BG TV-Kritik: „Castlevania“ (Staffel 4)

19. Mai 2021, Christian Westhus

Das Finale der Animationsserie zum Videospielklassiker um Vampirjäger Trevor Belmont, der mit seinen Partnern, Magierin Sypha und Dracula-Sohn Alucard, vampirische und dämonische Bedrohungen zu bewältigen hat. „Castlevania“ Staffel 4.

© Netflix

Castlevania (Staffel 4)
Entwickler: Warren Ellis
Sender: Netflix, 2021
Sprecher: Richard Armitage, James Callis, Alejandra Reynoso, Jaime Murray, Adetokumboh M’Cormack u.a.

Diese Kritik geht davon aus, dass du Staffel 1, 2 und 3 gesehen hast. (Kritik Staffel 1 | Kritik Staffel 2 | Kritik Staffel 3)

Es soll das große Finale sein. Nach vier (manche würden sagen dreieinhalb) Staffeln geht „Castlevania“ bei Netflix vorerst zu Ende. Vorerst, denn die von Serienschöpfer Warren Ellis und seinem Team erschaffene Welt sowie die Videospiel-Ursprünge lassen noch ausreichend Spin-Off Möglichkeiten offen. Von Trevor Belmont und Magierin Sypha müssen wir uns wohl auf lange Sicht verabschieden, doch es gibt noch weitere berühmte Belmonts. Bis es allerdings soweit ist, müssen Trevor, Sypha und Halbvampir Alucard erst einmal ihre Welt in Ordnung bringen und in ein Gleichgewicht bringen, was auch immer das heißt. Denn – „zuvor, bei Castlevania“ – Obervampirin Carmilla hat große Pläne, Nekromant Isaac hat eine Dämonenarmee um sich geschart, Alucard durchlebt ein mörderisches moralisches Tief, St. Germain ist im Endlosen Korridor verloren gegangen und über diesen Korridor könnte man bis in die hintersten Winkel der Hölle gelangen, wo u.a. Dracula ruht.

Eine große Stärke von „Castlevania“ war es, auch Figuren der zweiten Reihe interessant und spannend zu machen, sodass sie eventuell Perspektivfiguren werden können. Das sorgt dafür, dass die Handlung zu Staffelbeginn so zerstreut wie schon lange nicht mehr wirkt. Unser zentrales Heldentrio ist mindestens zweigeteilt, wir haben Carmilla, ihre Schwester Lenore und die anderen beiden Schwestern Striga und Morana, haben Hector, Isaac und St. Germain, aber kurzzeitig auch einen zwielichtigen Vampir namens Varney, der sich verdächtig im Hintergrund aufhält. Es ist eine nach wie vor beachtliche Leistung, wie diese Figuren zu Leben (wie auch immer man das bei Vampiren nennt) erweckt, wie sie konstruiert und in die Handlung eingefügt wurden. Wenn es dann aber auf ein Ende zugehen soll, wird dieses beachtliche Personal auch mal zu einem Problem, welches es zu bändigen und zu bewältigen gilt. Gleichzeitig wollte „Castlevania“ von Anfang an aber auch eine mordsmäßige Fantasy-Horror-Action-Gaudi sein.

Wann immer diese Serie in Staffel 4 die Wahl hat zwischen Coolness und stringentem Erzählen, wird komplett auf Coolness gesetzt. Es gibt sie, die dramatischen Charakterbögen, die thematischen und lebensphilosophischen Ansätze, die ewiglangen Monologe von Figuren wie Isaac, doch wenn es hart auf hart kommt, treten sie in den Hintergrund. Und bei Gott, will diese finale Staffel cool sein. War „Castlevania“ bisher eine Serie, die sich geduldig und zurückhaltend gab, ehe es zwei, drei Mal pro Staffel groß krachte und knallte, wird man in dieser Abschlussstaffel von einer Actionszene in die nächste geschmissen, von einem bluttriefenden Schlachtfest zum nächsten. Schon lange geht es nicht mehr nur um Vampire und banale Level-1 Dämonen, inzwischen fährt das Script hier den reinsten Fantasy-Overkill an Kreaturen auf, den es für unsere Helden zu bewältigen gilt. Wie gut, dass besagte Helden inzwischen zu absoluten Superkämpfern geworden sind, die ihre ohnehin schon beachtlichen Fähigkeiten der ersten Stunden inzwischen exorbitant gesteigert haben und mit jeder vermeintlich ausweglosen Notsituation ein weiteres Mal steigern.

© Netflix

Animationstechnisch ist „Castlevania“ trotz eines erneuten Detail-Upgrades noch immer nicht die ganz hohe Kunst, hat mit seinem Anime-artigen Look in (teilweise) Cellshading-Optik aber einen gelungenen Weg für sich gefunden, insbesondere wenn es um Kreaturen und Action geht. Das Gehacke mit dem kunterbunten Getier ist gestalterisch oft wunderbar anzusehen, macht zumeist unerhört Spaß und ist energiegeladen, geht allerding auch auf Kosten der Figuren und der größeren Handlung. Dass Dracula zum Finale noch einmal ins Spiel kommen könnte, ist nur zu verständlich. Gleich mehrere Gruppen arbeiten an einer potentiellen Rückkehr des Fürsten der Finsternis; mal miteinander, mal gegeneinander. Es war irgendwie klar, dass die Geschichte um St. Germain und den magischen Portal-Korridor noch einmal relevant werden würde. Nicht klar war, dass Figuren wie Hector, Isaac und Carmilla darunter zu leiden haben. Ohne Frage bekommen gerade sie ein paar große und teils aberwitzig actionreiche Momente, doch so ganz rund wirken die Abschlüsse ihrer Geschichten nicht.

Zu sagen, die Handlung würde glattgebügelt, um Trevor, Sypha und Alucard das große Finale zu spendieren, wäre zu einfach. Natürlich greifen die ausgefransten Handlungsfäden mehr und mehr ineinander, ehe (fast) alles mit- und ineinander kulminiert. Der Weg dorthin ist trotz aller Kollateralschäden dennoch enorm spannend und eben enorm unterhaltsam, hält zum Finale dann mehr als einen Höhepunkt parat. Warren Ellis und sein Autorenteam haben noch ein Ass im Ärmel, steigern die Action noch weiter und lassen das Animations- und Designteam frei herumtoben. Dieser Showdown und besagtes Ass im Ärmel lassen sich in ihrer Wirkung auch durch eine suboptimale Entscheidung bei der Stimme und Sprache nicht um ihre Durchschlagskraft bringen. Doch spätestens jetzt, wenn es am größten und lautesten und zum letzten Mal knallt, muss der grelle Spaß zielgerichtet sein. Dafür hat diese Serie eine komplette Epilog-Folge eingeplant. Es ist schön zu sehen, dass diese Staffel bzw. diese Serie die erzählerische Bringschuld erkannt hat und erfüllen will, um sich und uns zu verabschieden. Es ist ein ausführlicher Abschied, der zwar offenbart, wo die emotionalen und erzählerischen Grenzen von „Castlevania“ liegen, der aber dennoch unterstreicht, dass wir es in diesen vier Staffeln nicht ausschließlich mit einer cool getricksten Schlachtplatte zu tun hatten.

Fazit:
Die finale Abschlussstaffel ist nicht der richtige Zeitpunkt, um neue Fans zu gewinnen. Wer bisher seine Freude mit Trevor Belmont, Sypha, Alucard und ihren wilden Widersachern hatte, wird auch Freude am blutig-actionreichen Finale haben.

7,5/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

Um an dieser Diskussion teilzunehmen, registriere dich bitte im Forum:
Zur Registrierung