BG Schocktober Kritik: „Sinister“

25. Oktober 2020, Christian Westhus

Auch dieses Jahr wollen wir euch mit Horrortipps für den schaurigen Oktober nicht alleine lassen und bieten deshalb täglich einen neuen Beitrag aus unseren Horror-Archiven…und nicht immer muss es ein Tipp sein, sondern auch mal eine Warnung…

Sinister: Wenn du ihn siehst, bist du schon verloren
(Originaltitel: Sinister | USA, UK, Kanada 2012)
Regie: Scott Derrickson
Darsteller: Ethan Hawke, Juliet Rylance, James Ransome, u.a.
Kinostart Deutschland: 22. November 2012

Story:
Ellison Oswalt (Hawke) schreibt Aufklärungskrimis über wahre Verbrechen. Nach einem Überraschungserfolg vor einigen Jahren, sieht es aktuell nicht besonders rosig aus in der Karriere. Verzweifelt auf der Suche nach einem neuen Fall, nach einem neuen Hit, zieht er mit seiner Familie in ein Haus, in dem vor nicht allzu langer Zeit ein scheinbar ritueller Gruppenmord verübt wurde. Seiner Familie erzählt Oswalt nichts davon, auch nicht von den Super-8-Filmen, die er auf dem Dachboden findet und die den jüngsten Mordfall mit weiteren Morden in der Vergangenheit verbinden. Eine übersinnliche Macht scheint im Haus zu wohnen…

(Diese Kritik erschien ursprünglich zum Kinostart im November 2012.)

„Paranormal Activity“ und die Folgen. Nicht nur Found Footage ist wieder in Mode, auch Geistergrusel wurde einem neuen Publikum schmackhaft gemacht. Kostengünstig, relativ unblutig und als überwiegend akustisch funktionierende Schaukelstunde im Kinosessel versucht nun auch „Sinister“ das kurzweilige Fürchten zu lehren. Eine der originellsten Ideen des Films lässt den Found Footage Trend gleich mitaufgreifen, ohne sich dessen häufig lähmenden oder unlogischen Regeln zu unterwerfen. True Crime Autor Ellison Oswalt (Ethan Hawke) findet im wahrsten Sinne des Wortes altes Bildmaterial. Super-8-Filme, die bis in die 1960er zurückreichen. Dass der Möchtegern Truman Capote seinen Recherche-Goldschatz nur in Etappen konsumiert, erscheint wenig nachvollziehbar, aber die Filme selbst haben einen ganz besonderen Reiz. Gleich die Eröffnungsszene zeigt uns das Kernstück des jüngsten Mordfalls. Ein in seiner vermeintlichen Simplizität verstörender und gleichermaßen bizarrer Ritualmord der ganz fiesen Art. Diesen Moment mutet uns Regisseur und Co-Autor Scott Derrickson von nun an immer und immer wieder zu, bis wir nur noch die Schulter zucken können. Ja, ja, wir haben es verstanden.

Die Ausgangssituation und die Präsentation der Hauptfiguren sind überraschend gut gelungen. Es ist spannend, wie ein Autor in Finanznöten eine eigentlich untragbare Lüge lebt, um seine, wie er glaubt, letzte Chance wahrzunehmen. Aus dem vermeintlichen Kriminalfall wird durch das gefundene Bildmaterial ein Serienmord, wird durch weitere Recherche ein Ritualmord, während der Film sich nach und nach in einen übernatürlichen Geisterhorror verwandelt. Hilfsbereite Nebenfiguren wie ein junger Polizist oder Vincent D’Onofrio als Okkultismus-Experte geben etwas platt und banal die nötigen Informationen von sich, um die Dramaturgie anzutreiben, um die Schlinge an Ellison Oswalts Hals enger werden zu lassen. Das geht sicherlich subtiler und origineller, aber immerhin hält man sich damit nicht lange auf. Oswalt, der an der typischen Autorenkrankheit (erhöhter Alkoholkonsum) leidet und offenbar so sehr Strom sparen will, dass er bei seinen mitternächtlichen Schreibsessions im gesamten Haus nur eine einzige Lampe einschaltet (und es auch dabei belässt, als er Geräusche hört), macht dubiose Entdeckungen im Haus. Das ungewöhnliche „Ungeziefer“ wirkt eher albern, die Angstattacken des Sohnes wie ein gewollter Zusatz, um den Zuschauer auf eine falsche Fährte zu locken, doch wie er schlecht beleuchtet umherwandert, wie er meint, die Geisterfratze irgendwo zu sehen, wie sich der Projektor scheinbar selbstständig auspackt und einschaltet, ist wunderbar effektiver Grusel, bei dem die permanente Gefahr droht, alsbald schreckhaft im Sitz hochzuspringen.

