BG Noirvember Kritik: „L.A. Confidential“

28. November 2020, Christian Westhus

Der Noirvember wird schwarz. Über den November verteilt stellen wir euch einige der besten und spannendsten Werke des Film Noir vor. Die Schwarze Serie Hollywoods: Schnüffler, Mörder und Betrüger, Femmes Fatales, dunkle Schatten und Zigarettenqualm. Den heutigen Abschluss der Reihe macht ein oscarprämierter Neo-Noir mit Starbesetzung: Curtis Hansons „L.A. Confidential“ (1997).

L.A. Confidential: Jeder hat seinen Preis
(Originaltitel: L.A. Confidential | USA 1997)
Regie: Curtis Hanson
Darsteller: Russell Crowe, Guy Pearce, Kim Basinger, Kevin Spacey, u.a.
Kinostart Deutschland: 04. Dezember 1997

Der Neo-Noir. Kaum ein Filmemacher der 1940er und 50er wird sich jemals bewusst gesagt haben, gerade an einem Film Noir zu arbeiten. Spezifische Genrebegriffe wie dieser (oder z.B. auch der italienische Giallo) entstehen von außen und oft nachträglich. Auch „Neo-Noir“ ist ein solcher Begriff. Und dennoch agiert Curtis Hansons „L.A. Confidential“ (nach dem 1990er Roman von James Ellroy) mit dem neuzeitlichen Bewusstsein was ein Noir ist bzw. war. In einem halben Jahrhundert hat sich so manches verändert, ganz unerheblich, ob dieser Film nun 1953 spielt oder nicht. „L.A. Confidential“ hätte man Anfang der 2000er „retro“ genannt, reproduziert Look, Stimmung und Attitüde eines klassischen Krimis der damaligen schwarzen Serie, ist aber unbestreitbar post-modern. Die Kamera gleitet elegant, die Farben leuchten expressiv, ohne künstlich zu sein, die Kostüme sind authentisch, die Frisuren vielsagend und Jerry Goldsmiths schwermütige Musik macht den permanenten Begleiter für diesen Trip in die Stadt der Teufel, wie Ellroys Roman im Deutschen heißt. Es ist alles ganz klassisch, ganz retro, aber auch ganz entschieden nicht.

Im Zentrum dieser Genre-Auseinandersetzung steht der Umgang mit der Kriminalität, der Korruption, der großen Finsternis, die halb Los Angeles zu verschlingen scheint. „L.A. Confidential“ wagt sich daran, systemische Ursprünge und Erklärungen für die großen kriminellen Machenschaften zu finden. Sozial und politisch verinnerlichter Rassismus ist eine solche Erklärung. Es sind die 1950er. Die Hochphase der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung hatte kaum wirklich begonnen. Eine rassistisch motivierte Prügelei innerhalb des Polizeireviers bringt den Stein dieser Geschichte ins Rollen. Kurze Zeit später werden drei junge Afroamerikaner als Täter eines grausigen Sechsfachmordes ausfindig gemacht. Konservative Moral und Sitten sind ein weiteres Fundstuck. Er sei „weder queer noch rot“, beschreibt Schmierblattjournalist Sid Hudgens (Danny DeVito) einen Politiker und meint damit, es sei nichts Verwerfliches an diesem Mann dran. Weder homosexuell noch Kommunist. Hudgens‘ Magazin „Hush-Hush“ ist Vorreiter bei sensationsgeilen Offenbarungen, wenn einflussreiche Stars und Politiker bei politisch brisanten Treffen oder beim außerehelichen Sex mit einer Prostituierten bloß- und damit in ihrer Karriere kaltgestellt werden.

© Warner Bros.

Der zentrale „Fund“ des Films betrifft jedoch die Polizei. Beim LAPD sammeln sich sämtliche Vorurteile und Sorgen, die man über Polizeiarbeit haben könnte. Schmiergelder fließen, Beweise werden in die eine oder andere Richtung manipuliert, es wird gefoltert, Fehltritte der Kollegen werden vertuscht und Strohmänner müssen regelmäßig ihre Köpfe hinhalten. Statt eines knorrigen Aussteiger-Cops, der aus eben diesen Gründen zum Privatschnüffler und Vigilanten geworden ist, bietet „L.A. Confidential“ drei zentrale Ermittlerfiguren, Polizisten im Dienst, die zunächst nicht unterschiedlicher sein könnten. Der einfach gestrickte, aber auch treue Detective Bud White (Crowe), der seinem Partner gegenüber womöglich etwas zu treu ist, hat ein aufbrausendes Temperament und knöpft sich besonders gerne Männer vor, die ihre Frauen schlecht behandeln. Detective Lieutenant Ed Exley (Pearce), Sohn eines legendären Polizisten, ist intelligent und nach außen hin korrekt, lehnt Schmiergelder und die unrechtmäßige Deckung krimineller Kollegen ab, ist für die eigene Karriere aber auch ein gerissener Opportunist. Und Sergeant Jack Vincennes (Spacey) ist ein derart eitler Gockel, dass er manchmal vergisst, eigentlich tatsächlich noch ein echter Gesetzeshüter zu sein. Er lässt sich als Berater für eine TV Krimiserie bezahlen und gibt für „Hush-Hush“ den exklusiven Informanten.

Die Film Noirs der 40er und 50er mögen die erwähnten politischen Facetten und Beobachtungen selbst erforscht und abgebildet haben, mal mehr, mal weniger deutlich. Doch die meisten Filme dieser Zeit waren in erster Linie „Pulp“ Krimis oder finstere Melodramen. „L.A. Confidential“ will ein historisches Gesellschaftsporträt erstellen, will den Zeitgeist der USA und ganz besonders der Polizei herausarbeiten, immerhin ist dieser Film nicht wirklich Teil der amerikanischen 50er Jahre Kultur. Regisseur Hanson, Drehbuchautor Brian Helgeland und Romanautor James Ellroy sind Forscher, quasi Genre-Paläontologen, die über Filmsprache in der Zeit zurückreisen, um womöglich etwas über Gegenwart herauszufinden.

Der Sechsfachmord in einem Diner betrifft und beeinflusst die drei Detectives auf unterschiedliche Art und Weise. Ein frisch entlassener Kollege gehört zu den Opfern. Er war der Ex-Partner von Bud White, aber auch zweifellos die Art von Polizist und Mann, der vor lauter Dreck am Stecken kaum laufen konnte. Polizeichef Smith (James Cromwell) organisiert seine Männer, eine dubiose Vergnügungsagentur namens „Fleur de Lis“ taucht als Indiz auf, Millionär Patchett (David Strathairn) scheint involviert und dann sind da seine Frauen, Prostituierte, die wie berühmte Filmstars hergerichtet sind, notfalls auch durch Operationen. Eine davon ist Lynn Bracken (Kim Basinger), die Veronica Lake darstellen soll und in die sich nicht nur Bud White bald verguckt hat. Selbstbewusst und elegant führt Curtis Hanson durch diesen zunehmend komplexen und abgründigen Kriminalfall, der schon auf den ersten Blick mehr zu beinhalten schien als öffentlich kommuniziert wurde. Der Film ist stilvoll, ohne aufdringlich zu werden, fokussiert sich fast gänzlich auf die wunderbar vielschichtigen und bewusst fehlerhaften Figuren, die ausnahmslos von exzellenten Darstellern verkörpert werden.

8/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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