Treasure Tuesday Spezialkritik: Rififi (1955)

3. März 2020, Christian Westhus

Beim Treasure Tuesday stellen wir filmische Schätze vor, eben „treasures“. Filme, die vergessen wurden, nie den ganz großen Durchbruch hatten, zu alt oder zu fremdsprachig sind, um im vielfältigen Angebot unserer Tage herauszuragen. Auch zu Großvaters Zeiten gab es schon sehenswerte Filme, wie es auch in anderen Ländern sehenswerte Filme gibt. Heute betrachten wir einen stilbildenden Krimi Klassiker, der für die „Ocean’s Eleven“ Remake-Reihe mindestens so wichtig ist wie das filmische Original: Jules Dassins „Rififi“ von 1955.

© Pathé, Universum Film

Rififi
(Originaltitel: Du Rififi chez les hommes | Frankreich 1955)
Regie: Jules Dassin
Darsteller: Jean Servais, Carl Möhner, Robert Manuel, Jules Dassin

Was ist das für ein Film?
Der Begriff Rififi steht in etwa für Krawall, Radau oder Streit, ist inzwischen aber auch zu einem Synonym für eine ganz spezielle Art des Einbruchs oder Diebstahls geworden. Verantwortlich dafür ist dieser Film von Jules Dassin, der in seiner legendären Einbruchssequenz derart einfallsreich, detailliert und realistisch war, dass mancherorts über ein Verbot nachgedacht wurde. Der große François Truffaut bezeichnete die literarische Vorlage von Auguste Le Breton als schlechtesten Roman, den er je gelesen habe, krönte die Filmversion im Gegenzug aber zum besten Kriminalfilm, den er je gesehen habe.

Einbrecher Tony, genannte Tony der Sanfte (Jean Servais), saß nach einem vorigen Coup für fünf Jahre im Bau. Auch, um seinen jungen Kompagnon Jo (Carl Möhner) zu schützen. Das Gefängnis, das Alter und die gescheiterte Lebenssituation haben aus Tony einen wehmütigen, zuweilen bitteren und auch groben Mann gemacht, was insbesondere seine Ex-Frau Mado zu spüren bekommt, die nun mit Rivale Grutter liiert ist und von der Tony glaubt, dass sie ihn verraten haben könnte. Jo und Kollege Mario (Robert Manuel) wollen den Einbrecherprofi für einen neuen Raub gewinnen. Nach anfänglichem Zögern sagt Tony zu, allerdings nicht, um bloß die „Peanuts“ der Schaufensterauslage eines Juweliers zu stehlen. Tony will an den Tresor selbst ran.

Warum sollte mich das interessieren?
Wir fragen uns manchmal, ob Gewalt im Film überhaupt unterhaltsam sein kann und darf. Genauso könnte (und sollte) man fragen, ob man Kriminalität als positiv, lohnenswert, vielleicht gar als ehrwürdig darstellen kann und darf. „Rififi“ ist, wenn es drauf ankommt, saumäßig cool und animierte zu zahlreichen Nachahmern … zu filmischen Nachahmern ganz speziell. Kein so genannter „Heist Film“, der nach diesem großen Klassiker herausgekommen ist, kann sich von einer Prägung und Inspiration freisprechen, mag sie noch so klein sein. Im Schatten von „Rififi“ steht alles von „The Italian Job“, „Verlockende Falle“ und „Ocean’s Eleven“. Sogar Regisseur Dassin selbst parodierte sein eigenes Werk 1964 in „Topkapi“.

Jules Dassin ist, was man angesichts seines Namens vielleicht nicht sofort vermuten würde, Amerikaner. Während der McCarthy Zeit floh er ins europäische Exil, wo er mit „Rififi“ seinen ersten Film außerhalb der USA produziert drehen konnte. Ursprünglich mit Regisseur Jean-Pierre Melville geplant, übernahm schließlich Dassin, adaptierte den Roman (den er in einigen Details verabscheute) in Englisch und ließ ihn durch Ko-Autor René Wheeler ins Französische übersetzen. Auch übernahm Dassin die Rolle von César, dem Vierten im Einbrecherbündnis, unter dem Pseudonym Perlo Vita.

Der Film steht und fällt mit der Einbruchssequenz. Diese ist mehr als eine halbe Stunde lang und präsentiert ohne Musik, ohne Dialog. Es ist eine stilbildende und Filmgeschichte schreibende Sequenz, minutiös detailliert, realistisch und enorm spannend. Doch diese grandiose „Mitte“ des Films wäre nur halb so gut, wären Anfang und Ende nicht ebenso clever konstruiert. Dassin stellt uns zunächst die Figuren vor, wo sie stehen, was sie wollen. Wir lernen die (zunächst drei, dann vier) Einbrecher kennen, ihre Hintergründe, Motive und unterschiedlichen Frauengeschichten, treffen dann die Gegenspieler, die kriminellen Grutters, die den Club „L’Age d’or“ betreiben. Wir beobachten die Vorbereitungen, die Planung, die Hindernisse, die die Einbrecher bei ihrem Raub zu überwinden haben, ehe es schließlich losgeht. Doch anders als z.B. „Ocean’s Eleven“ entlässt „Rififi“ seine Einbrecher und Räuber nicht einfach lässig beglückt einem seligen Leben. Dies ist ein „Heist Film“, ja, aber auch ein Film Noir, mit der Betonung auf Noir.

Das letzte Drittel des Films ist mehr als nur ein überlanger Epilog. Nach dem Raub entsteht das eigentliche Drama, die eigentliche Dramatik und die Tragik, die ein kriminelles Leben mit sich bringen kann. Der komplexe Figurenaufbau, die intensive Schwarzweißfotografie und die starke Musik von Georges Auric machen aus „Rififi“ so viel mehr als nur einen coolen „Caper“. Plötzlich reicht der Einfluss des Films nicht mehr nur zum Raubzugsfilm, sondern erinnert in einer Sequenz u.a. an Denis Villeneuves „Prisoners“. Nicht zuletzt deshalb schauen wir ältere Filme, um zu sehen, wie Ideen weitergegeben werden und sich verwandeln.

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Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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