BG Kritik: „A Bigger Splash“
Die Handlung: Rockstar Marianne (Tilda Swinton) kuriert eine Stimmbandoperation auf einer italienischen Insel aus, genießt mit ihrem Freund Paul (Matthias Schoenaerts) entspannt und abgeschieden den Sommer. Dann taucht Mariannes ehemaliger Produzent und Liebhaber Harry (Ralph Fiennes) mit seiner jungen Tochter Penelope (Dakota Johnson) auf. Durch die Gruppe geht bald schon ein Ruck.
A Bigger Splash
(Italien, Frankreich, USA 2015)
Regie: Luca Guadagnino
Darsteller: Tilda Swinton, Ralph Fiennes, Matthias Schoenaerts, Dakota Johnson
Kinostart Deutschland: 05. Mai 2016
Nun, da Leonardo DiCaprio seinen Oscar hat, könnte das Internet bitte dafür sorgen, dass Ralph Fiennes auch bald einen bekommt? Oder am besten gleich drei?
In „Ich bin die Liebe“ (2009) gab Regisseur Luca Guadagnino seiner Hauptdarstellerin Tilda Swinton eine größtenteils italienisch- und russischsprachige Rolle. Beide Sprachen musste die Britin neu lernen. Swinton vor verbale Schwierigkeiten zu stellen scheint für Guadagnino zum Running Gag zu werden, denn in „A Bigger Splash“ spielt sie eine erfolgreiche Rockmusikerin (naheliegend), die nach einer Halsoperation ihre Stimme schonen muss und die meiste Zeit über kein Wort spricht, und wenn doch, dann in vorsichtig gehauchtem Flüstern. Schnell wird klar, dass Swintons Stummheit nicht bloß Spielerei ist. Zwischen den vier Hauptfiguren bauen sich Mauern aus Ungesagtem auf. Sporadische Rückblenden informieren uns über die Vergangenheit von Swintons Marianne, ihrem Produzenten und Ex-Freund Harry und wie dieser sie mit ihrem jetzigen Freund Paul bekannt machte. Wir bekommen gerade genug Andeutungen, um zu erkennen, dass zwischen den Figuren mehr hin und her geht als sie zu sagen bereit sind.
Was sich zunächst zwischen den Hauptfiguren aufbaut könnte man sexuelle Spannungen nennen. Marianne und Paul schwelgen im sommerlichen Nichtstun um- und aneinander herum, am liebsten unbekleidet. Harry, von Ralph Fiennes als unwiderstehlichen, dauerquasselnden Partybär mit Prachtbart gespielt, ist ein Omnisexueller. Er strahlt eine sexuelle Sättigungsresistenz ohne einen Hauch von Zurückhaltung aus. Zwischen ihm und Marianne gibt es immer noch Gefühle, auch Paul würde Harry nicht von der sprichwörtlichen Bettkante stoßen – höchstens ins Bett hinein – und selbst seiner jung-erwachsenen Tochter Penelope, aus einer von zahlreichen Affären entstanden und erst seit einem knappen Jahr Teil seines Lebens, schaut Harry mit gierigem Blick nach. Penelope selbst ist ihrem alten Herrn gar nicht so unähnlich. Auf den ersten Blick wirkt sie passiv, lässt die drei Älteren machen, beobachtet aus der Ferne, wirft gelegentlich einen Kommentar ein. Doch Penelope kokettiert, flirtet, schmachtet sinnlich über Blicke und weigert sich selbst beim dünnsten Sommerhemdchen Unterwäsche zu tragen.
Guadagninos Film ist ein Quasi-Remake des 1969er Klassikers „Der Swimmingpool“ mit Romy Schneider und Alain Delon. Hier wie dort dreht sich vieles um das verrückte kleine Viereck aus einem Paar, einem Ex-Lover und dessen jung-erwachsener Tochter, die auf einem so stattlichen wie entlegenen Anwesen zurückgezogen ihren langsam vor sich hin eskalierenden Eitelkeitskrieg austragen. In der super lässigen ersten Hälfte pendelt Guadagninos zuweilen aufdringlich stilisierter Film zwischen Ego und Geilheit. Man will entspannen, genießen, sich keine Schwäche zugestehen. Mehr Unausgesprochenes baut sich zwischen den Personen auf. Spät im Film passieren parallel zwei Dinge, die das Potential zur Eskalation haben. Wieder hinterlässt uns Guadagnino eine perfekte Mischung aus Fakten auf der einen Seite und Vermutungen auf der anderen, so dass wir nur zu gut erkennen können, warum im schwülen italienischen Sommer bald nicht mehr eitel Sonnenschein ist. In dieser Zuspitzung ist „A Bigger Splash“ am besten, doch Guadagnino geht noch einen Schritt weiter.
Zunächst beiläufig, durch Andeutungen oder Radiomitteilungen, später dann geradezu plump und aggressiv erfahren wir, wo genau wir uns befinden. Es ist ein potentieller Spoiler, wenn es so etwas gibt, aber die kleine sizilianische Insel namens Pentelleria liegt in unmittelbarer Nähe von Lampedusa, der berühmten und mittlerweile berüchtigten Insel, die zum Mikrokosmos der aktuellen Flüchtlingskrise wurde. Während die vier Egos durch den Swimmingpool planschen, ertrinken unweit der Küste Flüchtlinge im Meer. Guadagnino möchte, dass wir ganz genau verstehen, worauf er hinaus will. Das finale Drittel ist wenig subtil, macht aus einem sexy Eifersuchts- und Beziehungsdrama einen politisch aufgeladenen Thriller. Das ist nicht ohne Wirkung, nicht ohne Effekt, doch mit dieser polemischen Ausrichtung zwängt Guadagninos seine so spielfreudigen Stars und ihre wunderbar komplizierten Figuren auch in die unbewegliche Korsage der politischen Allegorie.
Fazit:
Zunächst lässig, sexy, sommerlich schwül, dann zunehmend ruppig und ungestüm. „A Bigger Splash“ ist eine wunderbar unterhaltsame Dekonstruktion gekränkter Eitelkeiten.
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