BG Kritik: „Mank“

6. Dezember 2020, Christian Westhus

Der erste David Fincher seit 2014. Gary Oldman als Herman J. Mankiewicz, realer Hollywood-Drehbuchautor, der sich 1940 aufmacht, das Script für einen gewissen Film namens „Citizen Kane“ zu verfassen. – Bei Netflix erschienen.

Mank
(USA 2020)
Regie: David Fincher
Darsteller: Gary Oldman, Amanda Seyfried, Arliss Howard, Lily Collins, Tuppence Middleton, Tom Pelphrey, Charles Dance, u.a.
Veröffentlichung Deutschland: 04. Dezember 2020 (Netflix)

Wie viel Kontext braucht ein Film? Und wie viel davon sollte der geneigte Zuschauer selbst im Vorfeld aufbringen? Eine Fragestellung dieser Art könnte bei „Mank“, der erste Film von David Fincher seit „Gone Girl“ (2014), recht schnell aufkommen. Angekündigt und lange Zeit besprochen als vage biographischer Film über Hollywooddrehbuchautor Herman J. Mankiewicz und die Entstehung des Scripts zu „Citizen Kane“, ist der Film im Prinzip auch genau das. Aber auch ein gefühltes Dutzend weitere Dinge. Das heißt für den Zuschauer, nach Möglichkeit nicht komplett unbefleckt einzuschalten, heißt für den Film aber irgendwo auch, gewisse Zusatzleistungen zu bringen. Oder eben nicht.

„Mank“ ist ein Film für Insider. Insider zum Beispiel für die Hollywoodwelt der 1930er und frühen 40er. Da führt Herman Mankiewicz, von seinen Freunden nur Mank genannt, einen Frischling durch die Schreiber-Büros bei Paramount, trifft aufberühmte Kollegen wie Ben Hecht und Charles MacArthur, ehe man sich im Büro von David O. Selznik vorstellt, der aus irgendwelchen Gründen einen gewissen Josef von Sternberg vorstellt. Man dürfte den groben Geschehnissen auch dann folgen können, wäre man mit keinem einzigen dieser Namen vertraut. Doch bald schon dürfte sich eine Frage auftun: was soll das überhaupt? Und selbst wenn man die meisten dieser Namen kennt und irgendwie irgendwo platzieren kann, ist eine Sinnfrage dieser Art nicht fern. Es hat (noch) nichts mit „Citizen Kane“ zu tun und nicht besonders viel mit unserer Hauptfigur. Es ist ein Blick auf Selbstverständnis und Arbeitsweise damaliger Drehbuchautoren, sowie auf die Denkweise eines Studiobosses, womit die Szene zwar zweifellos einen Zweck erfüllt, jedoch nicht unbedingt den benötigten Kontext rechtfertigt.

Dieses Vorgehen hat bei „Mank“ Methode. Das heißt, es hat womöglich nicht unbedingt Methode, zeigt sich aber wieder und wieder. Unsere Handlungsgegenwart entführt uns auf eine entlegene kalifornische Ranch 1940. Mank ist nach einem Autounfall hüftabwärts in Gips und soll/darf/muss nun auf Drängen von „Hollywood-Wunderkind“ Orson Welles ein gewisses Drehbuch schreiben. Mit vor Ort sind eine – wie Manks Familie – deutschstämmige Pflegerin, Sekretärin Lily Collins, sowie gelegentlich John Houseman, der zwischen Mank, Welles und dem Studio vermittelt. Mankiewicz, bis hierher überwiegend erfolgreich (aber nur bedingt berühmt und anerkannt) durch Re-Writes, ist ein Charakter mit Ecken und Kanten, der sich mit losem Mundwerk und viel Alkohol bald in einem komplexen Script verrennt, welches zunächst nur mühselig Form annimmt. Und so, wie wir in „Citizen Kann“ aus verschiedenen Richtungen chronologisch springend auf das Leben von Charles Foster Kane blicken, wirft man uns auch in „Mank“ regelmäßig vor und zurück durch Flashbacks, die Manks Leben und Karriere zwischen 1930 und 40 anreißen.

