BG Kritik: „The Blair Witch Project“

13. September 2016, Christian Mester

Drei Filmstudenten bewaffnen sich mit Kamera, Zelt und ausreichend Proviant, um eine Doku über ein kleines Provinzstädtchen zu drehen. Nichtsahnend ziehen sie nach Aufnahme einiger Interviews in die Wälder und zeichnen dort Eindrücke der Gegend auf. Mit Einbruch der ersten Nacht beginnt allerdings ein Grauen, das sie nicht mehr gehen lässt…

The Blair Witch Project (1999)
Regisseur: Daniel Myrick, Eduardo Sanchez
Cast: Heather Donahue, Joshua Leonard, Mike Williams

Kritik:
Keine Frage: der erste Blair Witch war einer der größten Hypefilme der 90er. Obwohl Mann beisst Hund und Cannibal Holocaust das „gefundene Material“ Subgenre bereits längst erfunden hatten, war es erst dieser beklemmende Zeltausflug, der eine ganze Welle an weiteren Found Footage Titeln ins Rollen brachte, darunter die sieben Teile Paranormal Activity. Blair Witch 1 war also fraglos ein einflussreicher Film, aber ein guter? Gerade nach so vielen ähnlichen Titeln müsste das Bestehen schwieriger geworden sein – sollte man meinen. Tatsächlich kann er sich auch heut noch behaupten und ist, gänzlich befreit vom Medientrara als ach so wichtiges Horror-Event des Jahres ein feiner kleiner Genrebeitrag.

Myrick und Sanchez pokerten damals waghalsig hoch. Beide selbst noch recht unerfahrene Regisseure, überließen sie die Kameras den drei engagierten Amateurschauspielern selbst, die zwar grobe Vorgaben hatten, was zu tun war, ansonsten aber 8 Tage lang allein im Wald unterwegs waren und sich dabei gegenseitig filmten. Myrick und Sanchez sorgten für Spuren und unheimliche Geräusche, auf die die drei dann passend reagieren sollten. Alle Beteiligten behaupteten jedenfalls im Anschluss, dass es so abgelaufen ist, doch auch das darf man in Frage stellen. Das ganze Projekt spielt ohnehin interessant mit den Ebenen der Wahrheiten. In den USA behauptete die Marketingkampagne mit Erfolg, dass der Film eine echte Doku und die drei tatsächlich verschwunden seien. Derweil kommen im Spielfilm Filmfiguren vor, die als Filmemacher eine Doku-im-Film drehen, während es tatsächlich Schauspieler sind, die den laufenden Film mit sich selbst als filmenden Filmern selbst gefilmt haben. Teil 2 kommentiert das noch schräger, aber schon dieses erste Konstrukt der Wahrheiten verleiht den Filmen einen besonderen Touch, den es von anderen unterscheidet.

Wieso hoch gepokert? Amateurdarsteller zu casten lässt so schon selten Gutes erwarten, doch ihnen dann auch noch Kamera und alle Dialoge zu überlassen, hätte ein Fiasko werden können. War es im Rohmaterial eventuell auch, doch Myrick und Sanchez erreichten damit eine selten erreichte Authentizität. Die drei wirken so echt, weil sie sich echt unterhalten, echt übermüdet sind, echt streiten, echt erschrecken. Dadurch, dass sie keine besonders talentierten Kameraleute sind und keine sauberen, geschönten Motive zaubern, die Kamera häufiger auch mal schief halten oder was schlecht fokussieren, verstärken sie unbeabsichtigt den Eindruck, nicht geformt, strukturiert, vorgegeben, sondern zu agieren, uns an Realität teilhaben zu lassen. Viele moderne Found Footage Filme wie Chernobyl Diaries scheitern gerade an diesem Punkt, weil die Bilder zu geplant aussehen, die Dialoge und Reaktionen gespielt wirken. Nicht so bei Blair Witch 1, dem es sogar zu gute kommt, keine 4K Auflösung bieten zu können.

