BG Kritik: „Fear Street Trilogie: 1994, 1978, 1666“

19. Juli 2021, Christian Westhus

Horror-Trilogie bei Netflix: In den 90ern geht ein Serienkiller um, aber eigentlich ist es ein Hexenfluch, der insbesondere die Bewohner von Shadyside betrifft, während die Nachbarn in Sunnyvale ein glückliches Leben führen. Deena und ihre Freunde wollen dem tödlichen Treiben ein Ende setzen und stoßen dabei auf Geheimnisse aus der Vergangenheit der Stadt, aus 1970ern und aus dem 17. Jahrhundert.

Fear Street Trilogie: 1994, 1978, 1666
(Originaltitel: Fear Street Part One: 1994, Fear Street Part Two: 1978, Fear Street Part Three: 1666)
Regie: Leigh Janiak
Darsteller „1994“: Kiana Madeira, Olivia Scott Welch, Benjamin Flores Jr., Julia Rehwald, Fred Hechinger, Ashley Zukerman
Darsteller „1978“: Sadie Sink, Emily Rudd, Ryan Simpkins, McCabe Slye, Gillian Jacobs
Darsteller „1666“: Kiana Madeira, OIivia Scott Welch, Gillian Jacobs, Benjamin Flores Jr., Ashley Zukerman
Veröffentlichung Deutschland: 02. + 09. + 16. Juli 2021

1994:
Eindrücke können täuschen. Auf den ersten Blick wirkt Netflix‘ Horrortrilogie wie eine Variation des „Stranger Things“ Prinzips. Keine Serie, aber drei zusammenhängende Filme, zeitnah veröffentlicht, in denen jugendliche Figuren in einem nostalgisch nah-historischen Setting einen turbulenten Genremix durchleben. Dass die Trilogie ursprünglich für 20th Century Fox (bzw. Studios) produziert wurde und eigentlich ins Kino kommen sollte, fällt durch den großen Netflix-Stempel heute nicht mehr so schnell auf. „Fear Street“ basiert auf der eher Young Adult orientierten Buchserie von „Gänsehaut“ Autor R.L. Stine, die von den späten 80ern bis Mitte der 90er lief, was den 90er Anstrich des ersten Films erklären könnte. Regisseurin Leigh Janiak und die übrigen Autoren übernehmen Details und Grundprämisse der Vorlage, konkretisieren die Geschichte aber auf recht eigenständige Weise.

Nicht nur durch Maya Hawke, die in der Einstiegssequenz eine Verkäuferin in einer kleinen Buchhandlung spielt, fühlt man sich dann doch recht stark an „Stranger Things“ erinnert, wenn im Einkaufszentrum (natürlich) ein maskierter Killer umhergeht. Wir befinden uns nämlich in einem Slasher-Szenario. Da wir uns dabei auch in den 1990ern befinden, sollen wir natürlich an die Teen-Slasher Renaissance rund um „Scream“ erinnert werden. Auch Ausstattung, Kostüme und Frisuren sollen diesen Job erledigen, eifrig unterstützt vom Soundtrack. Wir kennen das System. Wir befinden uns im Städtchen Shadyside, welches – dem Namen entsprechend – einen mörderisch schlechten Ruf hat und im Schatten der Nachbarstadt Sunnyvale (Ist der Name „Sunnydale“ aus „Buffy“ rechtlich geschützt?) steht. Es ist eine Springfield vs. Shelbyville Rivalität, wie sie 90er-Kids aus „Die Simpsons“ kennen. Doch bald schon wird klar, dass der maskierte Slasher nicht einfach nur ein psychopathischer Mörder ist, sondern dass andere Dinge im Gang sind. Übernatürliche Dinge.

© Netflix

Der Fluch einer Hexe, Sarah Fier, geht um. Das jedenfalls ist bald die Theorie von Deena (Kiana Madeira) und ihren Freunden Simon (Fred Hechinger) und Kate (Julia Rehwald), ihrem Bruder Josh (Benjamin Flores Jr.) und ihrer Ex-Freundin Sam (Olivia Scott Welch). „Fear Street 1994“ ist für sich genommen ein recht lauer Teen-Horrorfilm, der sich nicht zu ernst nimmt, der aber auch nicht so richtig aus sich herauskommt. Die Figuren sind in groben Linien gezeichnet, nicht vollkommen uninteressant, aber ausbaufähig. Ähnlich halbgare Semi-Komplimente kann man dem gesamten Film attestieren. Die visuelle Gestaltung ist poppig, aber nicht zielführend. Die zentrale Beziehung ist nicht wirklich bewegend, aber natürlich genug, dass man es positiv erwähnen kann. Das Script verhebt sich allerdings bei einer zweiten Mini-Romanze, die im späteren Verlauf in die Handlung gezwungen wird und vollkommen unglaubwürdig und deplatziert erscheint. Apropos deplatziert.

