BG Noirvember Kritik: „Tote schlafen fest“ alias „The Big Sleep“ (1946)

11. November 2020, Christian Westhus

Der Noirvember wird schwarz. Über den November verteilt stellen wir euch einige der besten und spannendsten Werke des Film Noir vor. Die Schwarze Serie Hollywoods: Schnüffler, Mörder und Betrüger, Femmes Fatales, dunkle Schatten und Zigarettenqualm. Heute beobachten wir den großen Humphrey Bogart, wie er Raymond Chandlers einflussreichen Ermittler Philip Marlowe fürs Kino prägt. In Howard Hawks‘ „Tote schlafen fest“, 1946.

Tote schlafen fest
(Originaltitel: The Big Sleep | USA 1946)
Regie: Howard Hawks
Darsteller: Humphrey Bogart, Lauren Bacall, Martha Vickers, u.a.
Kinostart Deutschland: 25. September 1967

An Autor Raymond Chandler kommt man beim Thema „Noir“ bekanntlich nicht vorbei. Sein Philip Marlowe ist der Sherlock Holmes unter den Hardboiled Detectives, der wohl berühmteste unter den Schnüfflern und Ermittlern im Film Noir. In neun Romanen, zumeist entwickelt aus mehreren Kurzgeschichten, ließ Chandler Marlowes Spürnase ein Gebräu aus Verbrechen und menschlicher Niedertracht aufspüren. Auch an Humphrey Bogart kommt man beim Thema „Noir“ nicht vorbei, spielte er doch neben Marlowe auch die zentrale Ermittlerfigur des anderen großen Genre-Autoren, Dashiell Hammetts Sam Spade in „Die Spur des Falken“ (1941).

Chandlers und in diesem Fall auch Bogarts Philip Marlowe wurden zum Prototypen eines Privatdetektivs, zu der Art von Ermittler, an die das Publikum beim richtigen Schlagwort intuitiv dachte und noch immer denkt. Der Schauplatz ist Los Angeles. Es ist eine aus den Fugen geratene Welt ohne Moral, ohne Grundsätze, in der das Recht des Stärkeren und Dreisteren regiert. In dieser Welt versucht Marlowe seine Idee von Recht und Ordnung durchzusehen, was nicht immer gleichbedeutend mit „gesetzmäßig“ ist. In diesem Fall, der erstveröffentlichte Marlowe-Roman, wird der Privatdetektiv vom schwerreichen General Sternwood engagiert. Dieser wird erpresst, denn seine durchtriebene jüngste Tochter Carmen (Martha Vickers) hat Spielschulden angehäuft und ist auch sonst mit schmierigen Gestalten verbunden. Ein Mitarbeiter Sternwoods wird vermisst, die vernünftige ältere Tochter, Vivian (Lauren Bacall), spielt eine lange Zeit undurchschaubares Spiel und bald schon steht Marlowe Gangsterboss Eddie Mars (John Ridgely) gegenüber.

© Warner Bros.

Regisseur Howard Hawks („Scarface“, 1932, „Leoparden küsst man nicht“, 1938, „Rio Bravo“, 1959) war ein Meister seines Fachs, aber auch nicht ohne Grund einer der populärsten Filmemacher seiner Generation. Hawks war, ähnlich wie beispielsweise Fritz Lang, flexibel im Umgang mit Genres und wurde lange Zeit, ähnlich einem Alfred Hitchcock, als kommerzieller (sprich oberflächlicher) Filmemacher angesehen. Erst in den 1960ern, am Ende seiner Karriere, wurde Hawks‘ Werk tiefgehender untersucht. In „Tote schlafen fest“ spürt man all diese Facetten. Man erkennt den Könner, den Routinier, der Kamera und Stars führen und einsetzen kann, insbesondere wenn dies auf Grundlage eines Scripts wie diesem geschieht, berstend mit feinen rhetorischen Spitzen, Doppeldeutigkeiten und markigen Sprüchen. Man erkennt den unterschätzten „Auteur“, den Meister des Dialogs, der ein Faible für schlagfertige Frauenfiguren und unterschwelligen Humor hat. Man erkennt aber auch den populären Studioregisseur, der die klassischen Noir-Schatten nicht übermäßig lang werden lässt, der den Pessimismus des Genres ein wenig oberflächlicher und sauberer behandelt, da er letztendlich auch diesen Kriminalfilm wie einen Unterhaltungsfilm behandelt. Das macht diesen Film ein wenig leichter, aber nicht zwangsläufig schlechter. Im Gegenteil.

Neben den Dialogen – William Faulkner besorgte den Feinschliff – sind es daher die Stars, die „Tote schlafen fest“ so besonders und sehenswert machen. Humphrey Bogarts Coolness ist nicht zu kopieren, höchstens durch eine eigene Art der Coolness. Denn wer spielte Marlowe in der 1978er Neuverfilmung des Romans? Natürlich Robert Mitchum. „Tote schlafen fest“ ist nicht zuletzt aber auch ein Film über Bogart und Lauren Bacall. Die Ehe der beiden, Bogarts vierte und zu Beginn der Dreharbeiten noch ganz frisch, gilt als eine der innigsten und romantischsten Hollywood-Ehen überhaupt. Vielleicht knistert das Spiel aus Anziehung und Abstoßung zwischen Marlowe und Vivian gerade deshalb so sehr.

8/10

Erhältlich auf Blu-ray. Digital leih- und kaufbar bei diversen Anbietern.

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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