BG Kritik: „Marvel’s The Avengers“

16. April 2012, Christian Mester

Als Thors Bruder Loki eines Abends in die SHIELD Festung einbricht und Red Skulls Tesseract Artefakt stiehlt, steht ein intergalaktischer Krieg vor der Tür: Loki will die gebündelte Macht des Objekts nutzen, um eine außerirdische Kriegerarmee auf die Erde zu holen. Um das zu verhindern, lässt SHIELDs Nick Fury die großen Helden zusammenfinden: Tony „Iron Man“ Stark, Thor Odinson, Clint „Hawkeye“ Barton, Natasha „Black Widow“ Romanoff, Steve „Captain America“ Rogers, Dr. Bruce „Hulk“ Banner und Agent Phil “ “ Coulson. Zusammen stellen sie sich dem Magier, der die Welt in Flammen sehen will…

MARVEL’S THE AVENGERS (2012)
Regie: Joss Whedon
Cast: Clark Gregg, Scarlett Johansson, Robert Downey Jr., Chris Hemsworth, Chris Evans, Jeremy Renner, Samuel L. Jackson, Tom Hiddleston

Kritik:
Dass einmal Großes bevorstünde, war schon 2008 zu spüren: im Abspann des ersten eigenen Films des Comic-Studios Marvel, Iron Man, tauchte plötzlich Nick Fury auf, der Stark die Avenger Initative nannte. Comic-Fans trauten ihren Augen und Ohren nicht, denn das Stichwort läutete das ultimative Fanerlebnis ein: das Zusammentreffen der größten Marvel-Stars. Trotzdem blieb nagende Ungewissheit; denn nur weil Iron Man gut gelaufen war, war längst nicht garantiert, dass auch die anderen einzeln bestehen würden. Abgesehen vom letzten Hulk, Der unglaubliche Hulk, der nur passable Box Office Zahlen fand, feierten Iron Mans Rückkehr, Captain America und Thor jedoch deutliche Erfolge (die auch bereits 2013+14 neue Fortsetzungen abwerfen werden). Jeder der Filme streute weitere Verbindungen, die umso heißer auf das gewaltige, unausweichliche Treffen machten – und nun ist es da.

Die Chance, diesen Film je zu bekommen, war gering; die Chance, die meisten der wichtigen Heldendarsteller zu behalten, noch geringer (immerhin gibt es mit Mark Ruffalo nun bereits den dritten Hulk in 10 Jahren), doch die Chance, dass all diese Variablen im Mix auch noch funktionieren könnte, undenkbar. Zumal ausgerechnet Joss Whedon hinter der Kamera stand, der bisher nur im Fernsehen (Buffy – Im Bann der Dämonen, Firefly, Angel) und mit einem kleinen, wenig erfolgreichen (aber guten) Film (Serenity) von sich hören ließ. Wer ihn jedoch kannte, sah sein Potential: so ist Whedon ein alteingesessener Profi, der halb Hollywood persönlich kennt und ein exzellentes Händchen für die Koordination größerer Gruppen hat. So waren die zuweilen durchaus erfolgsverwöhnten Stars in guten Händen. Whedon sorgte dafür, dass es ein Teamfilm, kein „& Friends“ Event wurde, dämmte mögliche Streits im Kern und ließ allen klar werden, dass dieser Film etwas ganzes Außergewöhnliches sei. Dass der Mann auch noch Comic-Enthusiast und nicht bloß kompetenter Werksfilmer ist, machte Mut. Nur war trotz allem ein Mjolnir zu stemmen, um den haushohen Erwartungen gerecht zu werden: der Film musste, durfte nichts anderes als fantastisch werden. Whedon hat genau das geschafft.

Das beste an allen bisherigen Marvel Eigenproduktionen – Iron Man 1+2, Thor, Der unglaubliche Hulk, Thor und Captain America: The First Avenger – waren die einzelnen Hauptdarsteller. Bestens besetzt, waren sie es, die vergessen ließen, dass in den Filmen grüne Mutanten, fliegende Milliardäre, Nazis und Donnergötter aus anderen Welten um absurde Relikte und Welteroberungspläne kämpften. Sie manifestierten, was die Comics so beliebt und zeitlos macht: unterhaltsame Helden, die in Fantasielandschaften menschliche Odysseen erleben. Mit Hämmern, Blastern und Muskeln, aber immer bodenständig herzlich und aufrichtig. All diese Helden aufeinander treffen zu lassen konnte nur fantastisch sein. Es macht folglich echten Spaß, diese alle nun miteinander agieren, sie gegen- und auch miteinander kämpfen zu sehen, da die Darsteller wieder klasse sind und sichtlich miteinander harmonieren.

