BG Kritik: „Der talentierte Mr. Ripley“ (Treasure Monday)

21. April 2016, Christian Westhus

Die 1950er: Tom Ripley (Damon) gerät durch Zufall an den Großindustriellen Greenleaf Senior und erhält den Auftrag, dessen Sohn Dickie Greenleaf (Law) aus Italien zurückzuholen. Vom italienischen Lebensgefühl und Dickies lebensbejahender Art gepackt, beginnt Ripley ein doppeltes Spiel und ist zunehmend von Dickie fasziniert. Bald schon gibt er sich selbst als Dickie Greenleaf aus…

Der talentierte Mr. Ripley
(Originaltitel: The talented Mr. Ripley | USA 1999)
Regie: Anthony Minghella
Darsteller: Matt Damon, Jude Law, Gwyneth Paltrow, Cate Blanchett, Philip Seymour Hoffman
Kinostart Deutschland: 17. Februar 2000

(Diese Kritik erschien im Rahmen der Kritikenreihe Treasure Monday.)

Trotz fünf Oscarnominierungen und einem halben Dutzend Weltstars hat „Der talentierte Mr. Ripley“ in Sachen Berühmtheit und Ansehen häufig das Nachsehen gegenüber der Romanerstverfilmung „Nur die Sonne war Zeuge“ (mit Alain Delon) und Regisseur Anthony Minghellas eigenem Welterfolg und Oscar-Abräumer „Der englische Patient“ (1996). Dabei ist „Der talentierte Mr. Ripley“ so gut, dass er beiden Filmen problemlos auf Augenhöhe begegnen kann. Wenn nicht gar darüber hinaus. Minghella macht aus Patricia Highsmiths Krimidrama ein emotionales Entwicklungsdrama mit Krimieinflüssen. Es geht weniger darum, ob man Tom Ripley bei seinem Charadespiel auf den Leim geht, oder ob er für schwerwiegendere Taten zur Rechenschaft gezogen wird. Es geht um die Frage, wer Tom Ripley ist und warum er die Dinge tut, die er tut. Tim Ripley ist ein Niemand, doch gleichzeitig könnte er jeder sein. Tom Ripley hat keine Talente, doch gleichzeitig könnte er jedes Talent haben. Das Klavierspiel und eine gute Improvisationsgabe machen Tom mit Greenleaf Senior bekannt und als Tom gegenüber Dickie Stimme und Wortwahl des Seniors imitiert, läuft es nicht nur Dickie eiskalt den Rücken herunter. Toms wirkliches Talent ist seine Anpassungsfähigkeit, seine formbare Charakterlosigkeit.

„Der talentierte Mr. Ripley“ ist ein Film über die Suche nach Identität und Zugehörigkeit. Toms Suche ist nicht direkt eine Suche nach sich selbst, sondern nach einer befriedigenden Rolle, nach Geborgenheit. Es ist auch eine Suche nach sexueller Erfüllung, wobei Tom konsequenterweise sexuell flexibel ist, auch wenn es die Gesellschaft nur bedingt ist. Natürlich nutzt Minghella allerhand Spiegel und Spiegelungen, um die Doppelidentitäten Tom Ripleys darzustellen. Doch Tom Ripley hat gar keine Doppelidentität. Tom Ripley selbst existiert praktisch nicht. Tom Ripley ist ein Grundgerüst, eine Schneiderpuppe, die fremde Gesichter und Kleider trägt und vorgibt, jemand zu sein. So lässt Minghella Matt Damons auf dem geschwungenen Holz eines Konzertflügels gespiegeltes Gesicht zerfließen wie Wachs, sich auftrennen in zwei separate Gesichter.

© Paramount / Arthaus

Matt Damon ist die ideale Verkörperung für Tom Ripley. Unterstützt von Frisuren und Accessoires kann Damon in einer Szene wie ein verklemmter, ständig verunsicherter und körperlich schwächlicher Naivling wirken, in einer anderen Szene wie ein suaver Lebemann, der in Italien das „Dolce Vita“ lebt. Genau das lebt Dickie Greenleaf, gespielt von Jude Law in seiner vielleicht besten Rolle. In perfekter Gewichtung arrogant, eitel, selbstverliebt und doch unwiderstehlich locker, unterhaltsam und faszinierend, zieht Dickie Tom in seinen Bann, ohne zu wissen, wen genau er da in seinen Bann zieht. Marge (Gwyneth Paltrow) ist selbst eine Art Opfer von Dickies vermeintlich sorgenfreier Vergnügungslust und seinen ständig wechselnden Launen. Sie begegnet Tom zunächst mit Skepsis, dann mit Verständnis, als Dickie im Laufe der Zeit – wie so oft – das Interesse an der „Klette“ Tom Ripley verloren hat, lieber mit seinem alten Kumpel Freddie Miles (Philip Seymour Hoffman) durch Jazz Clubs tourt.

Den übergroßen Wust an Nebenfiguren hat Minghellas Script jederzeit unter Kontrolle. Cate Blanchett erweitert Toms Spiel aus Masken und Täuschungen, stellt er sich ihr doch schon früh als Dickie Greenleaf vor und muss dafür sorgen, dass sie nicht auf Marge oder den echten Dickie Greenleaf trifft. Toms Finten und das Vertuschen der bald auch mörderischen Taten erinnert an Hitchcock, doch Minghella hat ständig im Blick, dass hier Chamäleon Tom Ripley halsbrecherisch versucht, seine doppelt gespiegelten Identitäten aufrecht zu halten. „Der talentierte Mr. Ripley“ fühlt sich an wie guter Jazz, wie der, den Dickie dem eigentlichen Klassik-Liebhaber Tom Ripley näher bringt. Langsam, schwermütig, melancholisch, aber auch voller Leidenschaft und gelegentlicher Lebensfreude. Minghella filmt das Italien der 1950er in edlen Bildern als sonnendurchflutetes Zentrum der genießenden Welt, in dem ein Haufen Amerikaner ihre hedonistischen Wünsche ausleben oder alles daran setzen, diese Wünsche zu entwickeln und zu verinnerlichen.

Fazit:
Edel-schwermütiges Krimidrama in wunderbaren Bildern. Mit einer Vielzahl spannender Nebenfiguren, gespielt von glänzenden Darstellern, fasziniert insbesondere Hauptfigur Tom Ripley als von Sehnsüchten geleitetes Chamäleon.

9/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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