Treasure Tuesday Spezialkritik: „Hexen hexen“ – „The Witches“

6. Oktober 2020, Christian Westhus

Bevor in Kürze das von Robert Zemeckis inszenierte Remake bzw. die Neuverfilmung mit Anne Hathaway in die Kinos (?) kommt, lohnt es sich, die Erstverfilmung des Roald Dahl Kinderbuchklassikers anzuschauen. Komödiantisches Gruseln, vielleicht gerade richtig fürs Familien-Halloween. „Hexen hexen“ alias „The Witches“ (1990), unser heutiger Treasure Tuesday Tipp. Jeden Dienstag auf Erkundungstour gehen. Wir stöbern nach vergessenen Filmen, unterschätzten Filmen, alten Filmen, fremdsprachigen Filmen. Nach Filmen die sich lohnen, auch wenn gerade nicht die halbe Welt über sie spricht.

© Warner Bros

Hexen hexen
(Originaltitel: The Witches | UK 1990)
Regie: Nicolas Roeg
Darsteller: Anjelica Huston, Jasen Fisher, Mai Zetterling, Rowan Atkinson
Kinostart Deutschland: 28. Juni 1990

Was ist das für ein Film?
Eine Adaption des 1983 erschienenen Kinderbuchklassikers von Roald Dahl („Charlie und die Schokoladenfabrik“), inszeniert ausgerechnet vom ehemaligen Kameramann und Regie-Künstler Nicolas Roeg, berühmt für „Wenn die Gondeln Trauer tragen“, den David Bowie Sci-Fi Klassiker „Der Mann, der vom Himmel fiel“ und den wunderbaren Outback-Trip „Walkabout“. Eine Kinderbuchadaption von Nicolas Roeg war bzw. ist so seltsam und dadurch spannend wie zum Vergleich seinerzeit Alfonso Cuarón, der nach „Y tu mamá tambien“ den dritten „Harry Potter“ übernahm. Doch ob Zufall oder nicht, kamen in beiden Fällen Kinderfilme und Buchadaptionen heraus, die den Test der Zeit etwas besser überstehen sollten als so manche Konkurrenz. Dennoch erhielten beide Filme – und dieser hier sogar vom Vorlagenautor persönlich – Kritik für ihr Vorgehen bei der Adaption.

„Hexen hexen“ erzählt von einem amerikanischen Jungen, der seine Großmutter in Norwegen besucht. Diese erzählt ihm von echter Magie und echten Hexen, die es insbesondere auf Kinder abgesehen haben, die sie fangen und töten wollen. Es ist die klassische „Hüte dich vor Fremden“ Warnung, nur eben mit Hexen. Als Luke und seine Großmutter in ein Hotel in England einkehren, findet dort ausgerechnet ein großes Hexentreffen statt, die sich ironischerweise als Gesellschaft zur Prävention von Gewalt an Kindern tarnen. Unter der Leitung der Oberhexe (Anjelica Huston) besprechen die kinderhassenden Hexen einen perfiden Plan, um sämtliche Kinder Großbritanniens auszurotten. Luke will dies verhindern, sieht sich von den bösen Zauberinnen aber in eine Maus verwandelt und läuft Gefahr, als Ungeziefer vom Hotelpersonal geschnappt und getötet zu werden.

Warum sollte mich das interessieren?
„Für Kinder“ ist eine schwammige Kategorisierung, sowohl bei Büchern als auch bei Filmen. Roald Dahls Geschichten können durchaus exzentrisch sein, können mit grenzwertigen Details aufwarten. Einem Nicolas Roeg das Zepter für die Verfilmung zu überlassen, auch wenn er Ende der 80er nicht mehr auf dem wild experimentellen Level der späten 60er und der 70er agierte, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Gleichzeitig holt man sich die Jim Henson Company ins Haus, die einige der Trickeffekte (insbesondere die zu Mäusen verwandelten Jungs) übernahmen, hin und wieder aber wohl auch auf die Bremse traten. Herausgekommen ist ein kurioser und noch immer sehenswerter Mix; mal drollig und albern, mal grell überzeichnet und dann auch wieder exzentrisch-schräg, mit Sequenzen, die auch ältere Kinder verschrecken könnten. Die Verwandlung der Oberhexe, die Transformation in Mäuse und das hysterische Finale warten jedenfalls mit einigen unvergesslichen Momenten auf.

Auf den ersten Blick hält sich „The Witches“ (Originaltitel) recht genau an Dahls Vorlage, verschiebt ein paar Nationalitäten, fügt Namen hinzu, bewegt sich ansonsten recht genau am vorgegebenen Plot entlang. Es sind die Details aus Ton und Stimmung (und der Epilog), die den Autor frustrierten und dazu brachten, keine weiteren Adaptionen seiner Werke zuzulassen – oder nur unter strengen Auflagen. Dem Unterhaltungswert des Films tut das – je nach dem wie sehr man das Buch ins Herz geschlossen hat – keinen Abbruch. Von der ausführlichen Einleitung in Norwegen abgesehen, mit Großmutters Berichten über wahre Hexen und die gruselige Vorstellung lebendiger Gemälde, ist der Hauptteil des Films eine flotte und abwechslungsreiche Hatz durchs Hotel, mit wunderbar überdrehtem Gepose, frechem Witz und kuriosen Einzelszenen.

Natürlich sind die Tricks der verwandelten Mäuse nicht mehr so ganz zeitgemäß und doch runden gerade diese Jim Henson Arbeiten das Gefühl des Films erst so richtig ab. Dass wir die sprechenden Mäuse als Modelle und Puppen erkennen, hilft dem herrlich-garstigen Look der Hexen und dem fein schillernden Spiel Anjelica Hustons, die als Oberhexe Miss Ernst im englischen Originalton natürlich einen deutschen Akzent bemüht. Die Modelle und Puppen helfen den überdrehten Nebenfiguren, der flotten Oma, den versnobten Eltern des kleinen Bruno, den kreischenden Zimmermädchen oder Rowan „Mr. Bean“ Atkinson als unfreundlicher Hoteldirektor. Erst der verspielt-irreale Look der Mäuse gibt „Hexen hexen“ diesen magischen Touch als zeitloser Kinder- und Familienklassiker, mit einer gewissen Gruselnote. So fügen sich auch Lukes aufwändige Tunnel- und Schienensystem für seine eigenen Hausmäuse nicht nur mit popkulturellen Verweisen ein, sondern unterstreichen, was für eine Art Film dies ist. Es bleibt abzuwarten, ob Robert Zemeckis‘ in Kürze anlaufendes Remake mit seinen CG-Mäusen ein ähnliches Gefühl erschaffen oder eine passende Alternative finden kann.

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels kann man „Hexen hexen“ bei Netflix anschauen, aber auch bei allen größeren Anbietern digital leihen und kaufen.

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Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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