BG Kritik: „Somewhere“

2. Januar 2020, Christian Westhus

Der neue Film von „Lost in Translation“ Regisseurin Sofia Coppola. Wieder ein Hotel. Wieder die emotionale Gewalt moderner Langeweile. Stephen Dorff als ausgebrannter Hollywoodstar, der sich um seine junge Tochter zu kümmern versucht, während er im berühmtesten Boulevard-Hotel der amerikanischen Filmwelt abhängt.

Somewhere
(USA, UK, Italien, Japan 2010)
Regie: Sofia Coppola
Darsteller: Stephen Dorff, Elle Fanning u.a.
Kinostart Deutschland: 11. November 2010

(Diese Kritik erschien zum Kinostart im November 2010, wurde für den Re-Upload 2020 minimal verändert.)

Geld macht nicht glücklich, aber es hilft. So jedenfalls lautet eine kleine Volksweisheit, die die ursprüngliche Aussage schon wieder zu relativieren versuchte. Ist man nicht nur reich, sondern auch ein gefeierter Hollywoodstar, der sich vor den unterschiedlichsten Angeboten kaum retten kann, dürfte es sich doch gut leben lassen. Johnny Marco ist so ein Hollywoodstar. Finanziell hat er ausgesorgt, beruflich läuft es mehr als gut und unzählige Menschen, darunter besonders Frauen, liegen ihm zu Füßen. Johnny hat diese verwegene, lässige Ausstrahlung, mit einem guten Schlag Rebell, die der grobe Bart und die betont „casual“ Kleidung nur noch unterstreichen. Sofia Coppola gelingt es nun in ihrem neuen Film, dass man diesen Johnny bedauert. Johnny tut sich schwer, ist gefühlsmäßig „somewhere else“.

Johnny ist aus dem Leben gefallen. Die grandiose und grandios simple Einstiegssequenz zeigt es ganz wunderbar auf, wenn sich die Reaktionen – auch beim Zuschauer – von einem ‚Yeah, Ferrari’ zu einem ‚Jetzt reicht’s aber langsam’ wandeln. Das einstige Statussymbol Auto ist für Johnny zum reinen Nutz- und Alltagsgegenstand geworden. Blonden Zwillingsstripperinnen schaut er gelangweilt bei der Arbeit zu und zwischen den Beinen einer anderen Frau schläft er sogar ein. Dabei ist Johnny kein Trottel. Er kennt das Protokoll, kennt Leute und hat auch mal Lust. Nur erfüllend ist es nicht. Das ist auch der Ruhm nicht mehr, die Ferraris, der Ruhm, das Leben als Star. Es ermüdet, ödet an und Johnny erledigt es nur noch, statt es zu erleben und zu lieben. Das schwermütig-melancholische Gefühl des Verlorenseins ist das Leitmotiv, das immer wiederkehrende Element im Oeuvre von Sofia Coppola. Mit viel Gespür für die Psychologie vermeidet sie es, Johnnys Verdruss als schlichte Midlife Crisis abzutun.

Das Kino von Sofia Coppola ist ein Kino der Stimmungen und Momente. Selbst ihr poppiger Historienfilm „Marie Antoinette“ war Stilexperiment aristokratischer Ennui. Ihre Filme sind soghafte Erfahrungen in Zeitlupe, mit außergewöhnlicher Musik als Taktgeber und Pulsschlag. Coppola ist sich treu geblieben, hat ihren Stil jedoch auch verfeinert. Deutlich stärker verlässt sie sich auf die Bilder und auf die Klarheit der Bildaussagen. Die Musik wirkt reduziert, der Blick geschärft und noch naturalistischer. Damit wird „Somewhere“ zwar nie eine derart emotionale und mitreißende Erfahrung wie „Lost in Translation“, doch dafür hat sich Coppola noch stärker als Regisseurin, als Autorin mit psychologischem Anliegen gefestigt. Der Vorwurf, sie verbinde semi-autobiographische Selbstbemitleidung mit Selbstbeweihräucherung hat jedoch kaum Gehalt. Sie weiß wovon sie spricht, doch sie weiß auch individuelle Geschichten und Schicksale aus dem Wissen zu kristallisieren.

