BG Kritik: „Matrix Resurrections“ (Spoiler)

28. Dezember 2021, Christian Mester

Trotz seines Todes im letzten Film scheint Neo noch immer in der Matrix zu leben, hat allerdings alles vergessen, was er damals erlebt hat. Eines Tages jedoch wird er von der jungen Rebellin Bugs aufgespürt, und plötzlich treten auch Morpheus, Trinity und Agent Smith wieder in sein Leben…

Regie: Lana Wachowski
Besetzung: Keanu Reeves, Carrie-Ann Moss, Yahya Abdul-Mateen II

Dass der erste Matrix 1999 ein Meilenstein war, muss wohl keinem mehr erzählt werden. Das Amalgam aus Anime, Cyberpunk, Kung Fu, Industrial und Ledermänteln schlug damals popkulturell wie eine Bombe ein, Dank seiner im Blockbusterkino selten gehörten philosophischen Ansätze, der bahnbrechenden Bullettime-Kameratechnik, seines klar definierten Looks und Sounds, grandioser Actionszenen und einer einfach mitreißenden tollen Heldengeschichte samt Powerfantasie.

© Warner Bros – Trailerscreenshot https://youtu.be/IJ6zlh5enpc

Wirklich jeder war neugierig auf die Fortführung, doch viele mochten vor allem den sperrigen „Matrix Reloaded“ nicht. Ein Film mit zwar noch spektakuläreren Kampf- und Effektszenen (die Highwayjagd gehört immer noch mit zum besten Actionkino überhaupt), doch die Spiegelung, dass dieses Mal Trinity statt Neo (vorübergehend) starb, die Rückkehr des schier unsterblichen Smiths, die langweilige Raveszene in Zion, das bedeutungsschwangere Gespräch mit dem Architekten, die Vampire und Werwölfe, die keine Sekunde als solche zu erkennen sind und ein klares Cliffhangerende ließen viele eher enttäuscht zurück. Immerhin hatte es „Matrix Revolutions“ dann einfacher, bloß Showdown sein zu müssen.

18 Jahr später liegt also „Matrix Resurrections“ an, ein Film, den man bei Warner Bros tatsächlich schon seit 17 Jahren haben wollte, vor dem sich die Macher aber jahrelang trotz aller Millionenangebote gesträubt haben. Niemand weiß genau, wie die Rechte verteilt sind, ob Warner Bros überhaupt einen Matrix ohne Beteiligung der Wachowskis machen darf, allerdings haben sie es ihnen zuletzt angedroht – und nur weil man nicht wollte, dass irgendwer anderes ein liebloses Sequel macht, gab Lana Wachowski kurzfristig nach und hat nun diesen neuen Film entwickelt.

Nur – dass sie ihn eigentlich gar nicht machen wollte, merkt man.

Insbesondere die Actionszenen lassen regelrecht staunen, wie schlecht diese inszeniert sind. Es gibt nicht eine herausragende Sequenz im ganzen Film (die ferngesteuerten menschlichen Bomben zum Schluss wären fast einfallsreich, wäre es nicht eine Nachmache der ferngesteuerten Autos aus „Fast & Furious 8“). Überdies sind alle Martial-Arts-Kämpfe hektisch geschnittener Mist und kein Vergleich zum alten Material. Normalerweise könnte man mutmaßen, dass man das so gemacht hat, weil es der Hauptdarsteller einfach nicht besser kann, aber Keanu Reeves? „John Wick“? Nein, die Antwort ist eine andere: Lana Wachowski hatte einfach kein Interesse daran.

Action ist halt drin, weil Warner Bros niemals einen neuen Matrix ohne Action erlaubt hätte, aber während man bei allen Actionszenen der alten 3 Teile – egal ob man die mochte oder nicht – klar sehen kann, dass die Macher fraglos viel, viel Mühe und Präzision aufbrachten, jede einzelne Kampfszene als coole Helden-Powerfantasie (Neo ist nach seiner schnellen Entwicklung einfach wie Superman oder Goku) wirken zu lassen, scheint das hier mit einem Bruchteil des Aufwands angegangen worden zu sein; die Antwort muss einfach darin liegen, dass es der Regisseurin relativ unwichtig war. Riskante Motivation, aber dann dürfte der Film ja sicherlich inhaltlich mehr zu bieten haben?

