BG Kritik: „Merida – Legende der Highlands“ („Brave“)

1. Juni 2018, Christian Westhus

Der neue Pixar: Im alten Schottland: Prinzessin Merida, Tochter von König Fergus, soll mit einem der erstgeborenen Söhne der anderen Clans verheiratet werden. Weil Merida aber lieber Abenteuer erlebt und ihre Bogenschießkunst verfeinert, weigert sie sich, den Traditionen zu folgen und bringt ihr Land in Gefahr. Insbesondere gegen ihre Mutter will Merida sich abgrenzen, will nicht so enden wie sie, und greift dabei zu unheilvollen Mitteln, als sie auf eine Hexe trifft…

Merida – Legende der Highlands
(Originaltitel: Brave | USA 2012)
Regie: Mark Andrews, Brenda Chapman
US-Sprecher: Kelly Macdonald, Billy Connolly, Emma Thompson
D-Sprecher: Nora Tschirner, Bernd Rumpf, Monica Bielenstein
Kinostart Deutschland: 02. August 2012

(Diese Kritik erschien ursprünglich zum Kinostart des Films im August 2012.)

Den meisten Zuschauern ist nicht entgangen, dass „Cars 2“ im Vergleich zum sonstigen Kreativ- und Originalitätsstandard im Hause Pixar ein klarer Rückschritt war, der, so unterstellt man gerne, in erster Linie gemacht wurde, weil mehr Cars-Spielzeug verkauft wird als Spielzeug zu allen sonstigen Pixars zusammen. Als dann auch noch ein Nachfolger zu „Monster AG“ für 2013 angekündigt wurde, musste man sich unweigerlich die Haare raufen und verwundert fragen, ob die Pixar Zauberer vom rechten Weg abgekommen waren. Auch wenn „Toy Story 3“ ein echtes Highlight und war, scheinen die Zeiten von „Niemals eine Fortsetzung“ bei den Leuten mit der hüpfenden Lampe wohl vorbei. Umso erfreulicher und aufregender, dass man sich nicht nur auf alten Erfolgen ausruht und mutig neue Wege geht. „Merida – Legende der Highlands“, im Original schlicht „Brave“, ist in vielerlei Hinsicht ein Unikat. Erstmalig teilen sich zwei Regisseure einen gleichwertigen Regie-Credit, erstmalig wagt sich Pixar an ein historisches Szenario, und erstmalig steht eine weibliche Figur als Protagonistin im Zentrum der Handlung. Lange genug hat es gedauert, bis man auch beim sonst so kreativen Animationsstudio zu so einem eigentlich banal erscheinenden Schritt bereit war.

Bei Pixar ist es aber keineswegs damit getan, einfach eine Frau die Handlung führen zu lassen. „Merida“ ist mit seiner so altbekannten wie stets aktuellen Moral vom Selbstbestimmungsrecht der Frau (hier eine Prinzessin) ein erfreulich engagierter Film, der dennoch nie vergisst, eigentlich ein unterhaltsames Abenteuer im rauen Schottland zu sein. Prinzessin Merida ist dabei ein eher jungenhaftes Mädchen, würde man vermutlich sagen. Sie rauft gerne, klettert auf steile Felsen und schießt mit dem Bogen, macht am liebsten eben all das, was sich für eine Prinzessin eigentlich nicht ziemt. Ihr Vater, König Fergus, drückt gerne mal ein Auge zu, während die Mutter, ganz rollenkonform, zunächst streng und wenig liebevoll darauf bedacht ist, ihre Tochter zu ihrer Nachfolgerin zu erziehen. Wenn Merida sich weigert, einen der drei Clanssöhne zu heiraten, die, ihrerseits von ihren Vätern getriezt, um ihre Hand werben, revoltiert sie damit nicht nur gegen ihre Mutter, sondern gegen ein System alter Traditionen, in dem eine königliche Zwangsheirat dem Gemeinwohl des Landes dienen soll. Und es ist dem Script, der gelungenen Regie und der allgegenwärtigen Pixar-Sorgfalt zu verdanken, dass derartige Themen leicht und locker, niemals aufdringlich in eine weitgehend kindgerechte Handlung integriert werden können. Die Frage ist nur, wie tiefgreifend es wirklich zugeht.

