Treasure Tuesday Spezialkritik: „Gaslight – Das Haus der Lady Alquist“
Gaslighting. Ein populär gewordener Begriff aus der Psychologie, den man insbesondere im Kontext der amerikanischen Politik-Szene der lezten 4+ Jahre hin und wieder aufgeschnappt haben könnte. Auf diesen Film (bzw. auf das originale Bühnenstück) geht der Begriff zurück. Ein Suspense- und Psychodrama-Klassiker mit der großen Ingrid Bergman. „Gaslight – Das Haus der Lady Alquist“, unser heutiger Treasure Tuesday Tipp. Jeden Dienstag auf Erkundungstour gehen. Wir stöbern nach vergessenen Filmen, unterschätzten Filmen, alten Filmen, fremdsprachigen Filmen. Nach Filmen die sich lohnen, auch wenn gerade nicht die halbe Welt über sie spricht.
Das Haus der Lady Alquist
(Originaltitel: Gaslight | USA 1944)
Regie: George Cukor
Darsteller: Charles Boyer, Ingrid Bergman, Joseph Cotten, Angela Lansbury
Kinostart Deutschland: 1947
Was ist das für ein Film?
Psychodrama aus dem klassischen Hollywoodzeitalter mit der großen Ingrid Bergman. Ein knapp achtzig Jahre alter Film, der – als berühmteste Adaption des gleichnamigen Bühnenstücks – sinnstiftend für einen psychologischen und soziologischen Begriff war, der insbesondere in den letzten Jahren enorm an Bekanntheit gewonnen hat: Gaslighting. Im London zu Zeiten von Königin Viktoria wird die berühmte Sängerin Alice Alquist ermordet. Ihre junge Nichte Paula (Ingrid Bergman) wird ins Ausland geschickt und dort erwachsen. Während der Musikausbildung in Italien lernt sie Gregory (Charles Boyer) kennen, den sie wenig später heiratet und der sie zurück nach London bringt. Und nicht nur zurück nach London, sondern auch zurück ins Haus ihrer Tante und ihrer Kindheit, voller Erinnerungen und verdrängter Traumata. Paula gibt sich stark, ist aber zweifellos verunsichert in der neuen-alten Umgebung und in der neuen Rolle als Frau an der Seite eines selbstbewusst-dominanten Mannes. Dieser stellt bald fest, dass Paula unaufmerksam wirkt, vergesslich, mental nicht ganz beisammen. Gregory verordnet Hausarrest zur Besserung seiner Frau, doch diese spricht bald von mysteriösen Geräuschen, die vom Dachboden herkommen, und vom verdächtigen Flackern des Gaslichts. Ist Paula wahnsinnig geworden oder geht wirklich etwas im Haus der Lady Alquist vor sich?
Warum sollte mich das interessieren?
Nicht erst aus heutiger Sicht, mit dem groben Verständnis des Begriffs „Gaslighting“, ist schnell klar, wie der Hase läuft. Das ist keineswegs eine Verfehlung des Films, sondern die klare Absicht. Gregory Anton führt etwas im Schilde und treibt seine Frau mit Manipulationen und Lügen in den Wahnsinn. So viel ist klar. Warum er dies tut, was er plant und wie weit Paulas Wahnsinn geht, wie echt dieser wirklich ist, das entwickelt sich im weiteren Verlauf. Das macht „Das Haus der Lady Alquist“ zu einem nicht so sehr unheimlichen, als vielmehr zu einem rabiaten bis hin zu brutalen Film. Gregorys Psychoterror und seine Manipulation wirken von außen betrachtet durchschaubar und sind doch ganz präzise Mechanismen. Er kreiert Sollbruchstellen im mentalen Fundament seiner Frau, um dann im entscheidenden Augenblick kurz und hart mit einem simplen Kommentar oder einer vermeintlich unschuldigen Fragen zuzuschlagen.
Von diesen Methoden geht ein Großteil der Faszination aus, doch der Film ist dennoch mehr als atmosphärisch und spannend eingefangen, mit dem klassischen Londoner Nebel, der schon so manchen Film (u.a. Hitchcocks „The Lodger“) beeinflusst hat, mit einer wunderbar verspielten Ausstattung im Inneren des Hauses und mit stimmungsvollem Lichtdesign. Die Ausstattung erhielt verdientermaßen einen Oscar, wie auch Ingrid Bergman (ihren ersten von insgesamt dreien) als Hauptdarstellerin. Auch diese Auszeichnung – ungeachtet der Mitnominierten, darunter Barbara Stanwyck in „Frau ohne Gewissen“ – kommt nicht von ungefähr. Es ist eine Opferrolle, klar, aber eine komplexe und eben intensiv dargestellte. Eine Opferrolle, in der man jederzeit ein wild pochendes lebendiges Herz einer Frau schlagen hören kann, die gegen ihren schleichenden Wahnsinn und/oder gegen die Manipulation durch ihren Mann ankämpfen will.
Doch der Ehemann – insbesondere eine so einnehmende Persönlichkeit wie Gregory – hat die mentale Autorität, ist Herr über Wahrheit und Fakten. Auch das Umfeld ist wenig hilfreich. Die Köchin ist schwerhörig, kann die vermeintlichen Schritte, die Paula regelmäßig in der Nacht hört, nicht bestätigen. Und Dienstmädchen Nancy (eine blutjunge Angela Lansbury) ist gleichermaßen kess wie frech, begegnet Paula oft ablehnend. Paula ist allein, taumelt einem Abgrund entgegen, bis – eben klassisch Hollywood – ein alter Bekannter (Joseph Cotten) daherkommt, der Zweifel an der Geschichte von der psychisch instabilen Mrs. Paula Alquist Anton hat.
„Das Haus der Lady Alquist“ ist bei allen größeren Anbietern digital leih- oder kaufbar.
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