BG Kritik: „The Midnight Sky“

28. Dezember 2020, Christian Westhus

Science-Fiction Überlebensabenteuer bei Netflix, mit George Clooney vor und hinter der Kamera. Die Erde ist im Eimer und ein letzter Forscher einer ansonsten verlassenen Arktisstation funkt ins All, um ein Raumschiff zu warnen, welches gerade von einer Mission zurückkehrt und noch nichts vom Weltuntergang weiß.

The Midnight Sky
(USA 2020)
Regie: George Clooney
Darsteller: George Clooney, Felicity Jones, David Oyelowo, Caoilinn Springall, u.a.
Veröffentlichung: 23. Dezember 2020 (Netflix)

Der Weltraum – unendliche Weiten. Mal wieder. Es ist aber auch der Weltraum als Chance auf eine Flucht und auf einen Neuanfang. Einen solchen Neuanfang braucht die Menschheit in „The Midnight Sky“, der neuen Regiearbeit von George Clooney, der hier als berühmter Astronom Augustine Lofthouse auch die Hauptrolle gibt. Es ist das Jahr 2049 und die Welt ist im Eimer. Eine globale Katastrophe zieht über die Erde; eine bis zum Ende hin nur vage erklärte ökologisch-klimatische (vermutlich radioaktive) Ausnahmesituation, die bald den gesamten Planeten einnimmt und die wenigen Überlebenden in unterirdische Bunker flüchten lässt. Den gesamten Planeten? Nein, Professor Lofthouse bleibt als alternder, miesepetriger und schwer kranker Mann alleine auf einer Forschungsstation in der Arktis zurück, um die Stellung zu halten und – so die unausgesprochene Wahrheit – um irgendwann alleine zu sterben. Doch Augustine bleibt nicht lange allein, denn ein stummes kleines Mädchen namens Iris hat sich in der Station versteckt.

Parallel dazu befindet sich das Raumschiff Aether nach zwei Jahren im All auf dem Weg zurück zur Erde und ahnt noch nichts von der dortigen Katastrophe. Die Aether erforschte den Jupitermond K23, den insbesondere damalige Forschungen von Augustine Lofthouse als bewohnbaren Erd-Ersatz ins Auge gefasst hatten. Und die Mission war erfolgreich: K23 ist im orangenen Schatten des großen Jupiter reif, eine Kolonie für Menschen zu werden. Die fünfköpfige Besatzung (Felicity Jones, David Oyelowo, Kyle Chandler, Tiffany Boone, Demián Bichir) muss zunächst einen ungeplanten Mini-Umweg und die damit verbundenen Konsequenzen meistern, ehe sie sich den Problemen auf und mit der Erde annähern können. In der Arktis wagt Augustine derweil mit seiner stummen Begleiterin die Flucht vor den nahenden Giftwolken und hin zu einer größeren Station mit besseren Funkmöglichkeiten, um die Aether zu warnen. Denn der restliche Planet ist praktisch tot, mit niemandem sonst, der ins All funkt und warnen könnte.

© Netflix

Basierend auf dem Roman „Good Morning, Midnight“ (erschienen 2016) von Lily Brooks-Dalton ist „The Midnight Sky“ menschelnde und (relativ gesehen) realistische Science-Fiction. Trotz futuristischem Interieur ist die Aether von außen ein nachvollziehbar konstruiertes Allerlei der zeitnahen Kino-Raumfahrt, mit Rotationsarmen für künstliche Schwerkraft, großen Sonnensegeln, Gewächshäusern und brachialen Schutzschilden. Auch in der Arktis bleibt der Futurismus im oberflächlichen Design und entwickelt sich ansonsten fast altmodisch, als ginge es um irgendeine Expedition unserer Gegenwart. Das Unrealistischste dieser Passage ist ein ungewolltes Eisbad, welches trotz (wortwörtlich!) arktischer Temperaturen größtenteils folgenlos bleibt. So wagt sich George Clooney als Regisseur mit teils beachtlicher Effektgewalt (das Budget lag bei angeblichen $100 Mio.) auf ein doppeltes Abenteuer, auf einen zweifachen Überlebenskampf, trotzend gegen Witterungen und höhere Umstände. Und als wäre dieses Hin und Her zwischen den Schauplätzen nicht schon genug, bekommen wir gelegentliche Flashbacks aus Augustines Leben, wie er in jüngeren Jahren die eigene Forschung über privates Glück setzte.

Obwohl Clooneys Rolle in ihrer bitteren Verdrossenheit ähnlich wortkarg daherkommt wie das tatsächlich stumme Mädchen an seiner Seite, sind diese Passagen besonders gelungen. Die Reise durch Eis, Schnee und Sturm ist nicht besonders spannend, aber zwischen den beiden Reisenden spürt man trotz weniger Worte die Nähe, die emotionale Verbindung und dadurch auch so etwas wie Dramatik. Dies kann man über die Besatzung der Aether leider nur bedingt sagen. Die Idee eines interaktiven Video-Fotos ist noch der beste Weg, um einen Zugang zu diesen rein funktionellen Figuren zu finden, und reicht dennoch nicht aus. Ein seltsamer Traum der schwangeren Astronautin Sully (Jones) irritiert mehr und wird selbst von ihr als quasi-humorvolle Lappalie abgetan, dient nur dazu, dem Zuschauer einmal den Jupiter-Horizont in ganzer Pracht zu zeigen. Und ja, es ist eine Pracht, doch es führt auch zu nichts. Die Hindernisse und Probleme der Raumfahrt wurden durch die Dopplung mit der Erdenhandlung bereits ihres Spannungspotentials beraubt und sind auch dann noch höchstens solide inszenierter Standard des Genres. Sogar der vielbeschäftigte Alexandre Desplat kann dem Geschehen durch seinen Musikscore nicht wirklich unter die Arme greifen. Es bleibt eine Geschichte, die durch die vorlagenbedingte Handlungsstruktur unruhig wirkt, die durch die Filmadaption zeitbedingt dünn gerieben und die von Clooney als Regisseur ohne größere Fehler, aber auch ohne größere Inspiration in Szene gesetzt wurde. Und dann mündet dieses unterwältigende Abenteuer auch noch in einer gewissen Offenbarung, die zwar endlich einmal einen emotionalen Kern trifft und vielleicht sogar ein paar thematisch reizvolle Sphären streift, die aber – obwohl rückblickend mehr als deutlich angekündigt – auch schnell wie großer Betrug am Zuschauer wirken kann.

Fazit:
Kompetent gemachtes, aber unterwältigendes Sci-Fi Drama. Ein paar prachtvolle Bilder und einige wenige spannende Passagen können nicht verhehlen, dass der menschliche Kern der Geschichte nicht vollends überzeugen kann

5,5/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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