BG TV-Kritik: „Love, Death & Robots“ (Staffel 2)

15. Mai 2021, Christian Westhus

Nachschlag der animierten Anthologie-Serie bei Netflix unter der Leitung von Tim Miller. Acht Episoden aus Science-Fiction, Action, Horror und Fantasy in einem wilden Stil-, Genre- und Ton-Querschnitt.

Love, Death & Robots (Season 2)
(USA 2019 – 2021)
Schöpfer: Tim Miller
Produktion: Tim Miller, David Fincher, Jennifer Miller
Ausstrahlung: Netflix
Episoden: 8 Episoden
Veröffentlichung: 14. Mai 2021

© Netflix

(Die BG Redaktion hatte LD&R Staffel 1 damals in einem ausführlichen Streitgespräch genauer unter die Lupe genommen. Eine Kritik zur ersten Staffel gibt es auch.)

Die erste Staffel „Love, Death & Robots“, konzipiert von „Deadpool“ Regisseur Tim Miller, war für Netflix ein großer Erfolg. Aus den 18 Episoden der ersten Ausgabe wurden nun lediglich acht Kurzfilme mit bescheidener Länge, doch solange die Qualität da ist, sollte die Quantität irrelevant sein. Drei der acht Episoden kommen dann einmal mehr von Studio Blur, Millers eigener Animations- und CG-Firma. Und wie schon in Staffel 1 zeichnet sich Philip Gelatt für annähernd alle Drehbücher der Kurzfilme verantwortlich, häufig inspiriert oder adaptiert von literarischen Vorlagen. Diese Vorlagen haben in Staffel 2 noch größere Bekanntheit, gehört doch nicht nur der gefeierte zeitgenössische Sci-Fi-Autor Paolo Bacigalupi (The Wind-Up Girl) dazu, sondern auch der große Harlan Ellison und der exzentrische J.G. Ballard.

Einmal mehr sollen Liebe, Tod und Roboter als thematische Verbindung herhalten. Mindestens einen dieser Aspekte müssen die Kurzfilme erfüllen, was bei der vagen Auslegungsmöglichkeit dieser Begriffe kein Problem darstellen sollte. Doch war Staffel 1 noch (zumindest gefühlt) sehr Roboter- oder zumindest Science-Fiction-lastig, kommt die verkürzte zweite Runde mit einem irgendwie größeren Spektrum daher, jedenfalls in Relation zur Anzahl der Episoden. Das geht so weit, dass man sich in manchen Episoden schon fragen muss, wo jetzt der thematische Bezug steckt, bis man alibimäßig „Death“ einwirft, denn eine rasante Verfolgungsjagd oder ein Überlebenskampf haben ja auch mit Tod zu tun. Irgendwie.

Mit Staffel 2 konkretisiert sich aber auch die Frage, was „Love, Death & Robots“ eigentlich ist, was es sein will und für wen es ist. Tim Miller und Co-Produzent David Fincher verwiesen einst auf die Comicserie „Heavy Metal“ bzw. auf die Filmversion von 1981. Als unangepasster Genre-Sturzflug wurde LD&R angepriesen, gleichermaßen „geeky“ und „sleazy“. In gewisser Weise war und ist diese Serie genau das, doch kommt man nicht umher, frühzeitig gewisse Grenzen zu erkennen. Vielleicht schränkt die Dominanz von Millers eigenem Blur Studio stilistisch zu sehr ein, vielleicht hätte es auf Drehbuchebene häufiger verschiedene und diversere Stimmen geben sollen, um den Geschichten einen größeren Variantenreichtum zu verpassen. Staffel 2 fährt den „Blut, Sex und Gewalt“ Grad, der in S1 von vielen Fans als zentraler Erfolgspunkt aufgeführt wurde, weiter zurück und suggeriert einen größeren Fokus auf Geschichten, Emotionen und Genre-Philosophie. Und doch können nur die wenigsten Episoden diese neuen Früchte ernten oder befriedigend präsentieren. So bleibt LD&R eine eigentlich spannende und reizvolle Grundidee, die weder als experimentelle Animationsspielwiese, noch als Genre-Erzählkosmos und auch nicht als „Hau drauf“ Eskapismus für Erwachsene wirklich zufriedenstellend funktioniert. Doch die vagen Freiheiten der Rahmenbedingungen heißen auch, dass dieses Gefühl der Unterwältigung mit Staffel 3 (vermutlich 2022) weggeblasen werden könnte. Einen größeren Zusammenhang unter den Geschichten oder den Staffeln gibt es nicht, also stehen für die Zukunft weiter alle Türen offen. Tim Miller und seine Kollegen müssen sie nur durchschreiten.