© Warner Bros – Trailerscreenshot https://youtu.be/nNpvWBuTfrc

In der ersten halben Stunde ist der Film glatt so kontrovers wie „Star Wars: Die letzten Jedi“, indem Neo *TWIST* als Gamedesigner offenbart wird, die Matrix 1-3 Geschehnisse nur ein überhyptes Videogame waren, und sich im Büro munter darüber unterhalten wird, dass Warner Bros drängt, aus reiner Geldgier einen neuen Teil zu veröffentlichen. Es wird sogar gezeigt, wie Neo gelangweilt auf dem Klo sitzt. Als Fan der alten Filme wird einem so sehr auf die Füße getreten, dass man schlicht kotzen könnte.

Dann die nächste Wendung: Moment, Neo ist doch Neo und die Ereignisse sind wirklich alle passiert, und das ist bloß eine Rolle, die ihm die Matrix zugeteilt hat, und er und Trinity wurden zurückgeholt, weil die Energie ihrer Liebe besonders hohe Batteriekraft hat, die es sich abzuzapfen lohnt. Aha? Also Fankritik retour, doch alles gut? Gewiss nicht.

Trotz ‚mutigen‘ Einstiegs und einiger Metakommentare ist „Matrix Resurrections“ ein ganz gewöhnlicher Matrix Titel, nur mit Remake-Charakter. Wieder wird Hacker Neo über die Matrix informiert, wieder verlieben sich Neo und Trinity, wieder muss Neo schauen, ob er der „eine“ ist, wieder lernt er ein paar Rebellen kennen, die in Lumpen leben, dafür aber fliegende Hovercrafts und gewaltige Untergrundstädte haben, die selbst Moria wie einen Kartoffelkeller aussehen lassen, wieder trainiert er mit Morpheus im Dojo, wieder kloppt er sich mit Agenten und Agent Smith.

Inszenatorisch ist diese Wiederholung seiner Reise jedoch in allen Belangen schlechter und langweiliger umgesetzt, die Neubesetzungen von Smith und Morpheus haben nicht ansatzweise das gleiche Charisma von Hugo Weaving und Laurence Fishburne, und die Tatsachen, dass Neo schon vorher 2x gestorben ist und die Menschen trotz Neos Sieges vor 60 Jahren noch immer in der Matrix gefangen sind, lassen allmählich eine Gleichgültigkeit aufkommen.

Jeder sterbende kann offenbar einfach zurückkommen, und egal was „der Eine“ auch machen mag, es bleibt eh beim alten. Dementsprechend geht es insgesamt um Nichts, nur dass es statt damals zynisch grau-grün finster dieses Mal bunt und fröhlich (und müde – Keanu Reeves sieht den ganzen Film über aus, als suche er Pfandpflaschen in Parkmülleimern) stilisiert wird. Und da Moss und Reeves auch nach 4 Filmen immer noch keine glaubhafte romantische Ader miteinander haben, lässt es völlig kalt, ob die zwei dieses Mal händchenhaltend in den Sonnenuntergang fliegen können oder nicht; dennoch soll es ein mitreißender Yeah-Moment sein, wenn nicht Neo, sondern Trinity fliegen kann.

Wieso der Einstieg gewählt wurde, wird man wohl nicht verstehen. Im einfachsten Falle sollte es ein überraschender Twist sein, der aber schon vom ersten Trailer an vorweg genommen wurde. Im schlimmsten Fall fanden die Macher es… witzig, derart mit den Erwartungen zu spielen? Das ist etwa so witzig wie Luke Skywalker, der Reys Lichtschwert desinteressiert wegwirft.