Die Gewalt- und Tötungsszenen sind mitunter ruppig und blutig, aber eigentlich nicht der Rede wert. Bis ein in seiner graphischen Natur unfassbarer Gewaltakt erscheint, wie ein ungewollter Stripper aus der Torte. Der Akt ist nicht deshalb frustrierend deplatziert, da er so brutal und schockierend ist, sondern da er in dieser Form nicht so recht in den Film passen will, wie der Selbstzweck wirkt, der er ist. „Fear Street“ zielt in der Zielgruppe alterstechnisch ein gutes Stück höher als „Gänsehaut“ und zielt dennoch auf Teenager ab, die diesen Film – zumindest theoretisch – nicht sehen dürfen. In einer derartigen Transgression könnte eine gewisse Spitzfindigkeit und provokative Würze liegen, so sie denn zielgerichtet ist. Doch die Gewalt in „Fear Street“ scheint weniger der Reiz des „Verbotenen“ als vielmehr Fan-Service zu sein. Für welche Art von Fans auch immer. Spannender macht es das standardmäßige Versteckspiel gegen kuriose Killer jedenfalls nicht. Man kann – und sollte – „1994“ aber natürlich auch als Auftakt für ein größeres Ganzes sehen, für eine epische Geschichte. Hier wurde der Grundstein dafür gelegt und als solcher taugt der Film einigermaßen.

© Netflix

1978:
Aus den 1990ern in die späten 70er. In Bezug auf Genrereferenzen und Querverweise macht dieser Sprung Sinn. Wir hatten die Renaissance in Teil 1, nun widmen wir uns den originalen Slashern und dabei explizit der „Freitag der 13.“ Reihe, befinden wir uns in „Fear Street 1978“ doch in einem Sommerferienlager. Dass die „Freitag“ Reihe erst 1980 ihren Anfang nahm, spielt keine Rolle. Es ist nämlich auch ein Generationssprung, die sechzehn Jahre eines typischen High Schooler Lebens zurück in die Vergangenheit. Fast so, als ziele diese Trilogie auf mehr ab als nostalgisch gefärbte Genre-Hommagen. Ob Zufall oder nicht, auch dieser Film lässt es sich nicht nehmen und präsentiert ein bekanntes „Stranger Things“ Gesicht. Sadie Sink schlüpft hier in die Hauptrolle der Ziggy, eine der beiden Berman Schwestern, die im Zentrum der Vorgänge in Camp Nightwing stehen. Die Überlebende Berman Schester (Gillian Jacobs) von 1994 erzählt, wie es sich damals zugetragen hat.

Auch in „1978“ weicht die geradlinige Slasher-Nachstellung schnell der Hexenthematik, was einen armen besessenen Irren nicht davon abhält, reihenweise Jugendliche zu metzeln. Dieser zweite Teil ist keineswegs weniger zimperlich als sein Vorgänger in den wesentlich zahlreicheren Tötungsszenen. Der Abwechslungsreichtum bleibt dabei werkzeugbedingt auf der Strecke, doch es bleibt das Gefühl der tonalen Widersprüchlichkeit. Ohne Klischees und Plattitüden scheint es nicht zu gehen, doch in den richtigen Augenblicken schlagen die „Fear Street“ Filme ernste und emotionale Töne an, sind an ihren Figuren interessiert. Man hat es sich allerdings gleichzeitig zur Aufgabe gemacht, „pulpy“ Genrespaß zu sein, was hier Horror und Gewalt bedeutet. So erfahren zwei Figuren ihren emotionalen Höhepunkt, die Zuspitzung ihres dramaturgischen Weges, während um sie herum auf parodistisch anmutende Weise gehackt, geschlitzt und gesuppt wird.

Dem Zwischenmenschlichen fehlt auch hier das Feintuning, überwuchert von stilistischen Spleens und fortschreitender Hexenmythologie. Doch wie schon Kiana Madeira in „1994“ ist auch Sadie Sink eine talentierte Performerin, die genug Interesse an ihrer Figur generiert, um auch die Nebenfiguren ausreichend interessant zu färben. Am Ende von „1978“ erkennt man die Möglichkeiten dieser Trilogie, dieser erzählten Quasi-Zeitreise. Im Generationssprung konkretisiert sich das Selbstverständnis der Stadtbewohner, wie Trauma und Tragödien über Generationen verklärt und verinnerlicht werden, um ein Image (bzw. zwei Images) zu wahren. Auf dieser Handhabe kann man aufbauen.

