenschen versuchen mit dem tragischen Verlust umzugehen. Forderndes Drama des ungarischen Regisseurs von „Jupiter’s Moon“, jetzt bei Netflix.

Pieces of a Woman
(Kanada, USA, Ungarn 2020)
Regie: Kornél Mundruczó
Darsteller: Vanessa Kirby, Shia LaBeouf, Ellen Burstyn, Sarah Snook, Benny Safdie
Veröffentlichung Deutschland: 07. Januar 2021 (Netflix)

Nach einem kurzen Intro, welches uns Martha (Vanessa Kirby) und Sean (Shia LaBeouf) als Paar vorstellt – er ein einfacher Arbeiter, sie eine Businessfrau aus gutem Hause – geht es zum Abend der Geburt. Eine Hausgeburt ist geplant und die Hebamme ist spät dran, während Martha sichtlich unwohl durch die Wohnung tigert. Es ist der Beginn einer 20-minütigen Sequenz ohne Schnitt, in Echtzeit eingefangen. 20 Minuten, in denen sich Vanessa Kirby nach allen Regeln der Schauspielkunst wehrt und windet, in denen sie krächzt, ächzt, stöhnt und schnauft. Mit der Ankunft der Hebamme gibt es ein heißes Bad, ein wenig Musik und dann die entscheidende Phase. Martha jault und flucht weiter, kämpft darum, ihre Tochter auf die Welt zu bringen. Doch das erwartete Glück hält nicht lange an. Am Ende blitzen die Lichter des Notarztwagens vor der Haustür. Und das alles noch vor der Titeleinblendung.

Für die längste Zeit ist „Pieces of a Woman“ ein zutiefst deprimierender und zuweilen auch frustrierender Film. Mag die Titeleinblendung für den Zuschauer noch eine Art Erlösung sein, die Martha und Sean nicht zur Verfügung steht, die diesen Moment abseits unserer Beobachtung in ganzer Konsequenz durchstehen müssen, sind wir im weiteren Verlauf doch äußerst nah dran, verfolgen und beobachten die Auswirkungen dieser Tragödie. Kann man einen solchen Verlust verarbeiten und wenn ja, wie? Nicht nur durch die Beziehung von Martha und Sean geht ein Riss, der nur unzureichend, oft passiv zu heilen versucht wird. Martha stürzt sich schnell wieder in die Arbeit; Sean ist hingegen seit über sechs Jahren drogenfrei, hat nun aber mit sich zu kämpfen. Man will angemessen Abschied nehmen, kommt in der großen Verzweiflung aber auch auf den Wunsch, dem kurzen Leben des Kindes eine Bedeutung zu geben. Marthas Mutter Elizabeth (Ellen Burstyn) nimmt Einfluss auf das Geschehen und bringt nicht zuletzt einen Strafprozess gegen die Hebamme auf den Weg. Außerdem Äpfel. Die Sache mit den Äpfeln.

© Netflix

All diese Aspekte machen den Hauptteil des Films aus. Dies könnten die Versatzstücke einer Frau sein, von denen der Titel spricht. Womöglich ist damit auch die Erzählweise gemeint, die uns in kurzen Intervallen von Szene zu Moment und zur nächsten Szene führt, oftmals mit einem Datum versehen, um das nächste Teilstück dieser Frau namens Martha zu finden. Eventuell forscht der Titel aber auch nach der Frage, was von einer Frau übrigbleibt, die auf diese Art ihr Kind verliert. Es ist vielleicht der sprichwörtliche Scherbenhaufen. Ähnlich reich an Theorie und ungenau, wenn es konkret wird, fühlt sich der gesamte Film an. Außerhalb der großen Plansequenz agiert die Kamera ruhig und gediegen, der Schnitt ist geduldig, das Tempo von schwerer emotionaler Last und winterlicher Kälte langsam. Ein zurückhaltender Howard Shore Musicscore begleitet uns und die Darsteller, insbesondere Vanessa Kirby, sind stark, in gewissen Momenten herausragend. Und doch bleibt eine gefühlte Distanz, spürt man hier und da den Hauch eines falschen Zaubers und fehlender Authentizität.

‚Ein Film von Kata Weber und Kornél Mundruczó‘, heißt es. Weber ist die Drehbuchautorin, die Regisseur Mundruczó zu seinem internationalen Durchbruch verhalf. Das parabelartige Hundedrama „Underdog“ (2014) und das verspielt-metaphorische Flüchtlingsdrama „Jupiter’s Moon“ (2017) machten den Ungarn über die Grenzen seiner Heimat bekannt. Für „Pieces of a Woman“ erhält Weber erstmalig alleinigen Drehbuch-Credit und doch sind sie und der Film von der Regie abhängig. Es ist eine Geschichte, die – mehr noch als das bei Filmen ohnehin der Fall ist – jeden Zuschauer ganz subjektiv und persönlich trifft und berührt. Dennoch kann man der Inszenierung vorwerfen, die Radikalität und Direktheit der ersten halben Stunde, mag diese zu Teilen noch so selbstgefällig anmuten, nicht wiederholen und nicht adäquat ersetzen zu können. Das Auseinanderdriften der Beziehung verläuft zu durchschaubar, ist oftmals aus den falschen Gründen unangenehm und verliert sich zuweilen in der verspielten Metaphorik Mundruczós. Dieser wollte ein Tabu brechen, die Einsamkeit einer Frau in dieser Situation ansprechen und der Hilflosigkeit Außenstehender auf die Sprünge helfen. Ein ehrenwertes Ziel, welches zweifellos den einen oder anderen guten Punkt trifft und setzt. Und doch hat man das Gefühl, allzu bald nicht viel mehr vom Film behalten zu haben als die pompöse Einstiegsszene und eine herausragende Performance von Vanessa Kirby.

Fazit:
Schwer und deprimierend, wenn auch nicht gnadenlos finster. Ein großes und herausforderndes Stück Emotionskino, welches trotz guter Darsteller und einer grandiosen Vanessa Kirby in der Hauptrolle ein wenig hinter den Erwartungen zurückbleibt.

6,5/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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