In Sachen Action smasht The Avengers alles weg, was bisher an Comic-Verfilmungen umgesetzt wurde. In seine 140 Minuten Laufzeit stopft Joss Whedon schier Unmengen an Actionszenen, die von kleinen packenden Martial-Arts-Einlagen bis hin zum Straßenkrieg reichen und in jeder Feinheit überzeugen. Tricktechnisch hervorragend gemacht, lässt Whedon ihre gewaltigen, bisher oftmalig stark eingeschränkten Kräfte Parade laufen. Vorbildlich ist die erreichte Übersicht, die jede Szene überschaubar behält und die in so vielen aktuellen Actionfilmen zu missen war. Schon mal überlegt, was wohl passiert wenn Thors Mega-Waffe Mjolnir auf Captain Americas unzerstörbares Schild trifft? Überlegungen wie diese werden im Film zahlreich behandelt, gefüllt ist er mit vielen Winks und Insidergags, die jedem Comicfan das Herz höher schlagen lassen. Keine Frage, der von Whedon kompetent inszenierte Film ist ein Dankeschön an alle Fans, selbst an die, die bisher nur die Filme kennen. Als Comic-Film hat er erneut keine allzu weitreichende Geschichte, keine wirklichen Twists und nicht die Ernsthaftigkeit eines The Dark Knight, besticht aber als das, was es sein soll: unterhaltsames, harmloses, aber niemals niveauloses Entertainment. Zu den Helden:

Thor: Asgards Sohn bleibt weiterhin arrogant und ruhig, ist er doch der einzige, der gewaltige Monsterinvasionen längst kennt und zu lösen sogar liebt. Sein im eigenen Film gewonnener Respekt vor den Menschen lässt ihn jedoch zum eifrigen Retter anderer werden. Im Film bekommt er vor allem starke Szenen mit Captain America und dem Hulk. Iron Man: Stark merkt allmählich, dass er mit seinem Geld und brillanten Verstand zwar unter Menschen ein Gott sein mag, doch die anderen, ebenso oder gar stärkeren Wesen flößen ihm langsam Respekt ein. Er merkt, dass er in diesem Fall erstmals nicht der geeignete Anführer ist, und treibt seinen gedachten Chef, den bodenständigen Cap gezielt zur Weißglut. Überraschend ist, wie sehr sich Downey als Stark zurück hält – die befürchtete One-Man-Show ist es nicht geworden (auch wenn sie dann trotzdem unterhaltsam geworden wäre). Captain America: frisch aufgetaut, weiß der Supersoldat aus den 40ern nicht, wo er hingehört, doch sein Mut und sein Beschützerinstinkt, was er schon vor seiner Verwandlung besaß, lassen ihn zum bestmöglichen Teamleader werden. Der Hulk: anders als in Hulk (2003) und Der unglaubliche Hulk (2008) ist Bruce Banner dieses Mal nicht mehr der verzweifelte introvertierte Zahlenschieber auf der Flucht. Banner hat begriffen, dass er im Grunde unsterblich und nahezu unbesiegbar ist. Sich in das Monster zu verwandeln gefällt ihm noch immer nicht, aber mittlerweile kann er locker damit leben und es auch halbwegs kontrollieren. Eine neue Ausgangslage, die dazu führt, dass er beim Einsatz Spaß hat – und so auch alle anderen, denn der Grüne bekommt zweifellos die besten Szenen des gesamten Films. Verraten sei keine, aber obwohl alle Helden im Film gleichmäßig behandelt werden, ist er der unangefochtene Szenendieb. Einer seiner Momente würde schon genügen, doch seine Highlights smashen die der Kollegen davon. Tricktechnisch ist er ebenso gut wie der letzte gemacht, nur dass dieser stärker nach seinem menschlichen Pendant aussieht.