© Netflix

1666:
Zur Überraschung von niemandem ist die Hexe von Blair, pardon, die Hexe von Shadyside nicht einfach nur die Ausgeburt des puren Bösen, sondern war einst eine eigentlich ganz normale junge Frau in einer entlegenen kleinen Neuengland-Siedlung namens Union. Auf ihrer Suche nach einem Weg, Freundin Sam zu retten und den Fluch zu beenden, erhält Deena nun direkten Einblick in die Vorgänge, die den Fluch der Hexe Fier in die Welt brachte. Deena selbst schlüpft in die Rolle von Sarah Fier. Gleich mehrere Gesichter kehren in „1666“ zurück, als wären wir hier bei „Cloud Atlas“. Ob Sarahs Bruder Henry, die Freunde Lizzie und Isaac, Trunkenbold Thomas oder Hannah, die Tochter des Pfarrers – sie alle sind uns durch ihre Darsteller bekannt und schlüpfen in ganz ähnliche Rollen. So beginnt ein Spiel aus Doppelungen und Wiederholungen, mit neuen Kontexten von bereits gesehenen Details. Das ist zur Hälfte recht geschickt gemacht, verstärkt den thematischen Unterbau und die Erzählart, ist zur anderen Hälfte aber auch Prequel-„Malen nach Zahlen“ der frustrierenden Art.

Dennoch, hier passiert etwas. Was genau passiert bzw. wohin uns diese Geschichte führen will, ist leider leicht zu durchschauen und frühzeitig zu erkennen, doch spätestens hier geht das Spiel mit den nostalgischen Genreverweisen auf. Irgendwie gelingt den Filmen der eigenwillige Sprung als Hommage in Sachen Anspielungen von „Scream“, zu „Freitag der 13.“ hin zu einem Film wie „The VVitch“. Entsprechend ernster und weniger augenzwinkernd ist man hier unterwegs, stürzt sich geradewegs in eine nicht subtile, aber doch halbwegs treffende Kernidee, einem zentralen Anliegen, was man mit diesem Spuk eigentlich bezwecken will. Das World Building zur Hexe Fier schafft neue Blickwinkel. Und natürlich: in einer Filmreihe, deren Schauplätze Sunnyvale und Shadyside heißen, in der die böse Hexe Fier (also fear) heißt, sollte man bei sprechenden Namen jeglicher Art hellhörig werden.

Aus dem quasi komplett humorbefreiten, dramatischen und ernsten 1666 geht es aber natürlich irgendwann zurück in die Gegenwart von 1994 und damit zurück in einen Film, der zwischen augenzwinkernder Referenz, krudem Humor und wilden Genrespielereien pendelt. Die gesammelten ernsten Anliegen sollen nun „Pop Art“ Style für den finalen Gang hergerichtet werden. Diese ruppigen Stimmungswechsel kann man als erzählerischen und stilistischen Mut auslegen, doch so wirklich harmonisch zusammenpassen will das alles nicht. Plötzlich scheint man doch wieder mit einer „Hauptsache es macht Laune“ Attitüde unterwegs zu sein und verliert Nuancen der gesammelten Ansätze, die ja nun gar nicht so außergewöhnlich gut herausgestellt waren. Durch die historische Dimension bekommt diese Geschichte eine Größe, ja eine „episch“ anmutende Stimmung, die Regisseurin Janiak regelmäßig auskosten will und das auch tut. Einen gewissen Flair kann man den drei Filmen nicht absprechen. Doch jedes Mal, wenn man Janiak dafür beglückwünschen will, wird der Moment durch einen mittelprächtigen Gag oder durch deplatzierte „Pulp“ Anleihen wenn nicht zerschossen, dann doch zumindest ein kleinwenig untergraben. Das ist bedauerlich für eine Filmtrilogie, die als behäbiger Genre-Spaß begann, dann aber durchaus Ambitionen erkennen ließ und diese auch bis zum Schluss verfolgte. Wie man die abschließende Rechnung aus Aufwand und Ertrag bewertet, bleibt die zentrale Frage für den Zuschauer.

Fazit:
Die „Fear Street“ Trilogie will einerseits stilisierte Horrorunterhaltung sein, hat andererseits größere erzählerische Ambitionen. Als bloße Unterhaltung zu banal, brauchen die größeren Vorgänge ein wenig Zeit und Entgegenkommen des Zuschauers, machen das Projekt aber insgesamt sehenswert.

6/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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