Treasure Tuesday Spezialkritik: „Green Room“

11. Mai 2021, Christian Westhus

Eine Punkband gerät in einer Skinhead-Bar in Bedrängnis. „Green Room“ von Jeremy Saulnier, unser heutiger Treasure Tuesday Tipp. Jeden Dienstag auf Erkundungstour gehen. Wir stöbern nach vergessenen Filmen, unterschätzten Filmen, alten Filmen, fremdsprachigen Filmen. Nach Filmen die sich lohnen, auch wenn gerade nicht die halbe Welt über sie spricht.

© Leonine

Green Room
(USA 2015)
Regie: Jeremy Saulnier
Darsteller: Anton Yelchin, Imogen Poots, Patrick Stewart, Alia Shawkat, Macon Blair, u.a.
Kinostart Deutschland: 02. Juni 2016

Was ist das für ein Film?
Ein harter kleiner Thriller von Jeremy Saulnier, Regisseur des ebenfalls sehenswerten „Blue Ruin“. Pat (Anton Yelchin), Sam (Alia Shawkat), Reece (Joe Cole) und Tiger (Callum Turner) sind die Ain’t Rights, eine kleine und zurzeit vom Pech verfolgte Punkband. Ein Gig verlief erfolglos, ein anderer wurde komplett abgesagt; die Ain’t Rights sind in Geldnot. Über einen Bekannten landen sie dennoch einen kleinen Auftritt, irgendwo in der ländlichen Einöde nahe Portland, Oregon. Die Konzertbar entpuppt sich allerdings als Skinhead- und Nazi-Bar und die Ain’t Rights sollen die Vorband für eine Nazi-Metal Band geben. Aus der Not geboren wagt sich die Band dennoch auf die Bühne und ist so kühn, das Lied „Nazi Punks Fuck Off“ der Dead Kennedys zu covern, eine grelle Provokation, die sie irgendwie unbeschadet überstehen. Eigentlich ein überraschend erfolgreicher Abend, bis sich bei der Abreise etwas im Green Room, dem Backstage Warteraum, ereignet. Zwei Frauen (u.a. Imogen Poots) in Bedrängnis, ein Mord, ein Anruf bei der Polizei und ausbrechende Panik. Die Ain’t Rights müssen sich im Green Room verschanzen, insbesondere dann, als Barbesitzer Darcy (Patrick Stewart) aufkreuzt und verlangt, sämtliche Zeugen müssten beseitigt werden.

Warum sollte mich das interessieren?
Regisseur Jeremy Saulnier hat zusammen mit Macon Blair (hier in einer Nebenrolle zu sehen) eine kleine Nische für fiese kleine Thriller mit der zusätzlichen Prise psychologischer oder sozio-politischer Brisanz gefunden. Als Filmemacher, Autoren, Produzenten und (in Blairs Fall) als Darsteller kreierten sie in regelmäßiger Kooperation nicht nur diesen Film und „Blue Ruin“, sondern auch „Fremd in der Welt“ und „Wolfsnächte“ für Netflix, sowie den provokanten „Cheap Thrills“. Von zuletzt Genanntem abgesehen, der mit seiner High Concept Prämisse ein kleinwenig herausragt, positionieren diese Filme gesellschaftliche Außenseiter und Randfiguren ins Zentrum; Menschen, unerprobt in Action und Gewalt, aber nicht immer mit der richtigen Selbsteinschätzung. Diese Genre-Amateure schaffen sich wahlweise ihr eigenes Unheil oder geraten unter außergewöhnlichen Umständen in einer Notsituation, in der sie sich über Wasser halten müssen. Ein solcher Fall ist mehr oder weniger „Green Room“. Die Ain’t Rights sind an der Notsituation und der Eskalation nicht direkt schuldig, haben aber – vom schlechten Timing abgesehen – zuvor auch ein wenig gezündelt, so dass nun alles in Flammen steht. Sie sind Punks, klar, aber sie sind keine Kämpfer.

„Green Room“ ist in gewisser Weise ein Home Invasion Thriller, aber genauer noch ein Belagerungsfilm ähnlich dem John Carpenter Klassiker „Anschlag bei Nacht“ (Assault on Precinct 13, 1976). So beschränkt sich ein nicht unerheblicher Teil der Handlung wortwörtlich auf den Green Room, wo bald Unruhe, Panik und Gewalt ausbrechen. Selbst als sich die Örtlichkeiten ein wenig verändern und vergrößern, setzt Regisseur Saulnier weise und effektive Grenzen, holt das Maximum aus diesen Umständen heraus. Dabei dreht sich nicht nur die viel zitierte Spannungsschraube bis zum Anschlag, sondern auch die Gewalt. „Green Room“ ist in ein paar entscheidenden Szenen alles andere als zimperlich. Beim Anblick eines Cuttermessers sollte man sich schon mal innerlich darauf vorbereiten, was kurz darauf passieren wird. Durch die politischen Ideologien, die in den miefigen und schummrigen Räumlichkeiten der Bar aufeinandertreffen, erhöht sich die Anspannung weiter. Unsere Protagonisten sind nicht einfach eine saubere Klischee-Familie und die Gegenspieler nicht einfach irgendwelche maskierten Psychopathen. Der exzellent Cast, rund um den leider jung verstorbenen Anton Yelchin und die immer großartige Imogen Poots, sowie den wunderbar a-typisch besetzten Patrick Stewart, forciert und unterstützt das Geschehen weiter. So wird „Green Room“ zu einem Musterbeispiel eines großartig konstruierten Films, der durch kluge Beschränkung und blendende Inszenierung zu einem Spannungsgaranten wird.

„Green Room“ ist als DVD/BD/VOD erhältlich.

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Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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