BG Kritik: „Solo – A Star Wars Story“

25. Mai 2018, Christian Westhus

Wie wurde Han Solo zu einem der größten Schmuggler des Universums? Wie lernte er Chewbacca kennen? Wie kam er an den Millennium Falcon? Das und mehr im neuesten Abenteuer vor langer Zeit in einem weit entfernten Universum.

Solo: A Star Wars Story
(USA 2018)
Regie: Ron Howard
Darsteller: Alden Ehrenreich, Emilia Clarke, Donald Glover, Woody Harrelson u.a.
Kinostart Deutschland: 24. Mai 2018

Ein Franchise ist wie Saturn, er frisst seine eigenen Kinder.

Anders als Göttervater Saturn bzw. sein griechisches Original Kronos fürchtet das Star Wars Filmgeschäft nicht, von seinen Kindern abgesetzt und ermordet zu werden. Und doch hat man beim Disney’schen Neustart/Fortlauf des Star Wars Universums mehr denn je das Gefühl, die Urgestalt der Filme untergrabe jeden Versuch der Neuerung. Soll heißen: Während die neue Kerntrilogie langsam, aber sicher (und in Teilen ungewollt) die drei Ikonen des originalen „Alten“ verabschiedet, sind die vermeintlich unabhängigen Spin-Offs, die so genannten Star Wars Storys, fest verbunden mit oder gar gefangen im Ursprung des Franchises. „Rogue One“ war letztendlich weniger ein Rebellionsabenteuer vor dem Hintergrund der alten Filme, sondern vielmehr eine Episode 3½; das Zwischenkapitel, um George Lucas‘ erste und zweite Trilogie noch direkter miteinander zu verbinden. Nun also die Jugend- und Schicksalsjahre von Han Solo und darin Dinge, die jeder Zuschauer für sich selbst beantwortet hatte und nie kanonisiert in Filmform sehen wollte. Insbesondere dann nicht, wenn die Antworten und Lösungen derart einfallslos sind. Es gilt den Sicherheitsgurt anzulegen, wenn die Bedeutung von Han Solos Familiennamen geklärt wird.

Niemand braucht diesen Film; nicht wirklich jedenfalls. Niemand, bis auf Disney. Der Maus-Konzern ist zwar ohnehin nicht in Geldnot und hat die rund 4,5 Milliarden US-Dollar, die man an George Lucas überwiesen hatte, schon längst wieder eingefahren, doch mit Star Wars, den gigantischen Werbepartnerschaften, den Spielzeugen und den aufgemotzten Freizeitparks kann ja nun noch mehr Geld gemacht werden. Natürlich nur, solange die Marke heiß ist. Die neue Trilogie um Rey und Finn wird nicht nach drei Filmen enden, es soll TV-Serien und weitere Filme geben, mehr als die Hälfte davon mit bereits bekannten Figuren im Zentrum . Bei Disney kann und will man der Vergangenheit nicht entkommen. Das liegt zum Teil auch an den Fans, die Rian Johnsons unbestreitbar radikalen (für Star Wars Verhältnisse) Versuch der Neuerung – gemeint ist „The Last Jedi“ – hier und da mit wütendem Protest quittierten. Da ist es kaum überraschend, dass man bereit war, eine Figur wie Han Solo zu opfern. Und es ist wahrlich eine Opferung. Jeder kennt und liebt den sympathischen Haudegen, Schmuggler und Schwerenöter, den Harrison Ford mit seinem geballten „Indiana Jones“ Charme zu einer Filmfigur für die Geschichtsbücher werden ließ. Han Solo war nicht übermäßig komplex, war vielleicht nicht einmal eine wirklich Figur, dafür aber einfach unwiderstehlich charismatisch. Durch „Solo“ gewinnt Han nichts hinzu. Im Gegenteil.

