Treasure Tuesday Spezialkritik: „Bonnie und Clyde“ (1967)

18. August 2020, Christian Westhus

Das weltberühmte reale Bankräuber-Paar in einem Film, der zu einem Meilenstein der amerikanischen Kinogeschichte wurde. Arthur Penns „Bonnie und Clyde“ (1967), unser heutiger Treasure Tuesday Tipp. Jeden Dienstag auf Erkundungstour gehen. Wir stöbern nach vergessenen Filmen, unterschätzten Filmen, alten Filmen, fremdsprachigen Filmen. Nach Filmen die sich lohnen, auch wenn gerade nicht die halbe Welt über sie spricht.

© Warner Bros.

Bonnie und Clyde
(Bonnie and Clyde | USA 1967)
Regie: Arthur Penn
Darsteller: Warren Beatty, Faye Dunaway, Gene Hackman

Was ist das für ein Film?
Arthur Penns Version der Bonnie und Clyde Geschichte ist ein Meilenstein der amerikanischen Kinogeschichte und ein bis heute sehenswerter Film. Leben und verbrecherisches Werk des realen Gangster-Liebespaares wurden vor und nach 1967 mehrfach in den verschiedensten Versionen verfilmt, mal bemüht authentisch (Bonnie & Clyde: The True Story, 1992 oder Bonnie & Clyde 2013), mal abstrakt (Gehetzt, 1937) oder frei modernisiert (Natural Born Killers, 1994). Und doch fallen sie alle hinter diesen Film zurück, der wenig – wenn überhaupt – von seinem Legendenstatus eingebüßt hat.

Die junge Bonnie Parker (Faye Dunaway) ist von Job und Leben gelangweilt. Als sie den halbstarken, aber selbstbewussten Möchtegern-Gangster Clyde Barrow (Warren Beatty) und seine kokette Art kennen lernt, schließt sie sich ihm spontan an. Es sind die 1930er Jahre, die Große Depression, und das junge Liebespaar versucht sich als Bankräuber (das „We rob banks!“ Zitat gehört zu den berühmtesten Hollywoodzitaten überhaupt), zunächst mit bescheidenem Erfolg. Mit einem weiteren Komplizen an ihrer Seite und einem ersten Mordopfer beginnt nicht nur die kriminelle Karriere der Barrow-Bande, sondern auch die polizeiliche Fahndung nach ihnen. Bald schon sind Bonnie und Clyder über die texanischen Grenzen hinaus bekannt, gefürchtet und gesucht. Und da dies eine reale Geschichte ist, wissen wir auch, wo die Reise für die jungen Gangster endet.

Warum sollte mich das interessieren?
„Bonnie and Clyde“ löste bei Erscheinen den einen oder anderen Skandal aus, bekam aber zeitgleich auch überschwängliches Lob und Anerkennung. So ergeht es einem Film, der eine Zäsur darstellt, der Grenzen verschiebt und eine neue Ära einleitet. Produktionsstudio Warner Bros. sah sich einem wirtschaftlichen und kreativen Flop gegenüber und ließ so manche Zügel locker, u.a. sehr zur finanziellen Freude von Warren Beatty, der den Film mitproduzierte. Studiochef Jack Warner, ein berühmt-berüchtigter Erfolgsmann des Klassischen Hollywoods, wollte den Film direkt für Autokinos und zweitklassige Theater freigeben, so sehr stieß er sich an diesem Projekt.

Für gewöhnlich verortet man die Stunde Null des „New Hollywood“ in diesem Film, der als Startschuss für ein neues, mutigeres, gewagteres und ambitionierteres amerikanisches Kino beschrieben wurde. Nicht nur Umgang und Darstellung von Sex und Gewalt in „Bonnie & Clyde“ waren bahnbrechend, auch die Art, wie der Film erzählt und präsentiert wurde. Schon das Script von David Newman und Robert Benton griff erzählerische und stilistische Elemente aus aktuellen französischen Filmen auf, die sich dort unter dem Decknamen „Nouvelle Vague“ präsentierten, Francois Truffaut bekam das Script sogar vorgelegt, fügte ein paar Impulse hinzu und erhielt das Angebot Regie zu führen, machte stattdessen aber „Fahrenheit 451“. Unter Arthur Penns Regie wurden die radikalen Nouvelle Vague-Ideen kanalisiert und in einen amerikanischen Genre-Film unter Studio-Einfluss übertragen. Was nach einem Kompromiss klingt, ist der perfekte Mittelweg: radikal neuer Erschaffungsgeist, konkretisiert auf eine Filmform, die immer noch Kino war, nur eben eine neue Art des Kinos. Filme wie „Die Reifeprüfung“, „The Wild Bunch“, „Night of the Living Dead“ und „Easy Rider“ sollten die Idee des New Hollywoods weiter verfestigen, ehe kurz darauf die Coppolas, Scorseses und Spielbergs der Welt die Bühne betreten sollten.

„Bonnie und Clyde“ umgibt noch immer eine unbestreitbare Coolness, ein unzähmbarer Wille um Flair, Ausdruck und dem Ziel, Zuschauerreaktionen zu provozieren – koste es was es wolle. Diese Mischung verleiht dem Film auch heute noch ein Gefahrenpotential, ein „Warum nur denkt niemand an die Kinder?“ Gefühl, welches Script, Regie und Figuren (inklusive perfekt gewählter Darsteller) genüsslich ausspielen. Dunaway und Beatty sind technisch gesehen beide ein wenig zu alt und doch wirkt die Performance beider noch immer anziehend, mitreißend und verlockend. Vom legendären ersten Treffen zwischen Bonnie und Clyde, über den ganz bewusst als stilistischen Wendepunkt inszenierten ersten Mord, bis hin zur legendären und kontrovers-radikalen Schlussszene: „Bonnie & Clyde“ ist über 50 Jahre alt und dennoch noch immer ein brandheißes und sehenswertes Eisen.

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Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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