© Tobis

Coppola bleibt in ihrem Element und auch in ihrem Metier. Wieder befinden wir uns in einem Hotel, einem Ort des Wandels und des Übergangs, wie die Regisseurin selbst sagt. Nicht irgendein Hotel jedoch. Das „Chateau Marmont“ in Hollywood, das als legendärer Schmelztiegel von Kunst- und Popkultur berühmt wurde. Und Johnny sitzt hier fest. Natürlich erscheint seine Figur etwas wie ein etwa 20 Jahre jüngere Version Bill Murrays aus „Lost in Translation“, doch Johnny leidet eigenständig. Für ihn wird das Hotel zum Kerker, zum Symbol seines Lebensstils, den er irgendwann mal genossen hat. Es ist ein Kommen und Gehen, ein Ausharren, bis zum nächsten Job, bis zum nächsten Pressetermin, bis zur nächsten bedeutungslosen Nacht. Es ist ein Ort der Unbeständigkeit, der auf minimal andere Art, Tag für Tag dasselbe bietet. Nichts woran man sich halten kann, nichts was irgendwie über längeren Zeitraum Interesse weckt. Bis auf Cleo.

Die 11-Jährige besucht ihren Vater, zeigt ihm einen kleinen Ausschnitt aus ihrem Leben und weiß selbst nicht so recht wo hin mit ihren Gefühlen. Ganz wunderbar leise und subtil schafft Sofia Coppola es, Cleos Einfluss und die Interaktion mit ihrem Vater aufzubauen und zu ergründen. Auch gelingt dadurch, die Perspektive geschickt auf Cleo auszuweiten. Das junge Mädchen ist selbst in einer schwierigen Phase, braucht Halt und fühlt sich im öffentlichen Leben Johnnys nicht immer wohl. Auch hier schlägt ein quasi-biographischer Puls, der eine ganz eigene Gestalt und Funktion innerhalb von „Somewhere“ annimmt. Coppola, die Tochter des großen Francis Ford Coppola, jedoch auch eine unbestreitbar intelligente Erzählerin.

So gelingt es Coppola – unter eifriger Mithilfe ihrer starken Besetzung und ihrer beiden famosen Hauptdarsteller – über Langeweile zu erzählen, Langeweile zu inszenieren, ohne selbst langweilig und öde zu werden. „Somewhere“ ist nicht der Film der ganz großen Emotionen, sondern eben der Stimmungen und Eindrücke. Bei all der Dekadenz mit Helikopter und Sportwagen, Videospielen und Preisverleihungen, ist es dennoch eine Geschichte über einen antriebslosen, verunsicherte und ziellosen Mann, einen Vater, und seine nach elterlicher Nähe sehnende Tochter. Exemplarisch dabei die zaghaften Dialoge zwischen Cleo und Johnny im Vergleich mit der oberflächlichen Lockerheit zwischen Cleo und einem Freund Johnnys, sympathisch und amüsant verkörpert von Jackass-Chaot Chris Pontius. Dass Coppola nicht nur das Individuum Johnny in den Fokus stellt, sondern mit viel Sensibilität auch variable Familienbande(n) durchleuchtet, macht den Film so spannend und lohnenswert.

Fazit:
Auch in ihrem vierten Spielfilm bleibt Sofia Coppola sich treu und inszeniert einen faszinierenden und toll gespielten Exkurs in mondäner Langeweile und Hilflosigkeit. „Somewhere“ zeigt aber auch, dass Coppola sich und ihren Stil weiter entwickelt. Ruhig und rührend, mit unaufdringlich lakonischem Witz.

8/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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