BG Kritik: „Lady Bird“
Handlung: Sacramento, Kalifornien, 2002. Die 17-jährige Christine nennt sich selbst Lady Bird, eckt mit ihren Eltern und den Lehrkörpern ihrer katholischen Schule an, flirtet mit Jungs und plant den Wechsel an eine kulturfreundliche Kunst-Uni an der Ostküste, um dem ach-so-spießigen Sacramento zu entfliehen.
Lady Bird
(USA 2017)
Regie: Greta Gerwig
Darsteller: Saoirse Ronan, Laurie Metcalf, Beanie Feldstein, Lucas Hedges, Timothée Chalamet, Tracy Letts
Kinostart Deutschland: 19. April 2018
Greta Gerwig schickt sich an, die wahrhaftigste Geschichtenerzählerin ihrer Generation zu werden.
Schlechte Nachricht für Filmemacher Noah Baumbach. Der Regisseur und Drehbuchautor von Filmen wie „Der Tintenfisch und der Wal“, „Greenberg“ und „The Meyerowitz Stories“ ist zweifellos eine der interessanteren Stimmen des amerikanischen Independent Kinos. Doch seine Filmographie wird – zumindest nach Meinung dieses Rezensenten – von zwei Filmen klar dominiert: „Frances Ha“ (2012) und „Mistress America“ (2015). Der Haken für Baumbach? Besagte Filme schrieb er zusammen mit Lebenspartnerin Greta Gerwig, die auch die Hauptrollen spielte. Nun, sieht man von der Ko-Regie beim No-Budget Film „Nights and Weekends“ (2008) ab, gibt Gerwig ihr Regiedebüt nach eigenem Drehbuch, ohne offizielle Mithilfe Baumbachs. Und nicht nur ist „Lady Bird“ problemlos auf einer Höhe mit „Frances Ha“ und „Mistress America“, der Film wirkt auch wie die jüngste Schwester dieser Filme, wie der chronologisch erste Teil einer losen und doch unbestreitbar gefühlsverwandten Trilogie.
Baumbach und Gerwig besitzen ähnliche Interessen, blicken gerne und häufig auf Familien und auf das Streben nach Selbstverwirklichung intellektueller und/oder kunstaffiner Menschen. Christine alias Lady Bird ist so ein kreativer Geist – zumindest empfindet sie selbst so. Bei ihrer finanziell eingeschränkten Familie kommen die Träume von versnobten New Yorker Kunsthochschulen oder gar Yale nur mittelmäßig gut an. Blöderweise kann Mutter Marion (Laurie Metcalf) nur deswegen noch ruhig schlafen, da sie ihrer Tochter die Qualifikation für die Eliteuniversität nicht zutraut – dieses Gefühl hat jedenfalls Lady Bird, die sich in dieser wichtigen Transitionsphase ihres Lebens nicht ausreichend wertgeschätzt fühlt. Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter ist schwierig. Aus Trotz oder um einem unangenehmen Gespräch aus dem Weg zu gehen, springt Lady Bird schon mal aus dem fahrenden Auto. Die Botschaft, die fortan auf dem Gipsverband prangt, ist hart und klar.
Die Beziehung von Lady Bird und ihrer Mutter ist dennoch nicht ausschließlich hasserfüllt. In den richtigen Momenten ist die Zuneigung, sogar Liebe da. Ihre Mutter habe ein zu großes Herz, erklärt Lady Bird Freunden oder Bekannten, die die Familiensituation zu greifen versuchen. Es ist einer von vielen wundervollen Kniffen, die Filmemacherin Gerwig parat hat, wie sie vollkommen ungehemmt zwischen konträren Stimmungen hin und her springt, wie sie herrliche Komik mit tragischen Spitzen beantwortet. Mutter und Tochter haben einen lautstarten Streit in der Öffentlichkeit, bis ein gezeigter Gegenstand ein euphorisches „Oh, wie toll!“ auslöst. Lady Bird erlebt einen neuen schönen „Meilenstein“ mit einem Jungen, es könnte Theaterkurs Schwarm Danny (Lucas Hedges) oder der coole Musiker Kyle (Timothée Chalamet) sein, bis plötzlich die metaphorische Nadel die Euphorieblase von einem Augenblick zum nächsten platzen lässt.
Angesichts dieses emotionalen Hin und Hers durch eine resolute, nicht immer einfache, dadurch aber überaus faszinierende Hauptfigur, gibt es eine Sache, die „Lady Bird“ jederzeit erdet und letztendlich zum großen Werk werden lässt: pure Authentizität. Manches davon ist biographisch; Greta Gerwig wuchs in Sacramento auf, machte etwa 2002 (in diesem Jahr spielt „Lady Bird“) ihren Abschluss an einer katholischen Mädchen High School und studierte anschließend am angesehenen Barnard College in New York. Diese Parallelen sind keine Parallelen, sondern pure Absicht. Gerwig beschwört eine entscheidende Phase ihrer eigenen Jugend herauf, begeht dabei aber nicht den beliebten Fehler, sich zu sehr auf persönliche Rekonstruktion zu verlassen. Ihre Figuren, insbesondere Lady Bird persönlich, sind so absolut real nicht da sie biographisch sind, sondern da sie Fehler besitzen und machen. Gerwig versteht ihre Figuren nicht bloß, da sie möglicherweise mal ungefähr wie Lady Bird war, sondern da sie ihnen unter tatkräftiger Mithilfe eines durch die Bank weg fabelhaften Schauspielensembles wahrhaftiges Leben einhaucht und auf ganz eigene Reisen schickt. Dabei sickert aus und durch jede Pore des Films eine Wärme und Zuneigung, die man nicht einfach erlernen kann und die nicht einfach durch autobiographische Züge erklärt werden können. Die Wahrhaftigkeit in Gerwigs Kino ist anders als die manch europäischer Filmemacher, beispielsweise der belgischen Brüder Dardenne, die immer am Rande der Dokumentation filmen. „Lady Bird“ ist trotz allem lebendiges Kino, voller Energie und angespornt durch einen unbändigen Willen zu emotionaler Offenheit. Das spürt man durch Sam Levys sonnig-intensive Bilder, durch das ausgeklügelte Hin und Her der Stimmungen, durch den Umgang mit Musik, den selbstbewusst forschen Schnitt oder durch die leicht zu unterschätzende Schauspielmeisterschaft, die insbesondere Saoirse Ronan und Laurie Metcalf abliefern. „Lady Bird“ ist großes Kino.
Fazit:
Wunderbares Kino, oft heiter, häufig dramatisch, dabei immer absolut authentisch. „Lady Bird“ als kleines Kino abzutun, täte diesem großen Film Unrecht.
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