Im Anschluss alle Episoden einzeln im Schnelldurchlauf:

#Automatisierter Kundenservice (Automated Customer Service)
[R: Meat Dept | Studio: Atoll Studio | Laufzeit: 13 Minuten]
Das ist mal Figurendesign! Die großschädeligen Figuren dieser Episode sind im besten Sinne befremdlich und bizarr, damit genau richtig für den nicht besonders tiefgreifenden, aber äußerst unterhaltsamen Schabernack, der folgt. In einem Haushalt der Zukunft hat ein Haushaltsroboter eine Fehlfunktion und legt sich mit seiner Besitzerin (und dem Hund) an, bis der Konflikt eskaliert. Das begleitende Gespräch der Frau mit dem Technik-Kundendienst ist gewitzt und spaßig durch seine passiv-aggressiven Untertöne. Die Auflösung dieses kurzen kleinen Konflikts bewegt thematisch keine Welten, ist in seiner Zuspitzung aber rund für einen netten kleinen Film, der in erster Linie Spaß machen soll.
★★★★☆

#Eis (Ice)
[R: Robert Valley | Studio: Passion Animation Studio | Laufzeit: 13 Minuten]
Wer an die animierte Band Gorillaz denkt, liegt vollkommen richtig, zeichnete sich Animationsstudio Passion Animation doch für einige Musikvideos der Band aus. Entsprechend abstrakt und irreal wirken hier Welt, Umgebung und insbesondere Figuren. Es ist ein gewöhnungsbedürftiges Design, aber es ist ein Design. Die Geschichte zweier Brüder, einer gewöhnlich, der andere genmodifiziert und „aufgemotzt“, die bei einer Mutprobe unter Jugendlichen mitmachen, fasziniert dann auch überwiegend durch die dynamisch-abstrakten Bildwelten und weniger über die recht geradlinige, aber insgesamt solide Narrative.
★★★☆☆

#Jäger und Gejagte (Pop Squad)
[R: Jennifer Yuh Nelson | Studio: Blur Studio | Laufzeit: 18 Minuten]
Regisseurin Jennnifer Yuh Nelson ist als Macherin von „Kung Fu Panda 2“ und „3“ der größte Name unter den Filmemachern der gesamten Serie, vielleicht einzig neben LD&R-Schöpfer Tim Miller. Vielleicht liegt es an Yuh Nelsons Filmkarriere, dass „Jäger und Gejagte“ deutlich runder wirkt als mehr oder weniger abgeschlossene Kurzgeschichte. Während andere Episoden nur wie Szenen wirken, größere „Lore“ anteasern, an welcher wir nicht teilhaben können, haben wir es hier mit einer strukturell vernünftig aufgebauten Geschichte zu tun, mit Anfang, Mittelteil und Ende. Basierend auf einer Kurzgeschichte von Paolo Bacigalupi befinden wir uns in einer „Blade Runner“-esken Sci-Fi-Noir Zukunft, in der ewiges Leben möglich ist, in der Cops aber auch brutal gegen Überbevölkerung vorgehen. Einer dieser Cops macht nun eine gewisse Entwicklung durch. Und genau hier liegt das Problem: liegen nach drei, vier Minuten alle Karten auf dem Tisch, kann sich die Geschichte nur noch in eine Richtung entwickeln. Das ist, wie erwähnt, rund und stimmig, aber nicht besonders überraschend und auch nicht sonderlich tiefgreifend. Dafür haben wir es durch die Noir-Ästhetik und die leichte Abstraktion mit der vermutlich hübschesten (annähernd) fotorealistischen Arbeit dieser Staffel aus dem Hause Blur Studio zu tun.
★★★☆☆

#Snow in der Wüste (Snow in the Desert)
[R: L. Bérelle, D. Boldin, R: Kozyra, M. Luère | Studio: Unit Image | Laufzeit: 18 Minuten]
Eine der besseren Tech-Demos dieser Serie, aber dennoch mehr oder weniger genau das. In einer mit diversen Genre-Anleihen gespickten Sci-Fi-Welt folgen wir dem Albino Snow, der als wortkarger Einzelgänger auf Tatooine, pardon, auf einem namenlosen Wüstenplaneten lebt. Snow bzw. sein Körper besitzt ganz besondere Fähigkeiten und für diese wird er gejagt und weiter in die Einsamkeit getrieben. Man hat das Gefühl, diese Welt könnte mehr bieten als nur diese Kurzgeschichte. Ein Eindruck, den man sowohl positiv als auch negativ auslegen kann. Egal, ob „Snow in der Wüste“ ein kommendes Videospiel oder eine Animationsserie vorstellen soll, man wird das Gefühl nicht los, hier nur eine Kurzimpression oder einen Prolog für ein größeres Ganzes gesehen zu haben. Von diesem unbefriedigenden erzählerischen Eindruck können auch die beachtliche Fotorealismus-Animation und der höchste Gewaltgrad dieser Staffel nicht langfristig ablenken.
★★☆☆☆

