BG Kritik: „Cinderella“ (2015)

12. August 2019, Christian Westhus

Die klassische Geschichte in Disneys Realfilm-Remake: Nach dem Tod ihres Vaters wird Ella der Obhut ihrer Stiefmutter übergeben. Doch diese hat nur Verachtung für Ella übrig, nutzt sie aus und verwöhnt ihre eigenen beiden Töchter. Im Wald aber trifft Ella auf einen freundlichen Fremden, und der Prinz des Landes gibt bald darauf ein rauschendes Fest.

Cinderella
(USA, UK 2015)
Regie: Kenneth Branagh
Darsteller: Lily James, Cate Blanchett, Richard Madden
Kinostart Deutschland: 12. März 2015

(Diese Kritik erschien im Rahmen der Kritikenreihe Treasure Monday, ursprünglich veröffentlicht im Oktober 2015.)

Es gibt noch Hoffnung im Disney Land.

Der Disney Konzern, dem inzwischen auch Star Wars, Indiana Jones, das Marvel Universum und diverse andere kleinere und größere Franchises gehören, hat es wohl nicht mehr nötig, neue Geschichten zu erzählen. Mit Tim Burtons leblosem Gerippe namens „Alice im Wunderland“ fing es an, mit den enormen Erfolgen des guten „Die Eiskönigin“ und konfusen „Maleficent“ wurde es für die nächsten Jahre gefestigt: Disney wird neue-alte Prinzessinnen generieren, wird seine Animationserfolge der Vergangenheit auch über die nächsten Jahre hinweg als Realfilme neu aufwärmen, fortsetzen oder gegebenenfalls mit unnötigen Vorgeschichten ausstatten. Nun hat man Shakespeare Veteran und „Thor“ Regisseur Kenneth Branagh die undankbare Aufgabe zukommen lassen, einen neuen Cinderella Film zu drehen. Es klingt, im Sinne des generellen Remake-Vorgehens seitens Disney, faul und zerstörerisch. Doch irgendwas ist anders.

„Cinderella“ – womit der Name Aschenputtel wohl zum Aussterben verurteilt ist – erzählt die Geschichte, die, wie wir glauben, eh schon jeder kennt. Doch es gibt einen Grund, warum diese Geschichten als völkische Folklore und Gutenachtgeschichten Jahrhunderte überlebten, ohne wirkliche Fortsetzungen oder einen ausgedehnten „Origin“ der Marke „Wie alles begann“ zu benötigen. Mit mal größeren, mal kleineren Veränderungen haben diese Geschichten für diverse Generationen in diversen Kulturkreisen Mal um Mal eine neue Daseinsberechtigung. Und genau das macht diesen Film dann doch sehenswert. Branaghs Film nimmt seine Figuren und die transportierten Ideen der Handlung ernst. Für die Anzugträger in den obersten Etagen des Disney Towers wird dieser Film nur ein weiteres Mittel sein, aus alten Ideen neues Geld zu machen. Doch in diesem glücklichen Fall hält das die Filmemacher nicht davon ab, ihr Bestes zu geben. Es ist Disney-Branding, klar, aber es ist auch eine gut erzählte neue Version von Aschenputtel.

© Disney

Der Film braucht eine kleine Weile, um seinen Ton zwischen adrettem Kostümfilm und drollig-überhöhtem Märchenfilm zu finden. Das erschwert beispielsweise die frühen Szenen mit der Stiefmutter und ihren Töchtern, deren zunächst eindimensionale Gemeinheit aufgesetzt und störend wirkt. Man könnte aber auch sagen, dieser Eindruck unterstreiche den symbolartigen Märchencharakter der Geschichte. Spätestens, wenn die Einladung zum Tanzball am Königshof ins Haus flattert, haben Kenneth Branagh und seine Kollegen aber den Bogen raus. Mit betörend schönen, ja rauschenden Kostümen, aufwändigen Sets und Computereffekten, die immerhin deutlich besser aussehen als vergleichbare Versuche aus dem letztjährigen (Nicht-Disney) „Die Schöne und das Biest“ mit Léa Seydoux, gibt sich „Cinderella“ als träumerisch-märchenhaftes Moralstück der überwiegend leichten und dennoch effektiven Sorte. Das liegt auch an Hauptfigur und Hauptdarstellerin.

Lily James ist adäquat hinreißend als junge Ella, doch das Drehbuch von Chris Weitz lässt sie und Ella eine echte Person spielen bzw. sein. Diese Cinderella ist kein willenloses blondes Püppchen, welches tatenlos auf die Rettung durch einen royalen Gentleman wartet. Diese Cinderella ist eine selbstbewusste Märchenheldin, deren Gutherzigkeit ein tief verinnerlichter und glaubwürdiger Kern ihrer Persönlichkeit ist, mit der ihre vermeintliche Passivität zu einer nachvollziehbaren, bewussten Maßnahme wird. Anders als viele sonstige Disney Prinzessinnen, die mit Tieren quatschen und ein Liedchen trällern, während sie von besseren Zeiten träumen, ist Ellas Durchhaltevermögen und Optimismus glaubwürdiger und besser ausgespielt als die thematisch durchaus ähnlichen 140 Minuten Pein in Angelina Jolies „Unbroken“. Branaghs „Cinderella“ geht clever mit der sonst unvermeidbar geglaubten Problematik der Aschenputtel Geschichte um, ob die Ärmste ihr Glück am Ende verdient, weil sie ein von Grund auf guter Mensch war oder weil sie so viel Unrecht ertragen musste. Helena Bonham Carters verrückter kleiner Auftritt als Gute Fee streut als Glücksmechanismus Ex Machina zwar neue Zweifel, doch egal wie bekannt uns die Geschichte auch vorkommen mag, bei der finalen Gegenüberstellung zwischen Ella und der Stiefmutter (die zwischenzeitlich als Charakter mindestens eine Dimension reicher geworden ist) zeigt sich, was hier geleistet wurde.

„Cinderella“ geht ans Herz, weil es ein ehrlicher Film ist, der sich seinen Optimismus und seine Gutherzigkeit verdient inmitten einer Welt aus Geschichten, die mehr und mehr vom vermeintlich „realistischeren“ Zynismus eingenommen werden. So verliebt sich auch der durchaus sympathische Prinz, gespielt von Richard Madden, nicht einfach so aus einer spontanen Laune heraus in die Unbekannte, sondern aus einer Reaktion auf ihren wahren Charakter als Person. Da ist es nur passend, dass selbst die gläsernen Schuhe, sonst häufig als „unlogisch“ belächelt, nur noch eine Formalität darstellen. Dieser Film zeigt der Konkurrenz des aktuellen Märchenfilm-Spleens, wie man diese Geschichten zu guten Filmen machen kann; indem man sie ernst nimmt.

Fazit:
Ein Märchenfilm, wie er sein muss. Mit wunderschönen Kostümen und Schauwerten ausgestattet, nimmt der Film seine Figuren und seine Themen ernst und spielt sie in erstaunlich zu Herzen gehender Art durch. Kein wahnsinniges Meisterwerk, aber eine mehr als solide erzählte (Märchen-) Geschichte.

7/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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