Wenn diese Kritik bisher ausgesprochen wenig zum eigentlichen Film zu sagen hatte, gibt es dafür zwei Gründe: Einerseits kann Disneys massives und mitunter rabiates Vorgehen nicht einfach verschwiegen werden. Und andererseits ist „Solo“ im besten Fall ein netter, unterhaltsamer Film, den man alsbald schon wieder vergessen hat. Erschwerend kommen die Probleme hinter den Kulissen hinzu. Mehr noch als bei „Rogue One“ griff die Produktionsexekutive ein, ließ das Regie-Duo Phil Lord/Chris Miller inmitten der Dreharbeiten entfernen und engagierte Ron Howard, um gnädig geschätzte 80% des Films neu zu drehen. Ron Howard, ein zweifellos fähiger, aber auch ausdrucksarmer Regisseur, ist das perfekte Miniaturbeispiel für Disneys Retro-Handhabe, spielte er doch eine Hauptrolle – u.a. an der Seite eines blutjungen Harrison Fords – in „America Graffiti“ und ist seitdem mit George Lucas eng befreundet. Howard sollte nicht nur einen Film, sondern auch den Franchise retten bzw. auf Kurs halten. So ist „Solo“ dann erwartungsgemäß ein routiniert inszenierter, sicherer und auch kalkulierender Film, ohne echte Finesse gedreht, den man problemlos anschauen kann, der aber ähnlich problemlos auch zu einem frustrierenden Erlebnis werden kann. Denn „sicher“ heißt hier schnell „austauschbar“.

© Disney / Lucasfilm

Zu Beginn des Films ist Han noch einfach nur Han, ist ein junger Mann Anfang 20 (wenn überhaupt) und mogelt sich mit Freundin Qi’ra (Emilia Clarke) auf dem vom Imperium besetzten Planeten Corellia als Taschendieb und kleiner Schmuggler durch. Dann schlägt das Schicksal zu und Han springt abwechslungsreich, aber immer irgendwie teilnahmslos von einer Station zur nächsten Gruppe zum neuen Ort zur nächsten Actionszene. Obwohl dieser Film eigentlich kaum wirklich Neues zu erzählen hat, geht alles reichlich schnell. Neue Figuren werden vorgestellt, sind uns für einen Augenblick präsent und scheiden dann wieder unrühmlich aus der Handlung aus, da wir irgendwo auch noch Chewie, Lando und den Falken unterbringen müssen. Han ist in seinem Solo-Abenteuer (Verzeihung!) fast erwartbar die uninteressanteste Figur, die hier mit dem Gesicht von Alden Ehrenreich auftritt. Für den jungen Schauspieler ist es die womöglich undankbarste Rolle des Jahrzehnts, eine, mit der er nur verlieren kann, egal wie gut seine Leistung auch sein mag. (Seine Leistung ist okay.) Wir wissen alles Relevante über Han, wissen davon, dass George Lucas die Längeneinheit Parsec für eine Zeitangabe hielt, und können uns den Rest denken. Umso bedauerlicher, dass das Drehbuch von Vater und Sohn Kasdan keinerlei Fantasie bei der Aufarbeitung des Bekannten zeigt. Han lernt Chewbacca kennen und innerhalb von Sekunden ist ihre Entwicklung abgeschlossen, befinden wir uns auf dem bekannten Level und damit wieder beim Status Quo. Ja, wir wissen, dass beide langjährige Freunde sein werden, doch warum der Weg dorthin nicht konfliktreich und damit spannend sein darf, erschließt sich nicht.

