BG Kritik: „Feuchtgebiete“ (Treasure Monday)

12. Mai 2015, Christian Westhus

Die Verfilmung des kontroversen Kultromans: Als die 18-jährige Helen (Carla Juri) nach einem Unfall bei der Intimrasur für eine Operation ins Krankenhaus muss, hält sie das für eine gute Möglichkeit, ihre geschiedenen Erzeuger durch elterliches Mitleid wieder zu vereinen. Und während Helen über Intimpflege, Hygienetabus und Sexualpraktiken philosophiert, verguckt sie sich in Pfleger Robin.

Feuchtgebiete
(Deutschland 2013)
Regie: David Wnendt
Darsteller: Carla Juri, Meret Becker, Axel Milberg, Christoph Letkowski u.a.
Kinostart Deutschland: 22. August 2013

(Diese Kritik erschien im Rahmen der Kritikenreihe Treasure Monday.)

Was Sie schon immer über Analfissuren wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten…

Dass es passieren würde, war klar. Nachdem Charlotte Roches Debütroman „Feuchtgebiete“ zum Bestseller avancierte und die gesamte Republik, ob sie das Werk gelesen hatten oder nicht, in wilde Diskussionen versetzte, war es nur eine Frage der Zeit, bis auch das Kino mit den absonderlichen Sex- und Hygienevorstellungen der jungen Helen konfrontiert würde. Wie es passieren würde, war hingegen unklar. Das deutsche Kino, seit Jahren ein Hort der spießigen Mittelmäßigkeit und selbstgefälligen Wandlungsunfähigkeit, ist nicht unbedingt der Ort, wo man Roches augenzwinkernd und doch ernste Tabubrüche erwarten würde. Aber „Wunder gibt es immer wieder“ wusste schon Katja Ebstein und so ist „Feuchtgebiete – Der Film“ im doppelten Sinne ein kleines Wunder.

David Wnendt, der zuvor u.a. das wichtige, stark gespielte, aber inhaltlich leicht überladene Neo-Nazi Drama „Kriegerin“ inszenierte, ergriff die Gelegenheit, die sich ihm durch „Feuchtebiete“ bot, beim Schopfe und tobte sich ordentlich aus. Mit dem Romanerfolg im Rücken war es praktisch unabwendbar abgesichert, dass dieser Film zumindest ein gewisses Medienecho erfahren würde, egal wie gut, schlecht oder banal das Werk letztendlich sein würde. Doch nicht nur wagt sich ein deutscher Kinofilm tatsächlich in Bereiche vor, die auch ein Lars von Trier zweimal mit sich absegnen muss, „Feuchtgebiete“ ist auch endlich mal deutsches Kino das auch wie Kino aussieht.

© Majestic Filmverleih

Wnendt nutzt seine Kamera kreativ, beweist Humor bei der Auswahl von Perspektiven und inszenatorische Finesse, wenn es um Bewegungen geht. Es wird genüsslich im Farbeimer gewühlt und das wunderbar hochsaturierten und knallig, was angesichts diverser Exzesse, die das Drehbuch parat hält, erstaunt und gleichzeitig wie der einzig richtige Weg erscheint. „Feuchtgebiete“ ist zuweilen wirklich adäquat unappetitlich und doch wohl kaum halb so wild wie das Kopfkino beim Lesen von Charlotte Roches so befreienden wie plumpen Skandalroman. Roche wollte den Tabubruch nutzen, um besagte Tabus zu hinterfragen, um den Druck der modernen Vorstellungen von Reinheit, Körperkult und Sexualität abzuschwächen. Sowohl Wnendt als auch Roche haben hier und da etwas zu viel Spaß mit Dreck, Schmerz, Ekel und Anzüglichkeiten. Die kleine Episode um das beschissene (räusper) Liebesleben von Helens bester Freundin Corinna (Marlen Kruse) führt beispielsweise zu herzlich wenig, außer zu einem weiteren „Igitt“ Moment. Doch in Helens kruder Lebensphilosophie, in ihrer entwaffnenden Direktheit, ihrer ungenierten Freizügigkeit und ihrem Spaß an Dreck und Keimen steckt eine faszinierende und zuweilen durchaus kluge Heldin für ein offeneres Miteinander. Ein Miteinander im Sozialen und in der Horizontalen. Wir müssen nicht applaudieren, wenn Helen den widerlichsten Toilettensitz von ganz Deutschland mit ihrem unbedeckten Intimbereich entlangrutscht, aber Helen wie auch Charlotte Roche agieren mit einer kruden, jedoch nicht zu leugnenden Logik.

Man mag die Nase rümpfen, den Zeigefinger heben und einmal heiß duschen wollen, wenn Helen und Corinna zu ganz besonderen Blutsschwestern inklusive „Kriegsbemalung“ werden, doch es ist ein Moment von einer erstaunlichen bildlichen Effektivität und freundschaftlichen Romantik, die Wnendt ebenso verspielt und clever einfängt, wie Helens Pizza mit ganz besonderem Spezialtopping. Doch alles steht und fällt mit Hauptfigur Helen und Darstellerin Carla Juri. Die junge Schweizerin macht aus der eigensinnigen und mitunter doch arg ekligen Helen eine Hauptfigur, der wir erstaunlich gerne folgen, deren eigentliche Abscheu zu Sympathie wird. Charmant, bissig und pfiffig trifft Juri den perfekten Ton für neue Reinheitstheorien, Sex-Anekdoten und flotte Sprüche. Mit ihrem wunderbaren Lockenkopf flitzt sie durch die Gegend, gleitet nur im rückenfreien Krankenhausleibchen auf dem Skateboard durch den Krankenhausflur oder schmachtet Pfleger Robin an. Carli Juri ist eine echte Entdeckung, mag man vom restlichen Film noch so abgestoßen sein. Mit der großen Familientragödie aus Helens Kindheit, einem Schuldkonstrukt und dem umständlichen Versuch, die Eltern wieder zu vereinen, mutet sich der Film ein wenig zu viel zu, doch an der unerwarteten Freude, die dieser Film trotz Fehler tatsächlich bereitet, tut das kaum Abbruch. „Feuchtgebiete“ ist ein Film, der sich was traut. Kein Wunder also, dass kaum ein deutscher Film der letzten drei Jahre in der Auslandspresse so stark besprochen wurde. Ob positiv oder negativ spielt dabei fast keine Rolle.

Fazit:
Ein deutscher Film der inszenatorisch und inhaltlich endlich mal fröhlich den gesicherten Mittelklasseweg verlässt und sich mit Wonne dem gedämpften, aber dennoch effektiven Tabubruch hingibt. Erstaunlich unterhaltsam, adäquat eklig und mit einer fantastischen Hauptdarstellerin gesegnet.

7/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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