BG Kritik: „Da 5 Bloods“

18. Juni 2020, Christian Westhus

Nach seinem Oscargewinn für das Drehbuch zu „BlacKkKlansman“ darf Filmikone Spike Lee via Netflix aus dem Vollen schöpfen und schickt fünf schwarze Kriegsveteranen zurück in den Dschungel von Vietnam, um dort die Überreste eines gefallenen Kameraden zu bergen und ganz nebenbei auch, um einen damals versteckten Goldschatz zu finden und an sich zu nehmen.

Da 5 Bloods
(USA 2020)
Regie: Spike Lee
Darsteller: Delroy Lindo, Clarke Peters, Jonathan Majors, Norm Lewis, Isiah Whitlock Jr., Chadwick Boseman, Johnny Trí Nguyễn u.a.

Wer sich angesichts des etwas humorvoll erscheinenden Slang Titels bereits auf lockere Filmunterhaltung eingestellt hat, wird schnell eines Besseren belehrt und zurück in die Realität geholt, nein, gezerrt. Unterlegt durch Marvin Gayes „Inner City Blues“ serviert Regisseur Spike Lee für die Eröffnungstitel eine realweltliche Montage aus historischen Aufnahmen, Nachrichtenbildern, Interviews und Fotos. Ein Querschnitt durch die 60er und frühen 70er Jahre der USA, durch Demonstrationen, Rassenunruhen, die Mondlandung, Antikriegsdemonstrationen und natürlich, in aller Deutlichkeit, Vietnam, mit einigen Bildern und Momenten, die bis heute weltbekannt und schockierend sind. In alledem, natürlich, ganz zentral die Rolle schwarzer Demonstranten, schwarzer Mordopfer, schwarzer Aktivisten und schwarzer Soldaten. Es sind reale Dokumente, die diesen Film auf den Weg bringen. Ein bekanntes Stilelement des Regisseurs und ein wiederkehrendes Element in diesem Film. Wenn „Da 5 Bloods“ dann nämlich doch immer mal wieder droht, eine gewöhnlich unterhaltsame Schatzsuche vor vager Kriegskulisse zu werden, also 5 Bloods statt Three Kings, kommen diese realen und oft grausamen Einschübe wie linke Haken, wie folgenschwere visuelle Fußnoten, die eine Referenz, eine genannte Person oder die Geschichte eines Ortes in einen realen Kontext setzen. Man kann amerikanische Ex-G.I.s nicht einfach so als Schatzsucher durch Vietnam spazieren lassen. Und schwarze G.I.s erst recht nicht.

Lee und seine drei Drehbuch Ko-Autoren sind sich bewusst, dass sie hier nicht nur eine einzige geschlossene Geschichte erzählen können, dass ein Teil dieser Geschichte nicht ihnen gehört. Zwar bleibt eine echte vietnamesische Perspektive aus und doch gibt es zahlreiche Einflüsse und Ideen, die sich dieser perspektivischen Diskrepanz zumindest annähern. Eine frühe Szene in einer Bar serviert uns direkt ein gutes Dutzend visueller und erzählerischer Hinweise, dass wir, wie auch die 4 verbliebenen Bloods, auf unsicherem Terrain wandeln. Von kurios und seltsam bis zu unangenehm und bedrohlich reichen die Momente, von bettelnden Kindern und spendierten Drinks hin zu „Apocalypse Now“ Dekoration. Apropos: natürlich darf auch Wagners „Ritt der Walküre“ nicht fehlen, denn dieses Musikstück hat mittlerweile ebenso viel mit Vietnam zu tun wie mit den Nibelungen, wenn nicht gar mehr. Auch der vermeintliche Goldschatz ist nicht einfach nur ein Goldschatz, sondern war und ist ein Objekt von kompliziert verästelter politischer Brisanz. Die Frage nach dem Besitzanspruch auf das Gold, ob emotional oder politisch, ist ein Kernmotiv eines Films, der jederzeit weiß, dass es keine einfachen Antworten oder Lösungen geben kann.

