BG Kritik: „In meinem Himmel“ – „The Lovely Bones“

1. Januar 2020, Christian Westhus

Nach „Herr der Ringe“ und „King Kong“ adaptiert Peter Jackson den gefeierten und preisgekrönten Jugendroman von Alice Sebold, in dem ein emordetes Mädchen auf die Welt der Lebenden zurückblickt, auf ihre Eltern, ihre Schwester und den Mann, der sie tötete.

In meinem Himmel
(Originaltitel: The Lovely Bones | USA, UK, Neuseeland 2009)
Regie: Peter Jackson
Darsteller: Saoirse Ronan, Mark Wahlberg, Rachel Weisz, Stanley Tucci u.a.
Kinostart Deutschland: 18. Februar 2010

Anmerkung: Diese Kritik wurde ursprünglich zum deutschen Kinostart 2010 veröffentlich. Diese in der Grundaussage unveränderte, textlich leicht veränderte Übertragung ins neue Darstellungssystem erschien 08/2020.

Literaturverfilmungen sind beliebt, aber tückisch. Für die Macher, aber in erster Linie für den Zuschauer. So tückisch, dass man sich eigentlich am besten immer nur für eine Seite entscheiden sollte, was aber natürlich faul und langweilig ist. Ob Buch oder Film, was zuerst prägt, prägt am stärksten. Dennoch sorgen Vorlagenkenntnis und Mediumswechsel besonders in einer Richtung für besondere Schwierigkeiten. So oft es auch versucht wird, aber ein gutes Buch verwandelt sich nicht so ohne Weiteres in einen guten Film. Und wer liest überhaupt noch den Roman, wenn man ohne Vorlagenkenntnis die misslungene Verfilmung schaut?

Peter Jacksons Adaption von Alice Sebolds „The Lovely Bones“ macht eigentlich schnell klar, dass auch abseits der naturgemäßen Adaptionsveränderungen einige Freiheiten genommen wurden. Womöglich ist diese Filmadaption so eine Ausnahme, die beide Parteien, die Kenner und Nicht-Kenner der Vorlage, zum Buch zurückgehen lässt. Die eine Seite, um es noch lieber zu gewinnen, es quasi therapeutisch gegen das unterkühlte Kinoerlebnis einzusetzen. Die andere Seite, um zu verstehen, was dieser so außergewöhnlich gescheiterte Film eigentlich mal werden sollte oder hätte werden können. War das Buch ein hochemotionales Drama um die komplexen Gefühlswelten und zwischenmenschlichen Verstrickungen der Charaktere, ist „In meinem Himmdel – Der Film“ ein großer, computergenerierter Klotz. Ein Klotz, dessen stetes Bemühen und Eifern um Emotionen spürbar ist, ohne dass tatsächliche Regungen nennenswert möglich sind. Er lässt kalt, was in einer Geschichte um ein ermordetes Mädchen so ziemlich das schlimmste Urteil sein dürfte.

Vor einigen Jahren galt Peter Jackson noch als schwarzhumoriger Macher blutiger Splatterfilme und bewies mit „Heavenly Creatures“, dass er auch sensiblere Töne beherrscht. Situation und Filme sind gut vergleichbar, tauchen in „Heavenly Creatures“ doch zwei junge Mädchen in eine fantasievoll gestaltete Traumwelt ein. Dort stand der Gewaltakt am Ende, hier am Anfang. Leider aber ist „The Lovely Bones“ kein kleines Drama geworden und leider funktionierte die fantasiereiche Traumdarstellung damals besser. Vielleicht, weil Jackson nicht mehr als Indie-Splatter Regisseur ein fantasievolles Drama erzählen wollte, sondern weil er sich nun nach „Der Herr der Ringe“ als vielfach oscarprämierter Blockbusterregisseur und VFX-Pionier einem emotionalen Jugenddrama nähert. Jackson benötigte beinahe ein dreistelliges Millionenbudget um diesen Film zu stemmen, dabei wäre eine gute Adaption des Romans mit einem Viertel davon problemlos zu machen gewesen. Effektfirma „Weta“ musste wohl ausreichend beschäftigt werden, denn anders ist diese Effektüberflutung nicht zu erklären. Jackson klotzt und protzt und das zwar bildgewaltig, aber ohne Gespür für eine ausgewogene Erzählweise.

© Paramount

In Buch und Film ist Susie nach ihrem Tod ein eher passiver Charakter, ist Beobachterin und Erzählerin, doch das Drehbuch findet dafür keine effektive Entsprechung, fügt reichlich Szenen aus der Zwischenwelt ein, in denen Susie zumeist allein agiert. Schon die chronologische Strukturierung des Films simplifiziert das gesamte Geschehen. Statt mit dem Mord, beginnt der Film mit Susie als Kleinkind, mit ihren jungen Eltern und kurzen Impressionen aus Susies Lebzeiten. Das kann man so machen, doch leider ist das was nun folgt die lineare Geschichte eines Verbrechens und der Auswirkungen. Die Familie leidet, der Vater sucht einen Schuldigen, der Täter versucht unentdeckt zu bleiben und die Zeit vergeht. Eine frühe Szene mit Susie im Badezimmer ihres Mörders ist wahrlich von Meisterhand gezeichnet. Atmosphärisch, bedrückend und stilistisch originell. Leider fast ein Einzelfall. Die wunderbar arrangierten, assoziativen „Flashbacks“ des Buches, mit vielen anschaulichen Szenen aus Susies Leben, die mit der gegenwärtigen Entwicklung verknüpft wurden, die fehlen.