#Im hohen Gras (The Tall Grass)
[R: Simon Otto | Studio: Axis Animation | Laufzeit: 11 Minuten]
Nicht nur der Titel lässt an die Stephen King/Joe Hill Novelle oder die Verfilmung (ebenfalls Netflix) erinnern, auch die ersten Minuten wirken wie eine historisch veränderte Adaption. Letztendlich geht diese Geschichte aber eigene Wege: Ein Zug legt einen ungeplanten Stopp ein, ein Reisender vertritt sich die Beine und im hohen Gras gehen seltsame Lichter um, die womöglich ein gefährliches Geheimnis bergen. Die leicht gemälde-artige CG-Animation ist zunächst hübsch anzusehen und genau die Art stilistischer Ausprobierfreude, die diese Serie häufiger hervorbringen sollte. Doch inhaltlich ist mit dem kurzen Abstecher ins hohe Gras nicht viel gewonnen. Ein mittelmäßig spannender und letztendlich nichtssagender Moment, der schneller vergessen ist, als man „random“ buchstabieren kann.
★★☆☆☆

#Bescherung (All Through the House)
[R: Elliot Dear | Studio: Blink Industries | Laufzeit: 7 Minuten]
In der Kürze liegt die Würze. Natürlich hat man gerade Mitte Mai vermutlich nur bedingt Lust auf Weihnachten, doch davon sollte man sich nicht abschrecken lassen. Zwei Kinder schleichen sich in der Weihnachtsnacht ins Wohnzimmer, um den Weihnachtsmann zu sehen und entdecken dabei etwas Unerwartetes. Dieser Film spielt die Absurdität der Prämisse gekonnt durch, bleibt ernst, vermeidet Albernheiten und ist doch durchweg augenzwinkernd und witzig. Das Ergebnis ist nicht nur wunderbar verrückt und ansprechend animiert, sondern trifft auch mit mindestens zwei humorvollen Pointen voll in Schwarze. Ziemlich sicher das Highlight dieser Staffel.
★★★★☆

#Rettungskapsel (Life Hutch)
[R: Alex Beaty | Studio: Blur Studio | Laufzeit: 14 Minuten]
Noch so eine AAA-Videospiel Einstiegssequenz, hier mit einem digitalen Michael B. Jordan-Abbild in der Hauptrolle. Ein Weltraumsoldat stürzt auf einen Planeten ab, rettet sich in eine Schutzbehausung und muss sich dem Sicherheitsroboter erwehren, der eine Fehlfunktion hat. Mit eingestreuten und vollkommen irrelevanten Mini-Flashbacks zu den Hintergründen des Absturzes und des galaktischen Krieges ist diese eigentlich empörend simple und nichtige Geschichte unnötig umständlich erzählt und wirkt in den angerissenen Hintergründen einmal mehr wie ein haltloser Verweis auf eine größere Welt, die es so gesehen gar nicht gibt. Der Kernkonflikt veranschaulicht leider auch recht geschickt, wie die Einstiegsepisode („Kundenservice“) aussähe, würde man Humor, Ironie und die runde Zuspitzung streichen. Als Technik Showreel leidlich spannend, aber eigentlich unnütz. Ein Tiefpunkt dieser Staffel.
★☆☆☆☆

#Der ertrunkene Riese (The Drowned Giant)
[R: Tim Miller | Studio: Blur Studio | Laufzeit: 14 Minuten]
Basierend auf einer Kurzgeschichte von J.G. Ballard, was definitiv eine Ansage ist, ist Ballard doch einer der bekanntesten Vertreter der amerikanischen Science-Fiction Literatur der 1960er und 70er. Filmfans kennen vielleicht die Verfilmungen „High Rise“, von Ben Wheatley, und insbesondere David Cronenbergs „Crash“. Kein Wunder daher, dass „Der ertrunkene Riese“ irgendwie anders erscheint, weniger eine Geschichte ist, auch keine Einzelszene eines größeren Franchise, sondern ein durch einen Voice Over Kommentar geleiteter philosophischer Exkurs. Ein nackter Riese wird tot an der Küste einer britischen Kleinstadt angespült und zieht für eine Weile das Interesse der Bevölkerung auf sich, ehe sein Körper im Laufe der Zeit verschandelt und abgetragen wird, verwest und in Einzelteilen rekontextualisiert wird. Mit den Überlegungen zur körperlicher Einheit, Persönlichkeit und Tod zielt diese Episode vielleicht etwas arg hoch, doch es ist immerhin ein Ansatz. Nur die einmal mehr fotorealistische Animation, so beeindruckend sie technisch auch ist und einen markanten Penis-Gag (ja, wirklich) bereithält, sorgt auch hier für allerhand tote Augen und ausdruckslose Gesichter aus dem Uncanny Valley. Und irgendwie wirkt ausgerechnet der tote Riese am lebhaftesten. Könnte fast Absicht gewesen sein…
★★★☆☆

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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