BG Kritik: „Raya und der letzte Drache“

8. Juni 2021, Daniel Schinzig

Der neue Disney-Animationsfilm: Kriegerin Raya zieht durch die fantastische Welt Kumandra, um den letzten Drachen und fünf Teile eines Kristalls zu finden, verfeindete Clans zu einen und eine böse Macht zu vertreiben. Viel zu tun also für den neuen Disney-Charakter.

Raya und der letzte Drache
(Originaltitel: Raya and the Last Dragon | USA 2021)
Regie: Don Hall, Carlos López Estrada
Sprecher (Original): Kelly Marie Tran, Awkwafina, Benedict Wong, Alan Tudyk
Blu-ray und DVD Release Deutschland: 27. Mai 2021 | Seit 4. Juni 2021 im regulären Angebot von Disney+

Die Animationsfilme des Mäusekonzerns haben uns schon immer gerne an fremde Orte geführt. Allein in den vergangenen Jahren lernten wir mit Prinzessin Elsa ein pompöses Königreich und einen verwunschenen Wald kennen, machten mit der nörgelnden Videospielfigur Ralph das Internet unsicher und bekamen mit Vaiana einen Einblick in die polynesische Mythologie. Doch selten hatte eine Disney-Fantasy-Welt eine so ausgiebige Hintergrundgeschichte wie „Raya und der letzte Drache“. Das ist cool, fühlt sich Kumandra doch auf diese Weise äußerst lebendig an. Aber dieser Umstand führt auch zu einem Problem, das verhindert, dass der 59. Film der Walt Disney Animation Studios ganz oben mitspielt.

Die beiden Regisseure Don Hall und Carlos López Estrada haben viel vor mit ihrem wilden Abenteuer. Das wird von Beginn an klar: Kaum haben wir einen Blick auf den dystopischen Jetzt-Zeit-Zustand von Kumandra geworfen, werden uns Geschehnisse von vor 500 Jahren in einem wundervollen Zeichentrick-Stil nähergebracht. Doch damit ist der Prolog noch lange nicht abgeschlossen: Rund 20 Minuten wird es dauern, bis wir wieder in der Zeit der eigentlichen Handlung angelangt sind. Zeit, die notwendig ist für das World-Building und für die Einführung der Charaktere und der Konflikte. Zeit, während der wir mit Schauwerten, Action und großen Emotionen konfrontiert werden. Aber Zeit, die dem 103 Minuten langen Film am Ende für die Haupthandlung fehlt. „Raya und der letzte Drache“ fühlt sich mitunter schlicht zu kurz an für das, was er erzählt.

Darf in keinem Disney-Animationsfilm fehlen: Das süße Vieh mit den Kulleraugen.

© Disney

Denn zurück in der „Mad Max“-Variante von Kumandra, muss es schnell gehen: Zügig findet Raya die Drachendame Sisu und erweckt sie zum Leben. Und von da an geht es gemeinsam durch die fünf Regionen, um Teile eines Kristalls zu finden. Oberflächlich betrachtet rückt das Animationsabenteuer so sehr nah an typische Videospieldramaturgie heran: Eine toughe Heldin mit äußerst cooler Waffe, abwechslungsreich gestaltete Level, verschiedene Quests, natürlich ein paar Kämpfe. Und zu gerne würde man hier und da zum Controller greifen wollen, um an einigen Orten etwas länger zu verweilen, zu forschen, etwas zur Ruhe zu kommen. Doch nix da, denn wir haben ja keine Zeit. Und so preschen Raya, Sisu und mehr und mehr Verbündete unaufhaltsam voran, wie die Handlung des Films.

„Raya und der letzte Drache“ hätte entweder mit etwas mehr Laufzeit oder mit einer etwas entschlackten Hintergrundstory ein großes Highlight werden können. Die Optik ist fabelhaft, die sich an der südostasiatischen Kultur orientierenden Kulissen imposant, der Score von James Newton Howard im richtigen Maße wuchtig wie emotional, die Action gut choreografiert. Doch wo fast alle filmsprachlichen Mittel große Epik zelebrieren, macht es sich die eigentliche Handlung, das schnelle Abklappern der verschiedenen Regionen, etwas zu einfach.

Die Charaktere jedoch funktionieren prächtig und gehören zu den Gründen, weshalb „Raya und der letzte Drache“ vielleicht nicht bei den ganz großen Studio-Verwandten mitmischt, aber eben doch ziemlich weit oben. Raya selbst ist eine zielstrebige Kämpferin, die nach einer großen Enttäuschung in der Kindheit ein Vertrauensproblem hat. Sisu wiederum ist als Sprüche klopfendes Gegenstück konzipiert: Sie will stets das Gute sehen. Zwar wirken ihre Coolness und einige Sprüche etwas aufgesetzt, aber dafür ist sie auch wesentlich mehr als nur der witzereißende Sidekick. Dazu gesellen sich das typische Disney-Wesen mit Kulleraugen – diesmal ein rollendes Reittier namens Tuk Tuk – und weitere Weggefährten, die allesamt schnell ins Herz geschlossen werden, zum Lachen bringen und gleichfalls für tiefgreifendere Momente sorgen. Und selbst die Antagonistin darf wesentlich mehr machen, als nur fies in die Kamera zu grinsen.

Nicht nur als Drache unterwegs: Sisu.

© Disney

Und dann ist da noch der thematische Überbau des Ganzen: die schädigenden Auswirkungen von Zwietracht und das heilende Wesen von Vertrauen. Das zieht sich gradlinig durch die gesamte Erzählung und funktioniert genau deswegen hervorragend. Spätestens das Finale erntet dann, was bis dahin gesät wurde. Und plötzlich lässt „Raya und der letzte Drache“ nicht nur auf hohem Niveau erahnen, welch Potenzial in dem Stoff liegt, sondern spielt es voll aus. Gänsehaut! Und vielleicht – hoffentlich – sind diese wirksamen letzten Minuten ein Versprechen auf eine Fortsetzung, die uns noch viel tiefer in die Welt von Kumandra eintauchen lässt.

Fazit:
„Raya und der letzte Drache“ leidet etwas an seinem holprigen World-Building und der manchmal gehetzten Haupthandlung. Doch coole Action, viele Schauwerte, sympathische Figuren und der funktionierende thematische Überbau lassen die Schwächen schnell vergessen.

7/10

Um an dieser Diskussion teilzunehmen, registriere dich bitte im Forum:
Zur Registrierung