Treasure Tuesday Spezialkritik: „Jacob’s Ladder“

25. August 2020, Christian Westhus

Ein Horror-Geheimtipp, der eigentlich gar kein Horrorfilm ist. Oder vielleicht doch? „Jacob’s Ladder“, das Psychothrillerdrama mit Tim Robbins, unser heutiger Treasure Tuesday Tipp. Jeden Dienstag auf Erkundungstour gehen. Wir stöbern nach vergessenen Filmen, unterschätzten Filmen, alten Filmen, fremdsprachigen Filmen. Nach Filmen die sich lohnen, auch wenn gerade nicht die halbe Welt über sie spricht.

© Koch Films

Jacob’s Ladder: In der Gewalt des Jenseits
(Originaltitel: Jacob’s Ladder | USA 1990)
Regie: Adrian Lyne
Darsteller: Tim Robbins, Elizabeth Peña, Danny Aiello u.a.

Was ist das für ein Film?
Adrian Lynes Genremix fristet seit rund 30 Jahren ein Dasein als Geheimtipp. Das ist angesichts der unklaren Zuordnung nicht überraschend, kommt vielleicht gelegen, um die Handlung nicht zu bekannt werden zu lassen, ist aber dennoch bedauerlich, denn „Jacob’s Ladder“ ist ein besonderer Film. Es ist 1975 in New York. Durch einen einleitenden Flashback erfahren wir, dass Jacob Singer (Tim Robbins) zuvor in Vietnam diente und dabei in einen brutalen Überraschungsangriff geriet. Heute ist Jacob Postbote, lebt mit seiner Freundin Jezebel (Elizabeth Peña) zusammen und hat nur noch sporadischen Kontakt zu seiner Ex-Frau und den zwei Söhnen. Die Erinnerungen an einen verstorbenen dritten Sohn plagen Jacob noch immer. Dies sind die Kernfiguren in Jacobs Leben, um die sich Gedanken und Gefühle drehen: die Freundin, die Ex-Frau, die Söhne, aber auch sein Chiropraktiker (Danny Aiello), den Jacob als „kleines Engelchen“ bezeichnet.

In letzter Zeit häufen sich aber merkwürdige Vorkommnisse, Albträume und vermeintliche Einbildungen. Seltsame Gestalten beobachten Jacob in der U-Bahn, ein irreales Körperdetail eines Passanten kann eigentlich nur ein Hirngespinst sein, das Krankenhaus weiß nichts von seiner Existenz und unbekannte in einem Auto machen Jagd auf ihn. Jacob scheint den Verstand zu verlieren, doch ein Treffen mit einem alten Vietnamkameraden lässt die Möglichkeit zu, dass den Soldaten damals womöglich irgendetwas angetan wurde.

Warum sollte mich das interessieren?
Auch wenn er gerne mal als vermeintlicher Genre-Geheimtipp in Gesprächen oder Listen auftaucht, ist der Film eigentlich keineswegs ein Horrorfilm. Doch diese „falsche“ Genrezuweisung ist nur zu verständlich angesichts dessen, was Regisseur Adrian Lyne und sein Team hier bewerkstelligen, um Jacobs Paranoia, seine Panikträume und die vielleicht realen/vielleicht irrealen Erscheinungen eindringlich und erinnerungswürdig darzustellen. Schon die angesprochene frühe Szene in einer menschenleeren U-Bahn Station mitten in der Nacht besitzt ein paar effektiv-seltsame Momente und Bilddetails. Auf einer Hausparty wird der Horrorpegel merklich erhöht, bis eine Rundfahrt auf einer Krankenhausbahre zur reinsten (und wörtlichen?) Höllenvision wird. Das erklärt vielleicht auch, warum der Film nicht nur als kleiner Horrorgeheimtipp angepriesen wird, sondern auch als eine zentrale Inspiration für „Silent Hill“ gilt – nicht nur für die Filmadaptionen, sondern für die originalen Videospiele selbst.

Wenn seltsame Traumvisionen, die Vietnam-Flashbacks und die Gegenwartshandlung ineinander greifen, glaubt man zu wissen, wie der Hase läuft. Oder zumindest glaubt man zu wissen, in welche Richtung der Hase läuft. Es gibt grob gesagt zwei Wege, wie man sich diesem Film und seiner Geschichte nähern kann: interpretativ oder emotional. Mit den religiösen Verweisen und den militärpolitischen Hintergründen ist „Jacob’s Ladder“ merklich aufgeladen, doch es ist die emotionale Seite, die besonders fasziniert. Lyne hat in Tim Robbins einen echten Könner an seiner Seite, mit dem er die Grenzen „simpler“ Kriegsdramen oder Psychothriller leicht überschreiten kann. Script und Regie muten ihrer Hauptfigur einiges zu, was heißt, dass dem Zuschauer einiges zugemutet wird. Und Robbins gelingt es, diesen teils tragischen, teils schockierenden und teils verstörenden Mix zu erden.

„Jacob’s Ladder“ ist bei Amazon digital leih-/kaufbar und brandneu im DVD/BD Mediabook von Koch Films erhältlich.

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Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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