Überraschend ist, dass Black Widow und Hawkeye umfangreich viele Szenen bekommen. Die eigentlich wenig spektakulären, da ohne größere Mächte ausgestatteten Avengers lassen es dennoch krachen. Scarlett Johansson ist nicht bloß dafür da, ihr hautenges Leder auszufüllen, sie bekommt sogar die meisten Charakterszenen – die es neben der vielen Action auch noch gibt – spendiert. Hawkeye selbst erhält am wenigsten eigene Szenen und fungiert vielmehr als wichtiger Emotionspunkt für Widow, die sich zum einen als Weltklassespion zeigt (ein Hulk könnte ihre Arbeit zweifellos nicht tun), zum anderen aber auch für eine glaubhaftere Welt sorgt, in der es nicht nur Sprüche klopfende Tonys und Thors gibt, die mit Leichtigkeit durchs Leben wandern. Von allen Figuren sind Hawkeye, Nick Fury und dessen Assistentin Maria Hill (von How I Met Your Mothers Cobie Smulders gespielt) die schwächsten, wobei die drei am ehesten dem Typus Armee entsprechen: Fury gibt ernste Befehle, Hawkeye und Hill führen sie aus. Sehr amüsant ist erneut Clark Gregg als Agent Phil Coulson, der sich so ganz ohne eigene Künste unerschrocken selbst gefährlichsten Gegnern stellt und ihnen süffisant Paroli bietet. Bei allem Glanz haben die Avengers allerdings eine Stelle zu polieren übersehen, die da heißt Loki. Tom Hiddleston ist zwar erneut spitze als schelmischer Magier, doch sein Auftreten erscheint höchst einsilbig. Gab es im Film Thor interessante Hintergründe, holt er sich hier bloß lachend einen Schlüssel, um damit gesichtslose Monster auf die Welt zu hetzen. Zwar bekommt er von seinem Bruder, von Tony und in Stuttgart (!) von einem Rentner interessantes Kontra, doch seine Figur macht nichts damit. Er ist eindimensional böse, dazu weiß Whedon gegen Ende auch nicht, wie er das passend zuende führt (wobei es eine der wahrscheinlich lustigsten, besten, most awesomesten Filmmomente des Actionkinos beinhaltet). Dieser Schwäche steht allerdings die Überpräsenz der Helden gegenüber, die durchaus drüber hinwegsehen lassen, dass die Gegner nicht ganz so faszinierend sind (könnte sich in Bälde noch ändern: dazu gibt es eine Szene im Abspann, die einen kommenden Gegner anteased – eine Szene, die Comic-Kennern das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen dürfte).

Darüber hinaus gibt es kleinere Stolpersteine zwischendurch; so sieht Banners Fundort, ein kleines Häuschen in Südamerika, zu perfekt ausgeleuchtet nach Set aus, sieht eine Waldszene vom Set her schlicht schlecht aus, fallen einige der gut gemeinten Dialoge dann doch einen Tacken zu lang aus, ist der Score zu ungenau. Auch ist das gewählte nachkonvertierte 3D – erneut – nicht der Rede wert, wie schon bei Thor und Captain America. Es ist nicht schlecht, so sieht vor allem Tony’s HUD im Anzug schick aus und sparte man sich jeglichen aus-der-Leinwand Firlefanz, aber unnütz. Doch die Schwächen die existieren, stehen einer Front so vieler gelungener Momente, Szenen, Figuren und Dialogen gegenüber, dass die vielleicht viel klingende Aufzählung dadurch stark entkräftet wird. Insgesamt sollte man zudem eine gewisse Grundaffinität für Comic-Filme mitbringen, da der Film sich als Festival, als Weltcup, als Greatest Hits seines Genres präsentiert. Kennt man die Beteiligten nicht, hemmt es die Mitfreude, kann man ohnehin nichts mit dem Ganzen anfangen, wird es auch das Ultrazusammentreffen der Big Ones nicht mehr ändern. Aber dafür gibt es dann ja auch noch andere Filme dies Jahr.

Fazit:
Avengers ist (fast) alles, was es sein sollte: fulminant, amüsant, respektvoll, actionreich, klasse gemacht und nie niveaulos oder unbeabsichtigt stupide. Ein Muss für jeden Comic(film)-Fan, ein Muss für jeden Blockbuster-Actionfan, ein Meilenstein für sein Genre, ein bombastisches Großprojekte-Debüt von Joss Whedon, eine tolle Etappe zu weiteren Marvel Cinematic Universe Filmen, ein Vorbild für Kollegen wie Bay und Berg, sowie Nachbarcomicverein DC, die sich nach dem verleuchteten Green Lantern mächtig anstrengen müssen, dass ihr neuer Superman im nächsten Jahr taugt. Avengers ist unterhaltungstechnisch ohne Frage einer der besten des Jahres, egal was noch kommen mag.

10/10

Autor: Christian Mester

Dieser Filmenthusiast (*1982) liebt es, manchmal auch mit Blödsinn, Leute für Filme zu begeistern. Hat BG im Jahr 2004 gegründet und ist dann für Pressevorstellungen, Interviews und Premieren viel rumgereist, hat als Redakteur u.a. für GameStar geschrieben, war dann mal Projektleiter in einer Werbeagentur mit Schwerpunkt dt, Kinostarts und - schaut gerad vermutlich schon wieder was.

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