Amateuraufnahmen fallen in der Regel unbrauchbar aus, und das kann prinzipiell auch bei Blair Witch 1 der Fall gewesen sein. Was jedoch gänzlich dagegen arbeitet, ist ein fulminanter Schnitt. Der Film wurde zwar in knapp einer Woche komplett gedreht, doch die Nachproduktion nahm Monate in Anspruch. Der gewiefte Schnitt hilft, Dialoge und Momente passend zu akzentuieren, was von Script- und Schauspielerseite so nicht hätte klappen können. Was ein endloses Schlendern und Meckern im Wald hätte sein können, wird durch den Schnitt zum temporeichen Thriller, der bis zum Schluss immer mehr Fahrt aufnimmt.

Bemerkenswert ist auch das Sounddesign, das das tatsächliche Erlebnis, nachts im Wald unterwegs zu sein, vortrefflich umsetzt. Das Fehlen von Musik und eine starke Zurückhaltung sorgen dafür, dass man die Ohren spitzt und kleinstes Knistern und Knacken die Nackenhaare aufstellt.

Ist der Trip in den Wald denn aber nur ein banal zusammengesetztes Aneinanderreihen von gefilmten Reaktionen auf Buh!-Momente Marke Slenderman, wie man sie zuhauf auf Youtube sehen kann, und mit denen Pewdiepie Millionen Fans erreichte? Auch nicht. Wer Hardcore Fan war, konnte sich mit Hilfe einer großartig entwickelten Website (eine der ersten wirklich kreativen Filmwebsites), drei Videospielen und diversen weiteren Büchern und Dokus weiter schlaumachen, doch die eigentliche Filmstory ist clever, aber knapp. Zu Anfang gibt es ein paar erste Hinweise auf die Legenden von Serienmörder Rustin Parr und der Blair Hexe, doch der Film behandelt es beiläufig und auch die drei Filmstudenten, die den Film eher aus Langeweile als aus ehrlichem Interesse am Thema drehen, befassen sich kaum damit. Tauchen dann später jedoch unheimliche Holzfiguren und Steinstapel auf, Bündel mit menschlichen Teilen und diverse Geräusche, passen die vage gestreuten Indizien sinnvoll zusammen. Interessant ist dabei, dass es in beiden Fällen funktioniert. Passt man auf, sind die Hinweise interessante Aha-Momente, anderenfalls sind es trotzdem spannende Mysterien. Das echte Highlight ist die allerletzte Szene des Films, die gleichermaßen schockiert und grübeln lässt. Zu bemerken ist ja auch, dass die wenigen existierenden Infos auf Hörensagen und Gerüchten basieren; was tatsächlich im Busch ist, bleibt unserer Fantasie überlassen.

Die ist übrigens ein weiterer Pluspunkt des Films. Mehr noch als bei Der Weiße Hai kommt es hier immens auf das an, was man eben nicht sieht, was man meint gesehen zu haben. Jeder sollte im Nachhinein noch einmal durch den Film spulen und sich überzeugen, wie viel man von der Blair Hexe zu Gesicht bekommt.

Fazit:
Was Spielbergs Der Weiße Hai für Strände erwirkte, erreichte Blair Witch 1 für nächtliche Waldbesuche. Der simple Film mit seinen Amateurschauspielern und Laienaufnahmen mag prinzipiell kein großartiger Film sein, ist aber Dank genialer Schnittarbeit ein großartiges Filmerlebnis. Der Zahn der Zeit hat ihm zudem nicht geschadet. Die körnige Bildquali trägt sogar noch dazu bei, die Authentizität des Ganzen zu erhöhen.

8 / 10

Autor: Christian Mester

Dieser Filmenthusiast (*1982) liebt es, manchmal auch mit Blödsinn, Leute für Filme zu begeistern. Hat BG im Jahr 2004 gegründet und ist dann für Pressevorstellungen, Interviews und Premieren viel rumgereist, hat als Redakteur u.a. für GameStar geschrieben, war dann mal Projektleiter in einer Werbeagentur mit Schwerpunkt dt, Kinostarts und - schaut gerad vermutlich schon wieder was.

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