Natürlich muss man sich damit abfinden, dass in einer Filmadaption manche Faktoren der Vorlage zwangsläufig wegfallen müssen. Jackson und sein Drehbuchteam erleichtern die Vorlage aber beinahe um jedes entscheidende Detail, um nahezu jede wichtige Note, und verplempern die kostbare Laufzeit mit redundanten Fantasy-Sequenzen in der Zwischenwelt oder bildgewaltig verbuchstäblichten Metaphern. So aufwendig es vielleicht gemacht sein mag, aber Susie muss mit ihrer Freundin aus der Zwischenwelt nicht über seltsame Grasplaneten hüpfen. Im Himmel eiert ein gigantischer Regenbogenball über einen Bergsee mit Wasserfall, während vor Mark Wahlberg eine Rose erblüht. Es sind teils unfassbar einfältige Kitsch-Szenen mit eher wenig subtiler Symbolik, die hier digital aufgeblasen werden. Selbst einige der besseren Ideen, z.B. die Puppenhäuser im Haus von Täter Mr. Harvey (Stanley Tucci), verkommen schnell zu technisch toll gemachten Plattitüden.

© Paramount

Der gestalterische (und zeitliche) Aufwand dieser Momente steht in keinem Verhältnis zum erzählerischen oder emotionalen Ertrag. Darunter leiden so ziemlich alle Figuren und damit die Elemente, um die es eigentlich gehen sollte. Mark Wahlbergs Vaterfigur wird auf die übermotivierte Tätersuche reduziert, Susan Sarandon kann als Oma trotz engagierter Leistung nicht viel bewegen und Rachel Weisz fehlt für Nuancen ihrer Figur und ihrer Aktionen schlicht die Zeit. Die wichtige Entscheidung, die die Mutter irgendwann trifft, scheint nur halbherzig begründet, löst sich im Gefühlsvakuum auf, ohne irgendwelche Konsequenzen zu tragen. Die Szene ist im Film drin. Das war’s. Mit am härtesten betroffen ist Susies jüngere Schwester Lindsay. Im Buch sicherlich eine der drei wichtigsten Figuren unter den Lebenden, hat sie im Film nicht mehr zu sein als Stichwortgeberin, deren Entschlossenheit in einer Hitchcock’schen Suspense-Szene ihren zwar spannenden, letztendlich aber wenig ergreifenden Höhepunkt findet. Dass Lindsay quasi das Leben für Susie weiter führt, Susie in das Leben einer Erwachsenen leitet, wird im Film mit einem einzigen Satz angerissen und reduziert sich noch auf den schwesterlichen Konkurrenzkampf, dass sie Susie nun an Erfahrung überholt hat.

Für Nicht-Kenner des Buches, sieht die Sache anders und letztendlich doch ähnlich aus. Die aufwendig gestalteten Bilder sind hübsch anzuschauen, doch das menschliche Drama will darunter einfach nicht gedeihen. Viele Handlungen und Entwicklungen dürften ohne Vorkenntnisse unvollständig und/oder verwirrend sein. Susie wird als Charakter, vor und nach der Tat, nie wirklich klar. Spätestens beim esoterischen Finale dürfte man sich schnell fragen, was der Unfug eigentlich soll. Wir können mit den Figuren zu wenig anfangen, um die Sache richtig zu begreifen und die Ausmaße zu erfassen. Im besten Fall holt die Musik ein paar Kohlen aus dem Feuer, wenn Elizabeth Frasers Stimme mit „Song to the Siren“ einem Moment Gänsehaut verleiht. Alice Sebolds Buch ist ein sonderbares und einzigartiges Werk, ein besonderes Buch, was Peter Jackson nach eigener Aussage wohl genauso sieht. Schade nur, dass er daraus kein filmisches Gegenstück machen konnte. „In meinem Himmel – Der Film“ kann sich nie so recht entscheiden, was hier eigentlich versucht werden soll: es ist ein erschütterndes Drama, ein Krimi-Thriller, ein Coming-of-Age Film, abstraktes Symbolkino und ein mit Computereffekten überladener Blockbuster. Eine Mischung, die auch einem so talentierten Erzähler wie Peter Jackson (und seinen Ko-Autorinnen) nur schwer gelingen kann.

Fazit:
Man könnte Peter Jacksons Bestselleradaption ambitioniert nennen, doch tatsächlich verzettelt er sich in wilden und aufwendigen Effektszenen und vergisst darauf Figuren, Entwicklung und Dramatik. Vielleicht mal ein etwas anderer, bildgewaltiger Blick auf ein Drama, doch letztendlich ist man mit der literarischen Vorlage deutlich besser beraten.

4/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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