Der Film hat auch seltsamerweise die Bemühung, Trinity rückwirkend als wichtig zu deklarieren. Hinsichtlich der alten Filme erscheint das aber völlig deplatziert: der erste Film fängt schließlich mit ihr an, nur wegen Trinity folgt Neo den Rebellen bis in die Realität, nur wegen ihr überlebt er den ersten Film; ihre Rettung ist der Kern des zweiten Films; im dritten ist ihr Tod der emotionalste Punkt, und überhaupt erhält sie in allen Filmen ebenso fantastische Actionszenen wie Neo, nie ist sie ein unwichtiger Sidekick oder bloß Love Interest für den Helden. Es ist also Unsinn zu meinen, Carrie-Ann Moss‘ Figur wäre in den alten drei Filmen zu kurz gekommen und müsste hier nochmal neu gewürdigt werden.

Smith und Morpheus hingegen mit jüngeren Darstellern zu besetzen und neu zu bringen, fühlt sich indes wie eine Ohrfeige für beide Charaktere an. Dass Smith, der in 3 fast die gesamte Matrix vernichtet hat, weiter in dieser agieren darf, ist ebensolcher Mumpitz wie die Tatsache, dass er seine Zeit nun offenbar damit verbringt, Neos Bro-Vorgesetzten zu spielen. Morpheus indes wird als Agent eingeführt, was aber nach zwei Minuten schon keine Relevanz mehr hat; im späteren Verlauf scheint es Wachowski generell wichtiger zu sein, ihn ohne Hemd zu zeigen. Ausgerechnet Barney Stinson leitet überdies als neuer Chef die Matrix, und wirkt dabei, als hätte er sich aus einen SNL Sketch verlaufen. Nicht eine Sekunde kann man ihn ernstnehmen, und zusammen mit Agent Smiths fahlem Dudebro-Nachfolger und den neu eingeführten niedlichen Maschinen-Knuddelwesen wirkt die Matrix an sich längst nicht mehr wie das, was es mal war: ein bedrohliches Gefängnis.

Einziger Lichtblick ist Jessica Henwick als neue Rebellin Bugs, die einen eigenen Film verdient gehabt hätte. Leider fällt sie aber auch immer wieder negativ auf, da sie als Erklärbär alles mögliche für den dümmsten möglichen Zuschauer ausformulieren muss, wie etwa die Tatsache, dass Bugs wie Bugs Bunny klingt (von Warner Bros) und Bugs auch lästige Fehler in Programmen sind. Schlimmer wird es, wenn sie von Ereignissen der alten Matrix erzählt und Regisseurin Wachowski jedes Mal die Gelegenheit nutzt, Filmausschnitte einzustreuen (ebenso birnig ist es, die alte Matrix Trilogie ständi  als Game zu beschreiben, dann aber immer nur Ausschnitte der Filme zu zeigen – hier hätten sie locker alternativ Gameplayszenen aus „Enter the Matrix“, „The Matrix Online“ oder „Path of Neo“ nehmen können).

Auch musikalisch gehört der neue Matrix in den Papierkorb: monumentale Tracks wie „Navras“, „Mona Lisa Overdrive“, „Burly Brawl“, „Neodämmerung“ oder „Spybreak“ sucht man hier vergebens.

Fazit:

„Matrix Resurrections“ ist eine völlige Enttäuschung. Die Aspekte, die an einen typischen Matrix erinnern, sind allesamt lieblos inszeniert, blöd nachgemacht und mit lahmer, einfallsloser Action gespickt, und der Rest ist keineswegs die clevere Meta-Dekonstruktion a la „Deadpool“ meets „The Big Short“ meets „Watchmen“, die sie gern wäre.

2/10

 

Autor: Christian Mester

Dieser Filmenthusiast (*1982) liebt es, manchmal auch mit Blödsinn, Leute für Filme zu begeistern. Hat BG im Jahr 2004 gegründet und ist dann für Pressevorstellungen, Interviews und Premieren viel rumgereist, hat als Redakteur u.a. für GameStar geschrieben, war dann mal Projektleiter in einer Werbeagentur mit Schwerpunkt dt, Kinostarts und - schaut gerad vermutlich schon wieder was.

Um an dieser Diskussion teilzunehmen, registriere dich bitte im Forum:
Zur Registrierung