© Universal Pictures Germany

Die Mechanismen eines Geisterhausgruslers sind so simpel wie effektiv. Man deutet die Anwesenheit von Gefahr an, sorgt für Dunkelheit, für Ruhe und dafür, dass unsere Hauptfiguren möglichst alleine unterwegs sind. Schon wird jeder Schritt, jede geöffnete Tür, wird jedes Mal, wenn Oswalt zu lange rückwärts läuft, ohne dass wir sehen, was hinter ihm ist, zur Strapaze für die Fingernägel. Dabei bringt sich Regisseur Derrickson leider noch um maximale Hochspannung, weil er hier und da ungeschickt inszeniert. Holprige Übergänge, zu früh beendete Szenen, antiklimatische Erschrecker und wenn sonst nichts funktioniert, erzwingt man mit lauten plötzlichen Geräuschen die erwünschte Schrecksituation. Besonders stört jedoch die Musik. Die Spannung in „Sinister“ und insbesondere der Mordfilme wird zunehmend totmusiziert. Es sind gar nicht mal die flirrend-quiekenden Streichereskapaden, die in „Insidious“ noch beinahe alleine für Gänsehaut sorgten. Bei „Sinister“ herrscht ein unheimlich dröhnendes Allerlei vor, das viele Szenen zukleistert und um ihre Wirkung bringt. Dabei wäre das alleinige Rattern des Projektors als atmosphärische Klangkulisse so viel effektiver gewesen.

Im Schlussdrittel entgleitet Derrickson der Film noch etwas weiter. Das hat zwei Gründe: Die Auflösung und die Figuren. Die Figuren waren zunächst noch die große Stärke des Films. Ethan Hawke ist ein wunderbarer Darsteller und so ist sein Ellison Oswalt als glückloser Autor sofort etabliert, halbwegs nachvollziehbar und noch immer sympathisch genug. Die authentisch wirkende und lange Zeit liebevolle, wenn auch angeknackste Familiensituation ist eine ideale Basis, ehe das Unheil Einzug hält. Doch mit zunehmender Zeit wird Ellison Oswalt zu einem nervtötenden Idioten, mit dem man keinen Funken Mitleid haben kann, wenn das Unvermeidliche passiert und die Familie herausfindet, in was für einem Haus sie sich befinden. Der Zuschauer ist Oswalt meist drei Schritte voraus und kann nur noch genervt mit ansehen, wie die fein ausgelegten Hinweise am Ende folgerichtig zusammenführen. Die vorhersehbare Auflösung wird auch durch die Anwesenheit von Mister Geisterfratze nicht wirklich besser. Ein versuchter neuer Horror-Dämon, der schon allein optisch als zehnter Drummer der Metalband Slipknot fast besser aufgehoben wäre. Das Ende soll mutig und ungewöhnlich wirken, ist aber eigentlich nur noch Malen nach Zahlen in Horrorklischees und den bekannten Versatzstücken der Haupthandlung. Immerhin war der Vorlauf zu diesem ernüchternden Finale absolut sehenswert.

Fazit:
Lange Zeit wirklich spannend und gruselig, mit einer interessanten und originellen Ausgangslage, die mit zunehmender Laufzeit immer weiter verflacht. Kleinere Inszenierungsfehler, eine entglittene Hauptfigur und ein schwaches Ende lassen „Sinister“ zunehmend auf Mittelmaß abrutschen. Die ersten zwei Drittel können aber für wohliges Unbehagen sorgen.

6,5/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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