Treasure Tuesday Spezialkritik: „Lohn der Angst“

20. April 2021, Christian Westhus

Schweißtreibendes Spannungskino, wenn große Mengen Nitroglyzerin durch den Dschungel transportiert werden müssen. Der Klassiker „Lohn der Angst“ (1953), unser heutiger Treasure Tuesday Tipp. Jeden Dienstag auf Erkundungstour gehen. Wir stöbern nach vergessenen Filmen, unterschätzten Filmen, alten Filmen, fremdsprachigen Filmen. Nach Filmen die sich lohnen, auch wenn gerade nicht die halbe Welt über sie spricht.

© Concorde Home Entertainment

Lohn der Angst
(Originaltitel: Le Salaire de la peur | Frankreich, Italien 1953)
Regie: Henri-Georges Clouzot
Darsteller: Yves Montand, Charles Vanel, Folco Lulli, Peter van Eyck, Vera Clouzot
Kinostart Deutschland: 11. September 1953

Was ist das für ein Film?
Ein Meisterwerk des Adrenalin- und Spannungskinos. In Las Piedras, einem halbtoten Dorf in Südamerika, geht es nur ums Öl. Es geht nur noch ums Öl, denn die große Ölgesellschaft SOC ist der einzige wirkliche Arbeitsgeber vor Ort. In Las Piedras sammeln sich insbesondere Männer, die auf einen Job und auf ein besseres Leben hoffen, aber auch die, die schon erfolglos in der Einöde versackt sind und nicht mehr vom Fleck kommen. Als ein Brand an einer weit entfernten Erdölquelle ausbricht, soll dieser mit einer gezielten Sprengung gelöscht werden. Dafür sollen große Mengen Nitroglyzerin zum Brand gebracht werden; 500km durch den Dschungel, über Berge und unwegsames Gelände hinweg. Obwohl es ein Himmelfahrtskommando zu sein scheint, melden sich in verzweifelter Hoffnung unzählige Männer. Ausgewählt werden schließlich der Korse Mario, der Franzose Joe, der Italiener Luigi und der Deutsche Bimba. Jeweils zwei Mann für die zwei Transporter. Mit einer Ladung, die bei jeder Erschütterung in die Luft fliegen könnte, durch die Wildnis.

Warum sollte mich das interessieren?
Denkt man an Suspense, denkt man an Hitchcock. Und das aus gutem Grund. Doch selbst der Meister des Suspense dürfte Henri-Georges Clouzots schweißtreibendem Klassiker ein anerkennendes Nicken zugedacht haben … wenn er vor lauter Anspannung überhaupt zum Nicken kommt. Das Konzept erscheint simpel. Die explosive Gefahr von Nitroglyzerin ist bekannt. Also „schmeißt“ man einen ganzen Haufen davon zusammen und schickt zwei LKW durch wildes Terrain und über Straßen, die selbst für gewöhnliche PKW eine Gefahr und Herausforderung wären. Die vier verzweifelten, aber auch trotzigen Männer wechseln sich am Steuer ab, passieren den Dschungel, quälen sich schmale Bergserpentinen hinauf, wagen sich über morsche Holzbrücken und über die so genannte Wellblechpiste. Die Gefahr sitzt Mario, Joe und dem Rest wortwörtlich im Nacken. Ein Fahrfehler, ein zu großer Ruck, ein zu schnell überfahrenes Schlagloch und schon fliegt ihnen alles um die Ohren.

Dieser Trek wäre für sich genommen schon spannend und mitreißend. So, wie der legendäre Henri-George Clouzot („Die Teuflischen“, 1955) es inszeniert, wird es noch einmal spannender. Ohne zu verspielte Tricks holt der Regisseur das absolute Maximum an Spannung und Nervenkitzel heraus, verlässt sich ganz auf die rohe Natur, die brutale Physik und den Realismus seiner Inszenierung. Doch es dauert eine satte Stunde, bis sich Mario, Joe, Luigi und Bimba aufmachen, bis sie ihre Kraftfahrzeuge satteln und losziehen. Wir lernen diese vier radikal unterschiedlichen Männer ausführlich kennen, wie sie aus unterschiedlichen Richtungen und mit verschiedenen Motivationen allesamt an diesem Ort landeten. Und auch den Ort selbst lernen wir kennen. Las Piedras als Mikrokosmos kapitalistischer Existenzangst. Die vier Männer sind bereit, ihr Leben zu riskieren für die Aussicht auf ein paar verdiente Dollars. Geschickt wird im ersten Drittel Bardame Linda (Vera Clouzot, Ehefrau des Regisseurs) der Situation der Männer gegenübergestellt. Ihr Leben, ihre Arbeit, ihr Kampf um Leben, Anerkennung und schlicht um Geld ist eine Art Spiegelbild dessen, was kurz darauf folgen wird. Durch diesen rund einstündigen Vorlauf lässt „Lohn der Angst“ nicht nur die vier zentralen Figuren interessant und lebendig werden, sondern gibt dem existentialistischen Kampf gegen die Natur und ums Überleben auch einen thematisch reichhaltigen Unterbau. Man stelle sich „Speed“ vor, nachdem wir Keanu Reeves und Sandra Bullock schon ausführlich kennen gelernt haben.

„Lohn der Angst“ ist auf DVD und als VOD erhältlich.

Du willst noch mehr spezielle Geheimtipps und Filmempfehlungen? Die gesammelten Treasure Tuesday und ältere Treasure Monday Rezensionen gibt es hier!

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

Um an dieser Diskussion teilzunehmen, registriere dich bitte im Forum:
Zur Registrierung