Treasure Tuesday Spezialkritik: „Eighth Grade“
Ein meisterhaftes Coming-of-Age Drama. In den USA schon vor zwei Jahren gefeiert und umjubelt, in Deutschland wenig publikumswirksam veröffentlicht und daher kaum beachtet. Vielleicht hilft die aktuelle Netflix-Veröffentlichung, um mehr Zuschauer für Bo Burnhams „Eighth Grade“ (2018) zu finden, unser heutiger Treasure Tuesday Tipp. Jeden Dienstag auf Erkundungstour gehen. Wir stöbern nach vergessenen Filmen, unterschätzten Filmen, alten Filmen, fremdsprachigen Filmen. Nach Filmen die sich lohnen, auch wenn gerade nicht die halbe Welt über sie spricht.
Eighth Grade
(USA 2018)
Regie: Bo Burnham
Darsteller: Elsie Fisher, Josh Hamilton, Emily Robinson, u.a.
Veröffentlichung Deutschland: 05. Juli 2019 (VOD Premiere)
Was ist das für ein Film?
In den USA beim Erscheinen umjubelt und gefeiert, gestaltete sich die Reise von Bo Burnhams Regiedebüt Richtung Europa und Deutschland schwierig. Still und heimlich irgendwann im unübersichtlichen VOD-Sumpf erschienen, ist „Eighth Grade“ kein gewöhnliches Jugenddrama. Allein schon die bemerkenswerte Qualität des Films lässt wünschen, dass auch ein deutsches Publikum diese amerikanische Teen-Geschichte miterleben kann und will. Die dreizehnjährige Kayla (Elsie Fisher) ist so unpopulär wie verunsichert, gibt sich in der Öffentlichkeit oft still oder seltsam, ringt um Worte und um Fassung. Dennoch führt sie, wie es ihrer Generation eben auferlegt wurde, ein quasi-„öffentliches“ Leben über Instagram und YouTube. Dass ihr dabei niemand folgt oder zuschaut, hält Kayla nicht davon ab, von Makeup-Tipps hin zu Self-Help Ratschlägen sämtliche Register zu ziehen. Ihren alleinerziehenden Vater Mark cancelt sie dabei so gut es geht aus. Für Kayla ist es das letzte Jahr an der Mittelschule, Zeit also für ein Lebenszwischenfazit, welches ihr aktuell finster und hoffnungslos erscheint. Doch diese letzten Wochen der 8. Klasse halten ein paar Entwicklungen parat, mit einer ungewollten Poolparty, einem neuen Jungs-Kontakt, der gesuchten Nähe zum heimlichen Schwarm und durch die Begegnung mit einer Zwölftklässlerin, die wie aus einer völlig anderen Generation zu stammen scheint.
Warum sollte mich das interessieren?
Coming-of-Age- und Schulgeschichten scheinen zunächst wie eine simpel-erfolgsversprechende Angelegenheit. Man adressiert eine gesamte Generation und sagt: Hier, schaut, das seid ihr, dies ist ein Spiegel; entdeckt euch. Gleichzeitig ist das Gelingen eines solchen Jugendfilms eine extrem komplizierte und beinahe zum Scheitern verurteilte Angelegenheit. Die Erfahrungen der eigenen Jugend sind von so zentraler Bedeutung, wirken so privat und intim, dass Abweichungen in fiktiven Darstellungen schnell sauer aufstoßen. Ein Film – oder irgendein Medium – trifft gewisse Entscheidungen, um seine Jugendgeschichte zu erzählen; die Persönlichkeit, das Alter, das Geschlecht oder die Herkunft der Hauptfigur(en), die Generation, die Kultur und natürlich die eigentliche Problematik der Geschichte. All diese Elemente können je nach Vorprägung des Zuschauers einladend wirken oder wie unüberwindbare Mauern erscheinen.
Coming-of-Age Filme altern anders als viele andere Genres. Was im Entstehungsmoment noch präzise und authentisch wirkt, mag nur wenige Zeit später künstlich, veraltet oder gar falsch erscheinen. Selbst John Hughes‘ einst archetypisch universellen Charaktere aus „The Breakfast Club“ (1985) haben einen gewissen Teil ihrer Anwendbarkeit und ihrer generationsdefinierenden Strahlkraft eingebüßt. So ähnlich könnte es „Eighth Grade“ in ein paar Jahren vielleicht auch ergehen, denn es ist ein Jugendfilm, der zunächst einmal sehr präzise, extrem authentisch und dadurch auch sehr speziell wirkt. Sehr amerikanisch, sehr Generation Z, sehr Social Media, mit einer weiblichen Hauptfigur und noch dazu mit einer dreizehnjährigen Hauptfigur, also in der unangenehm speziellen Früh- und Mittelphase der Pubertät. Die meisten Coming-of-Age Filme positionieren ihre Figuren – zumindest gefühlt – wahlweise davor oder danach.
„Eighth Grade“ ist aber auch ein Film, der den Vergleich mit dem großen Hughes Klassiker nicht zu scheuen braucht. Im Gegenteil. Das Regiedebüt von Comedian Bo Burnham hält sich gar nicht lange mit Symbolfiguren und Archetypen im Sinne von „Breakfast Club“ auf, ist keineswegs ein neunmalklug verkünstelter Film wie „Vielleicht lieber morgen“ (2012), aber auch kein finster-hoffnungsloser Teen-Shocker wie „Kids“ (1995). „Eighth Grade“ zeigt Jugend im vollen Spektrum, mit schreiender Komik und Albernheit, drolliger Schüchternheit, herzzerreißenden Emotionen, dem großen Jugendhorror, mit „cringe“ und „awkwardness“, schmerzhafter Direktheit und allem dazwischen. Autor und Regisseur Bo Burnham dürfte rein oberflächlich betrachtet nicht viel mit seiner Hauptfigur Kayla gemein haben oder gehabt haben, doch sein bemerkenswert konstruiertes Script, die geschickte Inszenierung und nicht zuletzt auch die sensationelle Hauptdarstellerin Elsie Fisher heben „Eighth Grade“ in den Olymp des Subgenres und hebeln nicht wenige der erwähnten subjektiven Identifikationsmauern aus. Einmal hinter das Antlitz aus Social Media Thematik, amerikanischer Middle School und der jungen weiblichen Hauptfigur geblickt, findet man einen Film vor, der vor Empathie und Authentizität überquillt. Und darin steckt dann doch irgendwie etwas Universelles, eine gefühlte Wahrheit für nicht wenige junge Leute aus aktuellen, vergangenen oder zukünftigen Generationen.
„Eighth Grade“ ist aktuell bei Netflix zu schauen, ansonsten fast überall digital leih- und kaufbar.
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