BG Kritik: „James Bond 21: Casino Royale“

28. September 2016, Christian Mester

Bei der Suche nach dem Terroristenbankier LeChiffre (Mads Mikkelsen) lernt James Bond die ebenso elegante wie mysteriöse Vesper Lynd (Eva Green) kennen, die ihn bei einem riskanten Pokerspiel unterstützen soll. Mehr und mehr verliert er sich in ihr…

CASINO ROYALE (2002)
Regie: Martin Campbell
Cast: Daniel Craig, Eva Green, Mads Mikkelsen

Kritik:
„Casino Royale ist der beste aller Bonds“ wiederum ist eine ebenfalls weit verbreitete Meinung. Kann man so stehen lassen, muss man jedoch auch differenzieren, da es schlicht gemein ist, die Essenz aller Bonds mit diesem zu vergleichen. Die einzigen, die offenherzig vergleichbar wären, sind Liebesgrüße aus Moskau, In tödlicher Mission und Im Geheimdienst ihrer Majestät. Alle vier haben gemeinsam, dass Actionspektakel, Machofantasien und seichte Unterhaltung – in den meisten Bonds grundlegender Bestandteil, das beinhaltet auch die Connerys – mal gezielt außen vor gelassen werden; dass stattdessen Story, Schicksal und Entwicklung der Figuren im Vordergrund stehen und tatsächlich auch mal jemand überlegt, mit welcher Regie man es am besten umsetzt, nicht nur, womit es denn reicht.

In jeder dieser Hinsichten räumt Casino Royale ab. Die Story ist ausnahmsweise mal nicht über einen Superbösewicht, der Superböses plant und deswegen super aufgehalten werden muss. LeChiffre ist sogar ein relativ kleiner Fisch, der, wie sich ja später entpuppt, selbst nur Lakai wesentlich mächtigerer Gegner ist. Je länger Royale läuft, desto klarer wird, dass es ein spannendes Versteckspiel, eine Scharade ist, die toll wieder zurück zum anderen Highlight des Films führt – der leidenschaftlichen wie berührend-traurigen Lovestory der beiden. Wie in das, was The Tourist sein wollte, nur in brillant. Die sogar für einen Bond Film faszinierende Figuren sind schauspielerisch gefordert: er, der moralisch abgekaltete Killer, sie die gebrochene Seele, die wissend und liebend mit dem Dolch zustechen muss. Unerbittlich ist Bonds Schicksal: er erlebt all sein Leid, weil er seine Fassade fallen lässt und sich wieder erlaubt zu lieben, was ihm das Herz bitter bricht. Ohne ihre liebende Sorge um ihn würde er jedoch schon früher sterben, als er vergiftet wird und sie ihn nur retten kam, weil sie bereits zueinander gefunden hatten. Eine shakespearsche Geschichte demnach, die ihrer Hauptfigur also nur die Wahl zwischen Tod – oder Leid durch Liebe lässt. Ein Anspruch, der von Green und Craig großartig, sogar berührend gespielt wird – wahrlich eine Seltenheit im Bondkosmos.

Wenn auch das allein schon einen sehenswerten Film abgegeben hätte, grinst Martin Campbell schelmisch und spendiert dem ganzen gütig zwei Actionszenen, die fesselnd und explosiv zugleich inszeniert sind. Bonds Klettertour über einen Kran, sowie eine rasante Bombenlegerjagd auf einem Flughafen dürften selbst von der restlichen Geschichte gelangweilten Zynikern fulminanten Spaß bereiten, da sie ohne bayeske Feuerwerksshow und mit genügend Eigenständigkeit für sich stehen: der Stil ist hart, aber nicht übermäßig brutal, rasant, ohne zu verwackeln (dazu kommen wir noch) und schmerzvoll, ohne zu finster zu werden. Campbell, der übrigens zuvor schon Pierce Brosnans Einstieg GoldenEye inszenierte, inszeniert Royale also als intimes, grandioses Charakterdrama mit einem eleganten Schuss Agententhrill und einer ordentlichen Ladung Action. Gewagt modern, aber mit gesünderer Zurückhaltung als Madonna? Cornells Themesong, der sich hören lassen kann.

