BG Schocktober Kritik: „Der Babadook“

23. Oktober 2020, Christian Westhus

Auch dieses Jahr wollen wir euch mit Horrortipps für den schaurigen Oktober nicht alleine lassen und bieten deshalb täglich einen neuen Beitrag aus unseren Horror-Archiven…und nicht immer muss es ein Tipp sein, sondern auch mal eine Warnung…

Der Babadook
(Originaltitel: The Babadook | Australien, Kanada 2014)
Regie: Jennifer Kent
Darsteller: Essie Davis, Noah Wiseman
Kinostart Deutschland: 07. Mai 2015

Handlung:
Die alleinerziehende Mutter Amelia hat nach dem Tod ihres Mannes schwer zu kämpfen. Der Verlust des Partners nagt an ihr und nun beginnt ihr verhaltensauffälliger Sohn Samuel von einem vermeintlichen Monster zu sprechen. Bald schon macht auch Amelia Bekanntschaft mit dem Babadook, der Figur aus einem mysteriösen Buch.

(Diese Kritik erschien ursprünglich zum Kinostart im Mai 2015.)

„Der Babadook“, ein kleiner, günstig produzierter australischer Horrorfilm und das Langfilm-Regiedebüt einer Regisseurin, sorgte über Festivals und Kinoausstrahlungen in der restlichen Welt (wo er zumeist schon lange vor Deutschland lief) für einen kleinen aber feinen Wirbel. So ausgedörrt und lechzend nach frischen Impulsen ist das Horrorgenre, dass jeder kleine Erfolg gleich von besonderer Bedeutsamkeit ist. Und ja, „Der Babadook“ ist ein großartiger, ein zwischenzeitlich fantastischer und durch und durch sehenswerter Film, der im Kern das macht, was immer eine der großen Stärken des Horrorgenres war. Doch gleichzeitig ist Jennifer Kents Film so ein Fall der uns erkennen lässt, wie ungenau und problematisch Genrebezeichnungen sein können bzw. geworden sind.

Es ist nicht schwer zu sehen, wie „Der Babadook“ vermarktungstechnisch in die zeitgenössischen Horrortrends passt, wie er – ohne Found Footage Erzählweise – Geister, Flüche und Haunted House Anleihen bedient, die durch „Paranormal Activity“, „Insidious“, „The Woman in Black“ und Konsorten die Trends und Erwartungshaltungen vom Horror dieser Tage beschreiben. „Der Babadook“ hat eine kontinuierlich dichter werdende, zermürbende Atmosphäre, hat einzelne Momente des Schocks und Terrors, Momente der bangen Antizipation und nackten Schreckens. „Der Babadook“ ist ein Film, der wohlig gruseln, sich in der Armlehne festkrallen lässt, doch die eigentlichen Stärken des Films liegen woanders.

© Capelight

„Der Babadook“ gehört zu der Sorte Horror, in der die Bedrohung eine zentrale thematische Basis hat, in der Angst, Schrecken und Terror unmittelbar mit dem Entwicklungsbogen der Hauptfigur(en) verbunden ist. Es sind Filme und Geschichten wie „Frankenstein“, wie „Angriff der Körperfresser“, „Die Fliege“, „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ oder „The Shining“, in denen das Übernatürliche weitaus mehr ist als ein Stilmittel der Angst und des Unbehagens. Die wie auch immer geartete Bedrohung ist nebst Schreckensfigur eine Metapher – logisch. Das ist nicht ungewöhnlich; im Gegenteil. Doch diese Metapher ist der allegorisch-übersinnliche Schlüssel zum zentralen menschlichen Drama innerhalb der Geschichte. Und „Der Babadook“ ist so gut, dass er in dieser Aufzählung nur daher auffällt, da er noch so neu ist, noch nicht Jahrzehnte mit unterschiedlichsten Generationen gepackt, verstört und gerührt hat. Denn ja, „Der Babadook“ ist ein Film der gleichermaßen gruselt wie berührt, der uns auf eine so explizit Horror-typische, aber für gewöhnlich nur selten so konsequent ausgearbeitete menschliche Weise packt und mitfühlen lässt.

Im Zentrum dieses bildhaften und bildstarken Schauerdramas steht die Beziehung zwischen Mutter und Sohn, die beide mit dem viel zu frühen und schmerzhaften Verlust des Ehemanns/Vaters zu kämpfen haben. Bald wird ein eigenartiges Buch im Regal des jungen Samuel gefunden, eine Pop-Out Bilderbuch-Kindergruselgeschichte über ein Monsterwesen namens Babadook, der, so scheint es, bald leibhaftig vor der Tür steht. Und egal wie oder als was man den besagten dunklen Zylinderträger annimmt, Regisseurin Jennifer Kent, die das Haus der Familie als unwirklich dunkles, Caligari-artiges Schreckenskabinett einfängt, weiß ganz genau wie sie ihn ins rechte Licht rückt und effektiv nutzen kann, ohne dass wir die Ausmaße seines Wirkens herabstufen können. Zwischenzeitlich ist der Film so tief versunken, so radikal auf seine beiden Hauptfiguren und ihre tumultigen Innenräume fokussiert, dass man kaum atmen kann. Hauptdarstellerin Essie Davis ist eine Offenbarung als psychisch doppelt und dreifach geplagte Frau und Mutter, die durch ihre eigene kleine Hölle muss, um den Rest ihrer Familie und ihrer Existenz zu bewahren, bis besagte kleine Hölle mindestens ebenso viel über das Innere der Mutter verrät. Dem „Babadook“ gelingt das, was die „Insidious“ Filme in ihren jeweiligen Schlussdritteln versuchten, durch schwammige Metaphern oder offensichtliche Entscheidungen jedoch nie so ganz zufriedenstellend erreichten. Horror kann so viel mehr, als uns alle paar Minuten durch einen geschickt platzierten Ton-Effekt aus dem Sitz springen zu lassen. „Der Babadook“ zeigt, wie dieses „mehr“ aussehen könnte.

Fazit:
Ein fantastisch gespieltes, vielschichtiges und hochemotionales Drama in Gestalt eines Horrorfilms.

8,5/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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