© Netflix

Mit jeweils offizieller Erlaubnis der amerikanischen und vietnamesischen Regierung, um die Überreste des gefallenen Kameraden zu bergen, begeben sich die Freunde mehr als vier Jahrzehnte später wieder in den Dschungel. Und so kommt auch die Erinnerung zurück. Für die Flashbacks passt Lee das Seitenverhältnis und die Bildqualität an, denkt aber nicht einmal daran, die vier überlebenden Bloods neu zu casten oder so herzurichten, dass sie 40+ Jahre jünger aussehen. Das ist kein Fehler oder gar Faulheit. Vielleicht waren vier der fünf Blutsbrüder schon damals alt. Sinniger erscheint, dass sie den Dschungel nie so recht hinter sich lassen konnten. Und treffender umschreibt man diesen Film als Geschichte zweier Kriege, die bis heute andauern: Vietnam und der Kampf um Bürgerrechte. In diese Wunde sticht auch Radiosprecherin Hanoi Hannah, die hinterfragt, warum schwarze G.I.s diesen „Amerikanischen Krieg“ überhaupt austragen.

Diese thematische Verbindung hat sich durch die Eröffnung früh genug festgesetzt und begleitet uns immerzu, wenn sich die Gruppe auf ihre Reise begibt, wenn sie wie Captain Willard in „Apocalypse Now“ aus der Metropole Saigon/Ho-Chi-Minh-Stadt über Flusswege tiefer ins Landesinnere eindringt. Die Erinnerung an die Eröffnung beeinflusst Momente der unterhaltsam-sympathischen Kollegialität unter den Schatzsuchern. Dann weicht die Freude über gefundenes Gold kurz darauf Sorge und Spannung, denn man führt doch nicht ohne Grund eine kleine Gruppe Europäer ein, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die vergessenen Minen des Dschungels zu finden und zu entschärfen. Oder? Doch selbst dieses Spannungselement rückt in den Hintergrund, wenn uns wieder bewusst wird, warum wir eigentlich hier sind, warum wir Spike Lee und seinen 5 Bloods in den Dschungel Vietnams gefolgt sind.

© Netflix

Es sind fünf ehemalige Kameraden, fünf Freunde, fünf Brüder, doch so richtig stehen höchstens drei von ihnen im Fokus, darunter der damals gefallene Stormin‘ Norman („Black Panther“ Chadwick Boseman), der nicht nur militärischer und moralischer Taktgeber war, sondern auch heute noch symbolisch das Geschehen beeinflusst. Otis (Clarke Peters) hat persönliche Verbindung nach Vietnam in Gestalt von Tiên (Lê Y Lan), einer damaligen Prostituierten, die inzwischen zu einer Geschäftsfrau geworden ist. Doch als sanfter und gewissenhafter Mensch bildet Otis auch bald das Gegenstück zur eigentlichen Hauptfigur, Paul, gespielt von Spike Lee Veteran Delroy Lindo. Paul bringt eine gewaltige und größtenteils unausgesprochene Last mit nach Vietnam, die wesentlich mehr umfasst als Kriegstrauma und ein schwieriges Verhältnis zu seinem Sohn, der sich ungeplant dem Trupp anschließt. In Paul kommen die komplizierten Widersprüche dieser Situation besonders deutlich zum Vorschein. So latscht er nicht zuletzt tatsächlich mit Make America Great Again Hut durch den Dschungel (nein, das meint er nicht ironisch) und gerät irgendwann in einen bewusst artifiziellen Monolog, der an Edward Nortons legendäre Wutrede aus „25th Hour“ erinnert, aber nicht ganz dessen Intensität erreicht. Dennoch liefert Lindo mit dieser wunderbar komplexen Figur eine herausragende und erinnerungswürdige Leistung ab.

„BlacKkKlansman“ war ein mehr als sehenswerter Film, doch von ein paar ein urtypischen Lee-Spleens (Double Dollys, die Abschlussmontage) abgesehen gehört er auch zu den saubersten und massentauglichsten Filmen in Lees Karriere. Und während „Da 5 Bloods“ vielleicht nicht ganz der flirrend intensive Stilwahnsinn ist, den z.B. der Trailer andeutete, ist dieses Werk in seinem Ideenreichtum, seiner Fabulierfreude, seiner ungehobelten und unbeherrschten Art, ja sogar in seiner latenten Überlänge wesentlich deutlicher und unverkennbarer ein Film dieses Regie-Unikats. Eben ein echter Spike Lee Joint.

Fazit:
Ein unverkennbarer Spike Lee Film. Kriegsdrama, Schatzsucherabenteuer und doch jederzeit eine politisch motivierter Kampfschrei vor kompliziert verästeltem Hintergrund.

8/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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