Treasure Tuesday Spezialkritik: Die Abenteuer des Prinzen Achmed
Gemeinsam tolle Filme kennen lernen. Zum Beispiel einen der ausgewählten Schätze, die wir wöchentlich beim Treasure Tuesday vorstellen. Vergessene Filme, unterschätzte Filme, alte Filme, fremdsprachige Filme. Filme, die sich lohnen, auch wenn gerade nicht die halbe Welt über sie spricht. Heute begeben wir uns weit in die Vergangenheit und in ferne Phantasiewelten, die märchenhaften Reiche aus dem ältesten erhaltenen Animationsfilm in Spielfilmlänge, „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ von 1926.
Die Abenteuer des Prinzen Achmed
(Deutschland/Weimarer Republik 1926)
Regie: Lotte Reiniger
Was ist das für ein Film?
Der älteste noch erhaltene abendfüllende Animationsfilm, Lotte Reinigers „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ ist ein Scherenschnitt-Silhouettenspiel und greift dabei inhaltlich Versatzstücke aus der Märchensammlung „Tausendundeine Nacht“. In verblüffend ausdrucksstarken und lebendigen Bildern erzählt Reiniger in nicht einmal 70 Minuten von tapferen Prinzen, bösen Zauberern, entführten Prinzessinnen, fliegenden Pferden, magischen Lampen und fernen Ländern. Ein böser Zauberer kommt an den Hof des Kalifen, bedroht Prinzessin Dinarsade und schickt ihren Bruder Achmed auf eine wilde Odyssee. Auf dieser Reise durch Arabien, Afrika und China begegnet Achmed der geheimnisvollen Herrin Pari Banu, kämpft auf einem Vulkan, erwehrt sich gegen ein unheimliches Monster und begegnet Aladin, ja, genau dem Aladin, der mit der Wunderlampe. Nach dieser fragt auch direkt Achmed, der Aladin aus einer brenzligen Lage befreit. Es ist märchenhaftes Abenteuer, gleichermaßen altmodisch und zeitlos, in einigen Facetten vertraut und doch ganz neu und frisch erzählt.
Warum sollte mich das interessieren?
Es gibt gleich mehrere Gründe, warum man „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ etwas genauer betrachten sollte. Aus künstlerischer und politisch-historischer Sicht ist der Deutsche Film vor 1933 immer interessant, egal in welcher Form. Zudem nimmt dieser animierte Ausflug in die Phantastik und in ferne Länder eine spannende Sonderrolle an. Natürlich geht das heutige Auge etwas anders mit der Exotik der Handlung um, doch nicht nur ist dieser Maßstab fast immer unfair für bald einhundert Jahre alte Filme, auch nimmt sich Reiniger mit ihren Kollegen Carl Koch, Walter Ruttman, Berthold Bartosch und Alexander Kardan der „Abenteuer aus Tausendundeiner Nacht“ Vorlage relativ direkt und unverfälscht an.
Ein weiterer Grund: Noch heute sind Frauen als Regisseure unterrepräsentiert, im Animationsbereich noch einmal mehr. Lotte Reiniger war nicht nur die Chefin in der Entstehung dieses Films, sie leistete als aktive handwerkliche Künstlerin Pionierarbeit bei der Konzeption von Scherenschnitten zu Animationszwecken. Inspiriert von chinesischem Silhouettentheaters entwickelte Reiniger ihren Scherenschnittstil weiter, arbeitete als Titeldesignerin und veröffentlichte bereits 1919 ihren ersten animierten Kurzfilm, „Das Ornament des verliebten Herzens“. Qualität, Einfluss und Wirkung ihrer Filme war so groß, dass Reiniger im Laufe ihrer Karriere mit großen Künstlern aus Musik und Film direkt zusammenarbeitete, darunter Igor Strawinski, Benjamin Britten und Jean Renoir.
Reiniger blieb nicht die einzige Künstlerin, die sich mit aufwändigem Scherenschnitt in Animationsfilmen ausdrückte, doch mit dem Aufkommen der lange Zeit klassischen Zell-Animation fand das populäre Kino seine „bevorzugte“ Präsentationsform für animierte Geschichten. Dass Silhouetten und Scherenschnitt hinter der in Farbe, Bewegung und Details potentiell ausdrucksstärkeren Handzeichnungsanimation zurückfielen, ist im Grunde nur zu verständlich. Doch man braucht sich nur einmal in Lotte Reinigers Welten begeben, um zu erkennen, dass diese Formen aus Licht und Dunkelheit noch heute eine ungemeine Faszination und Bildgewalt ausüben können. Und die phantastischen Welten aus „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ sind womöglich der größte und faszinierendste Beweis für die Expressivität dieses Stils. Und dafür, dass Animation – heute mehr denn je – mehr sein kann und mehr sein muss als die populärste Ausdrucksform einer jeweiligen Ära.
Dieser Film ist erhältlich auf DVD und Blu-ray.
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