BG Kritik: „I’m your Woman“

18. Dezember 2020, Christian Westhus

Dieses Amazon Original ist ein 70er Thriller mit dem Kern eines Charakterdramas. Eine junge Frau muss eine Flucht antreten, da ihr Mann kriminellen Dreck am Stecken hat. – Vom Überangebot bei Prime Video nicht verschrecken lassen, es gibt manchmal Highlights zu entdecken. Dieses zum Beispiel.

I’m your Woman
(USA 2020)
Regie: Julia Hart
Darsteller: Rachel Brosnahan, Arinzé Kene, Marsha Stephanie Blake u.a.
Veröffentlichung Deutschland: 11. Dezember 2020 (Prime Video)

Wie viel sollte man über die Arbeit und das Leben seines Partners wissen? Sollte man nachbohren, wenn der Partner eigentlich alles Nötige bereitstellt? ‚Das betrifft mich nicht‘, würde vermutlich die Jean (Rachel „Mrs. Maisel“ Brosnahan) der Anfangsminuten antworten, die gerade das Preisschild an einem leichten Designerfummel zu entfernen versucht und im schmucken Heim händeringend nach einer Schere sucht. Jean weiß, dass ihr Mann Eddie (Bill Heck) einer nicht immer legalen Arbeit nachgeht. Er sei ein Dieb, sagt sie später, doch es ist halb so wild. Sie betrifft das nicht. Es sind die 1970er Jahre. Jean ist eine Frau, die nicht viele Fragen stellt. Als Eddie plötzlich mit einem Säugling im Arm im Wohnzimmer steht und erklärt, dies sei nun Jeans Kind, bringt die junge Frau noch immer nur wenige Fragen heraus. Die Beantwortung dieser verschiebt Eddie auf später. Erst, als ein Mitarbeiter ihres Mannes mitten in der Nacht mit einer Waffe vor der Tür steht und Jean für eine rasche und geheime Abreise vorbereiten will, fragt sie genauer nach. Doch Antworten kann, will und darf ihr zunächst niemand liefern.

„I’m your Woman“, der neue Film von Regisseurin Julia Hart („Miss Stevens“, „Fast Color“), ist ganz auf seine zentrale Figur zugeschnitten. Wir folgen Jean und den Personen, die ihre turbulente Reise streifen, doch wir verlassen niemals Jeans Perspektive. Der Zuschauer weiß nie mehr als die Hauptfigur und macht in der Genre-Wahrnehmung des Films eine ähnliche Wandlung durch, wie Jean sie über sich selbst und ihr Leben durchmacht. Sie ist eine augenscheinlich einfach gestrickte Frau, die – wie wir später etwas genauer erfahren – die Karten, die ihr das Leben ausgespielt hat, so akzeptiert wie sie sind. Dass sie keine gute Köchin ist, wie sie mehr als einmal behauptet, ist keine Schwäche, die man womöglich überwinden könnte. Es ist einfach so. Wie auch der kleine Junge, den sie Harry tauft, nun zu ihr gehört. Und so akzeptiert sie auch, trotz verstärktem Nachfragen, dass sie einem Unbekannten namens Cal (Arinzé Kene) folgen soll, damit dieser sie beschützt und aus der Öffentlichkeit heraushält. Doch einmal aus der idyllischen „Betrifft mich nicht“ Scheuklappen-Scheinwelt ihres bisherigen Lebens gerissen, macht Jean eine Veränderung durch.

© Amazon Studios

So, wie unsere Protagonistin irgendwann realisiert, dass sie in einer hochgradig köchelnden Gefahrensituation steckt, realisiert dieses zunächst etwas unterkühlte, aber spannend nuancierte Drama, dass ein waschechter Thriller drinsteckt. Bis zum Schluss schließt keine dieser Facetten die andere aus, auch bei Jean als Person nicht, die durch „Marvelous Mrs. Maisel“ Darstellerin Rachel Brosnahan wahnsinnig spannend zu Leben erweckt wird. Es ist ein Thriller aus ungewohnter und gerade dadurch spannender Perspektive. Jeans Ehemann Eddie war wohl doch kein so kleiner Fisch und ist nun in irgendein größeres Schlamassel geraten, welches sich vom Zuschauer ungesehen im Hintergrund abspielt. Jean hat ihr eigenes Schlamassel zu bewältigen und die veränderte Selbstwahrnehmung zu verstehen, die sich im Zuge ihrer Flucht vor ominösen Unbekannten abwickelt.

Julia Hart verpflanzt nicht zum ersten Mal unmissverständliche und effektive Genre-Ansätze in eine komplexe, von spannenden Frauenfiguren dominierte Dramenhandlung. So schrieb sie das Script zum rauen kleinen Western „The Keeping Room“ und erntete einige positive Reaktionen für ihre Quasi-Superheldengeschichte „Fast Color“ (in Deutschland ab Ende Februar auf DVD/BD). Unter Harts zu Beginn äußerst geduldiger, aber stilsicherer Regie wird „I’m your Woman“ zu einem so faszinierenden wie spannenden Thrillerdrama, welches im weiteren Verlauf echte Spannungselemente serviert, ohne den Blick aufs wild reagierende Innenleben der Hauptfigur zu verlieren. Dass dies gelingt, liegt nicht zuletzt auch an der edlen Kameraarbeit von Bryce Fortner, der unterschwelligen Musik von Künstlerin ASKA, aber eben ganz zentral an der Besetzung, die neben Brosnahan in der zweiten Hälfte durch Scene-Stealerin Marsha Stephanie Blake erweitert wird.

Fazit:
Ein Charakterdrama, welches zum spannenden 70er Thriller wird. Beide Genre-Seiten gehen in „I’m your Woman“ gekonnt Hand in Hand, geleitet von einer gelungenen Inszenierung und starken Darstellern.

8/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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