© Netflix

Von zentraler Bedeutung sind in diesen Rückblenden der einflussreiche und vermögende Medienmogul William Randolph Hearst (Charles Dance) und dessen junge Bekanntschaft Marion Davies (Amanda Seyfried), deren vermutete Liaison ein offenes Geheimnis darstellt. Hearst ist mit seinem Vermögen auch im Filmgeschäft aktiv, insbesondere an der Seite von Louis B. Mayer und MGM, wo auch Mank einst verkehrte. Hearst und Davies sind von Bedeutung, da sie zentrale Inspirationen und Vorbilder für „Citizen Kane“ waren. Oder sein werden, je nach dem „wann“ wir uns befinden. Hearst ist Kane. Auch das ist, als die erste Drehbuchfassung irgendwann erste Runden macht, ein offenes Geheimnis. Und es ist ein Problem, denn Hearst hat Geld und damit Macht. Zu dieser Zeit hat kaum jemand in Kalifornien so viel Geld wie Hearst. Auftritt Schriftsteller und politischer Aktivist Upton Sinclair (übrigens Autor der Vorlage für Paul Thomas Andersons „There Will be Blood“), der sich 1934 als Sozialist für die Demokraten zur Wahl zum Gouverneur von Kalifornien aufstellen lässt. Es sind die 1930er, Hitler wurde gewählt, Hollywood ist voller deutscher und/oder jüdischer Auswanderer, der Zweite Weltkrieg ist am Horizont schon vage zu erkennen, doch durch die amerikanische Gesellschaft ziehen auch schon antikommunistische Ressentiments. Für eine gefühlte halbe Stunde widmet sich „Mank“ dieser Wahl, den ideologischen Konflikten, den Propaganda-Werbefilmen und den tragischen Konsequenzen. Mit „Kane“ hat auch das nur bedingt zu tun.

All diese Facetten sind spannend und – in richtiger Dosierung – wichtig, doch sie lassen den Film auch ziellos erscheinen, ihn aus- und abschweifend wirken, überfrachtet, womit er seine Seetüchtigkeit einbüßt. Andere Facetten, wie zum Beispiel die personelle „Kleinigkeit“ namens Orson Welles, kommen hingegen auffällig kurz. Fast scheint es, als wollte „Mank“ eine Miniserie werden. Oder aber es hätte einen gewissen Feinschliff am „Mank“ Drehbuch (spätestens beim Schnitt) geben müssen, um sich aufs Wesentliche zu fokussieren. Mankiewicz selbst liefert seine erste Fassung schließlich auch auch als 200+ Seiten Wälzer ab, der noch einige Veränderungen durchmachen sollte, ehe daraus „Citizen Kane“ wurde. Doch auch für Regisseur David Fincher ist das Drehbuch eine Besonderheit, die er vermutlich nicht „einfach so“ auseinandernehmen und neu zusammensetzen wollen würde. Als Drehbuchautor zeichnet sich nämlich Jack Fincher verantwortlich, der 2003 verstorbene – und nicht als Drehbuchautor bekannte – Vater von David.

David Fincher selbst inszeniert „Mank“ als visuelle Wucht. Obwohl ein augenscheinlich „simpler“ Film, der überwiegend Menschen im Dialog innerhalb von geschlossenen Räumen zeigt, ist die gestalterische Größe oftmals erschlagend. Von einem zurückhaltend filmdienlichen Trent Reznor/Atticus Ross Score unterstützt, erstrahlt „Mank“ in atemberaubendem Schwarzweiß, mit lebendiger Kamera und einem gewohnt kühnen Schnitt. Das wirkt – obwohl es eigentlich genau das bezwecken sollte – nicht unbedingt total authentisch wie ein Hollywoodfilm der 1940er, doch stark und sehenswert ist es zweifellos. Gary Oldman ist in der turbulenten Hauptrolle heißblütig dabei, immer im Gefahrenbereich, die Emotionen Manks zu überspielen. Den passenden Ton zwischen moderner Überzeichnung, klassischer Manierismen und verborgener Abgründe trifft insbesondere Amanda Seyfried als Marion Davies, deren Figur man eigentlich nur noch einen runderen Abgang aus dem Film gewünscht hätte. Aber so etwas passiert eben, versucht ein Film zwei Dutzend kompliziert verknüpfte, über doppelte Meta-Ebenen abstrahierte und historisch beeinflusste Geschichten gleichzeitig zu erzählen. Das ist zweifellos ambitioniert und reizvoll, ja oft umwerfend gut, jedoch nicht immer so rund wie es sein könnte. Oder müsste.

Fazit:
David Finchers langerwarteter neuer Film „Mank“ ist ein überfrachtetes Halbmeisterwerk. In Ansätzen großartig, inszenatorisch eine Wucht, aber auch ziellos und ausufernd. Eher verkopft als inspirierend. Kein Film für den Zuschauer, für den die Welt des Klassischen Hollywoods Neuland darstellt.

7/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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