Schauspieler und Musiker Donald Glover ist als Lando Calrissian perfekt besetzt und spielt den smoothen Umhangträger genüsslich zwischen liebevoller Hommage und Karikatur. Das funktioniert, da Lando keine wirkliche Figur zu sein braucht (und auch nie war). Er soll Erinnerungen an Vergangenes wecken, was funktioniert. Also müssen es die Neuzugänge richten. Es ist leicht zu sehen, was mit Tobias Beckett (Woody Harrelson) möglich gewesen wäre, dem väterlichen und doch abweisenden Anführer einer Gruppe Outlaws. Während Hauptantagonist Drydon Vos (Paul Bettany) ein interessantes Hautproblem hat und ansonsten nur den Quasi-Jabba für Emilia Clarkes Quasi-Leia gibt, haben wir zwischen Han und Beckett ein paar „echte“ Momente, die unser Verständnis von Han tatsächlich bereichern könnten. Dass es nicht funktioniert, liegt nicht zuletzt daran, dass Beckett schnell in die zweite oder gar dritte Reihe rückt, wenn Lando, seine Robotergehilfin L3-37 (im Original gesprochen und gespielt von Phoebe Waller-Bridge) und der Falke ins Spiel kommen. Und damit erfährt Beckett noch ein besseres Schicksal als seine Teammitglieder. In einem besseren Film könnte man darüber jubeln, dass L3-37 nicht nur wahnsinnig unterhaltsam ist, sondern in (für SW Verhältnisse) interessante KI-Bereiche vorstößt, ehe auch sie vom rastlosen Plotting des Films überholt wird. Dann geistert im Hintergrund noch Pirat Enfys Nest herum, der es besonders auf Beckett abgesehen hat. Doch die Begegnungen der zweiten Filmhälfte verpuffen, da ihr Ausgang bekannt ist und es an Raum zur wirkungsvollen Entfaltung mangelt. Bleibt Qi’ra, die nicht nur neu ist, sondern durch einen Zeitsprung auch direkt mit einer geheimnisvollen Aura und undurchsichtiger Vertrauensbasis ausgestattet ist. Dieses potentielle Misstrauen kommuniziert Emilia Clarke ausgesprochen gut, doch auch sie, wie sämtliche Figuren, ist im Kernabschnitt des Films, wenn eine Sache beschafft und transportiert werden soll, nur passive Akteurin in einem flachen Abenteuer.

Das ist dann, abseits der unrühmlichen Verschwendung einer beliebten Figur, das frustrierende Element dieses Films und des Großteils der bisherigen Disney Star Wars Ära. Diese Filme sind mit einer technischen und finanziellen Gewalt (Macht?) ins Leben gerufen, die man unweigerlich auf der Leinwand sieht. Obwohl Bradford Youngs Kameraarbeit insbesondere im ersten Drittel einige matschig-unübersichtliche Passagen durchschreitet, ist auch dieser Star Wars Film erneut eine prall gefüllte Design Wundertüte, mit einigen der originellsten und schlichtweg schönsten Kreaturen und Kostümen der gesamten Reihe. Ron Howard ist verglichen mit Johnson, JJ Abrams und Gareth Edwards („Rogue One“) der visuell bescheidenste Regisseur und dennoch ist es unterhaltsam, seine technische Routine, wundervolle Designs und finanzielle Schlagkraft in Actionszenen vereint zu sehen. Die Musik kann und muss natürlich vertraut klingen und leistet sich dabei einen unverzeihlich katastrophalen Fehler, doch auch hier gibt es wunderbare Nuancen zu entdecken, wenn sich beispielsweise ein an „Ghost in the Shell“ erinnernder Chor zwischen bekannte Star Wars Melodien mischt. All das könnte eine grandiose Zeit im Kino garantieren, wären diese Elemente nicht Strohfeuer in einer gleichermaßen überfrachteten wie (fast) leeren Handlung mit überwiegend flachen Figuren. Die Versuche sind zu erkennen, wie man Han Solos Anfängen ein thematisches Schleifchen verpassen will, wie man immerhin einen klaren Punkt zum Charakter zu machen versucht. Doch „erkennbar“ heißt noch lange nicht, dass wir daran mitfiebern, mitfühlen oder noch lange nach Filmschluss drüber nachdenken. Ähnlich wie jüngst im anderen großen Disney Franchise, am Ende von „Infinity War“, wurde in der Theorie einiges richtig gemacht, doch die emotionale Suggestion ist größer als der Ertrag. In beiden Fällen legt Disney größeren Wert auf die Fortführung des jeweiligen Franchises; auf der einen Seite durch eine unfertig erzählte Geschichte und auf der anderen Seite durch plump-dreiste Andeutung weiterer Spin-Offs und Fortsetzungen. So frisst der Franchise seine eigenen Kinder, wenn selbst ein Han Solo nur der Zündstoff für die Hochöfen der Gelddruckmaschinerie ist.

Fazit:
Fraglos unterhaltsam und technisch reizvoll umgesetzt. Doch Handlung, Figuren und Filmwelt wollen nie wirklich lebendig werden. Vieles ist bereits bekannt und im Werdungsprozess mutlos erzählt, verhindert zudem die Möglichkeit, dass sich das Neue frei entfalten kann.

5,5/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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