BG Kritik: „Aufbruch zum Mond“ („First Man“)

8. November 2018, Christian Westhus

Der neue Film vom „La La Land“ Regisseur. Ryan Gosling ist als Neil Armstrong der erste Mann auf dem Mond. Armstrong Biographie und Nachstellung der US-Weltraummission der 1960er Jahre.

Aufbruch zum Mond
(Originaltitel: First Man | USA 2018)
Regie: Damien Chazelle
Darsteller: Ryan Gosling, Claire Foy, Corey Stoll, Kyle Chandler u.a.
Kinostart Deutschland: 08. November 2018

Kann man die Handlung eines historischen Films spoilen, das heißt vorwegnehmen und verraten?

Wir waren auf dem Mond. Wir, das heißt die Amerikaner, genauer Neil Armstrong und Buzz Aldrin, sowie in den Jahren darauf noch zehn weitere, waren auf dem Mond. Sie waren Repräsentanten der Menschheit, hieß es, obwohl die Reise zum Erdtrabanten ein Wettlauf zwischen verfeindeten Supermächten war. An Politik ist Damien Chazelles Film allerdings nur am Rande interessiert. Besagter Wettlauf wird aufgegriffen, die sowjetischen Erfolge erhöhen den Druck auf die US-Mission, doch wenn überhaupt beschäftigen „Aufbruch zum Mond“ die heimischen, also amerikanischen, Hintergründe.

Wir beginnen Anfang der 60er Jahre und damit ungefähr dort, wo Philip Kaufmans legendärer Film „Der Stoff, aus dem die Helden sind“ über die Mercury Missionen endete. Die dortige Hauptfigur, Chuck Yeagar, hat sogar einen kleinen Auftritt, gibt indirekt den Staffelstab an Ryan Goslings Neil Armstrong weiter. Regisseur Chazelle ist Jahrgang 1985 und damit alles, nur kein Kind des Weltraumprogramms oder des „Space Races“. Der oscarprämierte Regisseur von „Whiplash“ und „La La Land“ ist in erster Linie Cineast und Yeagars Auftritt damit weniger einer historischen Notwendigkeit geschuldet, als vielmehr einer cineastischen Tradition und Nachfolge. Wenn bei einem frühen Weltraumausflug über Justin Hurwitz‘ Musik ein Walzer ertönt, sind Erinnerungen an Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ kein Zufall. Damien Chazelle setzt darauf, dass wir uns an Johann Strauß und die dazugehörigen Bilder erinnern.

© Universal Pictures

Doch warum wollten die Amerikaner auf den Mond? Warum die Sowjets? Warum wir? Warum gab der damalige US-Präsident Kennedy 1962 in seiner berühmten Rede vor, man werde noch vor dem Ende dieser Dekade einen Mann auf dem Mond haben? Diese Fragen beschäftigen Chazelle und seinen Drehbuchautoren Josh Singer (adaptiert von der Armstrong Biographie von James R. Hansen) durchgängig. Es sind die Kosten des Mondprojekts, die finanziellen, die materiellen und menschlichen Kosten, die Zweifel sähen. Diese Kosten/Nutzen-Rechnung bleibt uns bis zuletzt im Hinterkopf, beschäftigt uns im Großen und im Kleinen, für die Supermacht USA und für Neil Armstrong als Mensch, Ehemann und Vater. Über Pressekonferenzen, politische Reden und Privatgespräche bekommen wir immer wieder Argumente geliefert, warum es sich lohnt zu forschen, warum der Wille nach „mehr“ die Menschheit antreibt und verbessert. Und gleichzeitig sehen wir, wie gewaltige Ressourcen wortwörtlich in Rauch aufgehen, wie das Projekt weitere Menschenleben fordert. „In dem Jahr hatten wir viele Beerdigungen“, sagt die leider etwas einseitig charakterisierte Janet Armstrong (Claire Foy) an einer Stelle in beklemmender Beiläufigkeit zu einem befreundeten Paar aus der NASA Familie.

Warum will dann Neil Armstrong unbedingt auf den Mond? Dies ist die Makro-Perspektive und der absolute Kern dieses Films. Chazelle stellt das Armstrong Familienleben regelmäßig in Kontrast mit der fortschreitenden Mondprojekt, den Gemini Testflügen und den ersten Apollo Missionen. Wie schon in seinen vorherigen Filmen hat der junge Regisseur hier einen talentierten, aber in erster Linie auch besessenen (männlichen) Protagonisten, der bereit ist, sein Leben und damit seine Familie zu opfern, um ein größeres Ziel und persönlichen Erfolg zu erlangen. Doch Armstrongs Biographie gibt dieser Besessenheit einen tragischen Hintergrund. Der frühe Tod von Tochter Karen beschäftigt Armstrong, der sich in die Arbeit und das Projekt Mondlandung stürzt. Es ist ein Rückzug aus einer emotionalen Verantwortung, aber auch eine Flucht vor der emotionalen Angreifbarkeit. Ob er glaube, Neil habe eine Party verlassen, um mit jemandem zu reden, gibt Armstrong später abweisend und doch eindeutig einem Freund zu verstehen. Der im späteren realen Leben als Eremit beschriebene Armstrong sucht die Isolation.

„Aufbruch zum Mond“ ist weder ein aufregendes True-Science Abenteuer wie „Apollo 13“, noch ein breit gefächertes menschliches Drama wie beispielsweise „Hidden Figures“. Chazelles Kamera ist ungewöhnlich nah dran am Geschehen, sehr beweglich, naturalistisch, vermeidet es dennoch, das Privatleben Armstrongs zu einem Melodrama verkommen zu lassen. Nah dran und dennoch auf Distanz, immer so lang, wie die Hauptfigur ihre Gefühlsreaktionen zurückhalten kann. Nah dran aber auch bei der anderen Hälfte des Films, dem Wettrennen um den Mond. Der Gemini 8 Flug spielt sich fast ausschließlich im Innern der kleinen Kapsel ab. Kamera, Schnitt und die intensive Tongestaltung machen überdeutlich, dass diese Männer wirklich nur in besseren Blechkisten in den Himmel geschossen wurden. Ein Beinahe-Unfall und eine Andock-Sequenz sind höllisch intensiv und dabei in ihren Bildinformationen absichtlich konfus. Auch wenn der Start von Apollo 11 schließlich ein paar gigantisch schöne Bilder bereithält und über den an Hans Zimmer erinnernden, mit Thereminklängen versetzten Score Gänsehaut verursacht, bleibt Chazelle bei seinen Figuren und im Inneren der donnernden Klapperkisten. Umso effektiver wirkt die erste brachiale Totale des Mondes, die selbst eine gewöhnliche Kinoleinwand wie IMAX aussehen lässt, wie das finale Statement beider Handlungsstränge dieses Films, der wissenschaftlichen und der privaten Geschichte. Diese unwirtliche Kraterlandschaft aus grauem Gestein gibt Armstrong und dadurch auch uns das, worauf wir die gesamte Zeit gewartet hatten, vermutlich ohne dass er oder wir es wirklich wussten.

Fazit:
Zurückhaltendes und doch effektives Spektakel. Einerseits biographisches Drama, andererseits technologisch fundierte Wissenschaftshistorie. Damien Chazelles Film macht es seinem Publikum nicht leicht, doch sehenswert ist „Aufbruch zum Mond“ allemal.

8/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

Um an dieser Diskussion teilzunehmen, registriere dich bitte im Forum:
Zur Registrierung