BG Kritik: „The Hateful Eight“

29. Januar 2016, Christian Westhus

Der neue Tarantino: Wyoming, kurz nach Ende des US-Bürgerkriegs. Zum Schutz vor einem Schneesturm suchen einige Leute Zuflucht in einem abgelegenen Gasthaus. Die Männer und eine Frau sind Banditen, Mörder, Kopfgeldjäger oder gemeine Ex-Militärs, die einander keinen Zentimeter über den Weg trauen. Die Stimmung kocht hoch und Gewalt erhält Einzug ins Gasthaus.

The Hateful 8
(Originaltitel: The Hateful Eight | USA 2015)
Regie: Quentin Tarantino
Darsteller: Samuel L. Jackson, Jennifer Jason Leigh, Kurt Russell, Walton Goggins, u.a.
Kinostart Deutschland: 28. Januar 2016

Der böseste Film in Quentin Tarantinos Karriere.

Die Filmographie von Quentin Tarantino ist eine vielleicht bald endende (Der Regisseur hat mehrfach betont, nach zehn Filmen aufhören zu wollen. Dies ist Nummer 8.) Aneinanderreihung von Gewalt, Tod und Grausamkeiten. Eine zunehmend größer und gekonnter inszenierte Zelebration von Blutvergießen, von Gewaltmenschen und denen, die durch erfahrene Gewalt ebenfalls zu Gewaltmenschen werden. In seinen letzten beiden Filmen wurde Adolf Hitler mit MG und Feuersbrunst per Historical Fiction in sämtliche Einzelteile zerlegt und der befreite Sklave Django ließ die weißen Institutionen der US-Sklaverei mit jeder einzelnen Pistolenkugel aufplatzen, als explodierte in ihnen der „schwarze Zorn“ mit der Wucht einer Handgranate. Doch selbst Django und ambivalente Antihelden wie die Basterds würden wohl am liebsten einen weiten Bogen um das kleine Gasthaus in der verschneiten Einöde Wyomings machen, in das sich hier diverse finstere Gestalten verirren.

Überwiegend beschränkt auf die nicht ganz zehnköpfige Hauptbesetzung fehlt Tarantino einfach schon das Personal, um ein Massaker auf dem Level von „Kill Bill“ abzufackeln, welches damals aus Sicherheitsgründen einfach mal kurzzeitig auf Schwarzweiß schaltete, während Uma Thurman ihre Widersacher um sämtliche Gliedmaßen erleichterte. Doch bei „The Hateful Eight“ ist der Name Programm. Schutzsuchend inmitten eines Schneesturms treffen hier Mörder, Kopfgeldjäger, Bandenmitglieder, Rassisten, Schläger, Lügner und sonstiges unsympathisches Gewürm aufeinander. Man könnte vielleicht denken, die an Kopfgeldjäger Kurt Russell gekettete Jennifer Jason Leigh, die wir zunächst mit einem üblen blauen Auge kennen lernen, könnte der sympathische Underdog der Geschichte sein. Doch weit gefehlt. Leigh bekommt durch Tarantino die Einladung, ihre Daisy Domergue zu einer halbwahnsinnigen Furie zu machen, der man keinen Millimeter über den Weg trauen sollte. Dann vielleicht Russell selbst, der diese Irre gefasst hat? Wohl kaum, wo es ihm doch eiskalt nur ums Geld geht und er schon frühzeitig schockierend brutal und nonchalant auf Domergue einprügelt und genüsslich durch seinen stattlichen Schnauzer grinst. In Bruce Derns Charakter, der als weißhaariger Greis im Gasthaus so ruhig im Ohrensessel ruht, schlummert der ungefilterte Rassismus eines Offiziers der Südstaaten. Neu-Sheriff Walton Goggins ist so undurchschaubar wie er unterbelichtet ist. Und selbst Samuel L. Jackson als neuer Quasi-Django, der sich in der weißen Schneewelt draußen und der weißen Rassistenwelt drinnen Platz verschaffen muss, ist ein Sadist mit etwas zu viel Freude am Töten.