Bei allem Respekt hat aber auch dieser kleinere Schwächen. So wäre LeChiffre an sich eine ungewöhnliche Villainfigur: finster, hinterhältig und gefährlich, aber auch impotent, da ihm das Messer selbst an der Kehle steht und er gänzlich aus Verzweiflung handelt. Ein interessanter Ansatz, den Mikkelsen wunderbar schlangenhaft spielt, aber schade ist hier dass er im letzten Drittel des Films keine größere Rolle mehr einnimmt, und der eigentliche Showdown relativ ohne wirklichen Bösewicht auskommt. Das ominöse Kartenspiel selbst ist wenig spannend, und man merkt, dass Campbell zwar gezwungen ist, es zu inszenieren, aber doch lieber woanders wäre. Als Felix Leiter ist Jeffrey Wright okay, und auch Giancarlo Giannini als nebulöser Kontaktmann ist akzeptabel, selbst aber zu wenig, um interessant zu werden, und als M kommt Judi Dench zu kurz. Auch ist die letzte Actionsequenz in einem versinkenden Haus in Venedig deutlich weniger aufregend als alle davor, weswegen Royale diesbezüglich mit einem wow beginnt und nur mit einem hey zu enden droht.

Ein saurer Schank ist der Blick auf die Ursprungsbezogenheit; schaut man sich alle Bonds an, sticht Casino Royale wie gesagt mit hervor, weil er anders ist, nicht ganz in die gleiche Form passt. Zu sagen, er sei der beste Bond lässt übersehen, dass er viele der Elemente gar nicht erst bringt, die Bond auf Zelluloid definierten. Als würde man sagen, Hannibal sei der beste Hannibal Lecter Film, weil die Hauptfigur da ja nicht alt ist, der Film nicht in der Gegenwart spielt, er nicht von Polizisten gejagt wird und er noch nicht der lebenserfahrene Kunstkenner ist. Skyfall traute sich später, der Sache näher zu kommen, aber diesen Maßstab darf man als spezieller Fan der Filme hier demnach nicht anlegen… wohl aber einen anderen als Fan Flemings. Schon auf den ersten Seiten Casino Royales, des ersten James Bond Romans, wird jedem nachträglichen Leser klar, dass ihn die Filme bislang unkorrekt portraitierten. Bond ist kein warmherziger Playboy, sondern ein eiskalter Mörder, dessen Menschlichkeit irgendwo im Dunkeln liegt, der eine unbeschreibliche Faszination auf Frauen auswirkt, die er sich aber viel mehr nimmt, weil er ihnen ergeben ist und es kann, nicht, weil er ein unverbesserlicher Schürzenjäger ist, der Frauen wie Süßigkeiten wegsnackt. Er ist ein Mann, der den Frauen selbst im Bett noch gefährlich vorkommt, eine verlockende Gefahr – die sämtliche Herrschaften vor Craig nicht auszustrahlen vermochten. Wofür Craig besonders zu loben ist – er spielt den unnahbaren Klotz, der in leicht anderen Gefilden auch ein ungemütlicher Schläger in einem russischen Gulag sein könnte, mit genügend Hauch Emotion und Zerrissenheit, dass er als Bond trotz weniger Worte gewaltig ist. Wer also Fan der Bücher ist, muss besonders bei Stirb an einem anderen Tag innerlich ein klein wenig gestorben sein, da es kaum orbitaler weiter weg von der Vorlage gehen konnte – Casino hingegen ist wieder treu ergeben daheim, näher denn je. Beide Ansätze funktionieren in ihren jeweiligen Welten, doch dieser hier ist natürlich in seiner noch einmal weitaus besser.

Fazit:
Casino Royale ist eine schon sehr eigensinnige Neuinterpretation des Bondmythos: sie wirft viele der altbekannten Elemente fort und wagt sich was völlig neues, tritt von den Filmen weg und näher an die Bücher heran, riskiert viel damit… und gewinnt, da Craig, Green, Mikkelsen und Regisseur Campbell dem hoch gesetzten Anspruch mit Klasse gewachsen sind.

9 / 10

Autor: Christian Mester

Dieser Filmenthusiast (*1982) liebt es, manchmal auch mit Blödsinn, Leute für Filme zu begeistern. Hat BG im Jahr 2004 gegründet und ist dann für Pressevorstellungen, Interviews und Premieren viel rumgereist, hat als Redakteur u.a. für GameStar geschrieben, war dann mal Projektleiter in einer Werbeagentur mit Schwerpunkt dt, Kinostarts und - schaut gerad vermutlich schon wieder was.

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