© Universum Film / Leonine

Es scheint fast, als treibe Quentin Tarantino sein böses Spiel mit uns. „Kill Bill“, „Inglourious Basterds“ und „Django Unchained“ suhlten sich in exzessiver Gewalt, jedoch unter dem Deckmantel der cineastischen Überzeichnung und insbesondere als Ersatz-Katharsis. Tarantino inszenierte die Rache der Braut, die Jüdische Rache oder Djangos Vergeltung nicht als Aufruf zu tatsächlicher Gewalt, sondern zu einem medialen Katalysator. Insbesondere mit den Basterds und Django lieferte das Kino Tarantinos späte Genugtuung und mediale Befriedigung für etwas, was Geschichte und Realität nicht konnten. Nichts davon ist in „The Hateful Eight“ zu spüren. Immer wenn wir denken, einer Figur über den Weg zu trauen und dieser Figur – trotz vorheriger Mäkel – inmitten dieses Teufelskreis des Hasses am ehesten das Überleben wünschen, kriegen wir von Obersadist Tarantino eine Backpfeife verpasst, die sich gewaschen hat. In schier endlosen Dialogszenen, die insbesondere im ersten Drittel das eine oder andere Mal die Grenzen der dramaturgischen Notwendigkeit überschreiten, müssen oder dürfen wir uns an der Amoralität dieser Figuren ergötzen und Tarantinos rabenschwarzen Witz entweder annehmen oder ablehnen. Mit welchen Worten Jackson bei der ersten Begegnung von Leigh begrüßt wird oder eine längere Abhandlung Jacksons über ein gewisses Hinweisschild im Gasthaus spielen mit verbalen Grausamkeit, ziehen daraus aber auch ihren zuweilen zweifelhaften Reiz.

Nach seinen letzten Erfolgen hatte Tarantino nahezu freie Hand und serviert seine zunehmend blutigere Schlachtplatte nicht nur in latent überlangen drei Stunden, sondern auch gedreht im superbreiten 70mm Filmformat, was für ein Kammerspiel wie dieses eher ungewöhnlich ist (und welches im Zeitalter der Digitalprojektion ohnehin an „Reiz“ einbüßt). Doch die herausragend gestaltete „Kammer“ bekommt so auch ohne 3D eine ganz neue, ganz eigene Dimension, und die Gesichter der hasserfüllten Acht in vielen Nahaufnahmen die große Bühne serviert. Nicht jeder Dialog ist nötig, nicht jede rhetorische Wiederholung effektiv und das zentrale Geheimnis, welcher der Acht ein falsches Spiel treibt, wird nicht vollends ausgespielt. Doch der nihilistische Wahnsinn hat seinen Reiz, denn nicht nur kann Quentin Tarantino in seinen besten Momenten ein verbales Feuer entfachen, welches die Leinwand zum Beben bringt, auch hat er grandiose Gesichter für seine Figuren gefunden. Samuel L. Jackson ist absolut großartig und trägt sein fantastisch entworfenes Kostüm wie ein König. Jennifer Jason Leigh bleibt als unnachgiebig malträtierte und besudelte Irre lange im Gedächtnis, doch der heimliche Star dürfte Walton Goggins sein, dessen Rolle als „gefährlicher Trottel“ immenses Potential hat.

Wenn „The Hateful Eight“ etwas fehlt, dann ist es die thematische Präzision, die „Inglourious Basterds“ zu einem solchen Meisterwerk gemacht hat. Tarantino gestaltet das Innere des Gasthauses als Mikrokosmos der USA und bringt dies, damit es uns nicht entgeht, fast wortwörtlich im Film ein, wenn im Gasthaus, wenige Jahre nach Ende des Bürgerkriegs, die Grenzen zwischen Norden und Süden neu gezogen werden. Die Figuren sind mal mehr, mal weniger stark verzerrte Chiffren einer widersprüchlichen Identität der US of A, mit denen ein Referenzspiel zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft veranstaltet wird. Ein gewohnt freier Umgang mit rassischen Beleidigungen, Gewalt und Gegengewalt am Beispiel Bürgerkrieg, Opportunismus, Lügen und ein Brief von Abraham Lincoln sollen den grotesken Gewalt- und Hassexzess mit Bedeutung füllen und schaffen das mitunter auch, aber selten in der Klarheit nebst ungetrübtem Unterhaltungswert, wie es Tarantino zuletzt gelungen war.

Fazit:
Jeder neue Tarantino ist ein Argument für das Kino. Selbst wenn sich zweifellos sagen lässt, dass Quentin Tarantino schon bessere Filme als diesen gemacht hat, ist „The Hateful Eight“ ein böse-unterhaltsames und äußerst lohnenswertes Stück Kino.

7,5/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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