© Disney / Pixar

Anders, als man vielleicht ursprünglich hätte vermuten können, ist „Merida – Legende der Highlands“ nämlich noch nicht der entscheidende Schritt Pixars hin zu einem wirklich erwachsenen Animationsfilm. Der Film ist wenn überhaupt eine Zwischenetappe, der seine jung-jugendliche Heldin auf eine Bildungsreise schickt, der Selbstbestimmung und Familiensinn gekonnt vereint und bisweilen auch nicht vor etwas düstereren und unheilvolleren Momenten zurückschreckt, der aber auch immer wieder zurück zu Slapstick und Albernheiten findet. So sind Meridas drei kleinen Brüder, eine dialogfrei Rasselbande rothaariger Unruhestifter, das personifizierte Chaos. Die drei Jungs sind ein humoristisches Highlight, weil ihre Eskapaden natürlich wirken und weil die Regie in der Regel ein gutes Händchen mit dem Timing hat. Wenn jedoch die drei Bewerber um Meridas Hand auftauchen, sackt der Film kurzzeitig auf das Humorniveau des Animationskonkurrenten Dreamworks ab. Bei den drei Jungs ist man nur auf karikiert überzeichnete Klischees aus, während die jeweiligen Väter auch nicht viel Geistreiches oder ehrlich Witziges zur Handlung beitragen. Umso besser, dass sie im gesamten Film eine untergeordnete Rolle spielen. Selbst König Fergus, der drei Meter breite König mit einer ausgeprägten Vorliebe für das Erzählen seiner Lebensgeschichte, insbesondere wie er im Kampf gegen einen berühmtberüchtigten Bären sein Bein verlor, wird zumeist zu den Nebenfiguren geschickt. Mutter und Tochter, die sich um verschiedene Lebensideale, um Lebens- und Rollenkonzeptionen streiten und dabei fast entzweien, geben in diesem Film den Ton an.

Es ist vielleicht Pixars eigenes Vergehen, die Erwartungen an neue Filme durch eine bemerkenswerte Konstanz derart in die Höhe zu schrauben. Man erwischt sich hin und wieder bei dem Gedanken, obwohl der Film eigentlich gut funktioniert, mehr zu verlangen. Wie in der zweiten Hälfte die Handlung eine dramatische Wendung nimmt, wie der Mutter-Tochter-Konflikt mit der Familien- und Landesgeschichte verknüpft und am Ende relativ vorschnell und holterdiepolter aufgelöst wird, entspricht eigentlich nicht dem Pixar Standard. Dass eine Randfigur nur dazu da ist, gewisse Handlungsmechanismen in Gang zu bringen, ist normalerweise kein Grund für Kritik, aber bei einem Pixar fragt man sich dennoch, warum man auf das so ausgetretene Motiv der Verwandlung zurückgreifen musste und warum die Lösung des Problems so offensichtlich und simpel ist. Irgendwie merkt man dann doch, dass es in der Produktion von „Merida“ nicht rund lief, dass der zuvor erwähnte doppelte Regie-Credit größere Probleme verdecken soll. Denn eigentlich wurde diese Geschichte komplett von Brenda Chapman konzipiert, die die erste alleinige Regisseurin eines Pixar-Films werden sollte. Doch Chapman und Studio-Boss John Lasseter konnten ihre Vorstellungen nicht unter einen Hut bzw. in einen Film fokussieren. Co-Regisseur Mark Andrews wurde daraufhin nicht als Chapmans Kollege, sondern als ihr Ersatz engagiert. „Bedauernswert, aber halb so wild“, heißt es mehr oder weniger von der Regisseurin, die zufrieden ist mit diesem Film. Und doch merkt man, dass entscheidende Details zu einem richtigen Pixar-Meisterwerk fehlen.

Dabei ist „Merida – Legende der Highlands“ ein betörend schöner Film, der Abenteuerlust weckt und emotional involviert, auch wenn das Tränendrücker-Kaliber eines „Toy Story 3“ nie erreicht wird. Die schottischen Landschaften sind eine Augenweide und wirken in 3D besonders gut, sei es ein Wasserfall oder eine Reihe von mystischen Steinen, die an Stonehenge erinnert. Der musikalische Pixar-Wechsel von Michael Giacchino hin zu Patrick Doyle fällt kaum störend auf, baut man musikalisch doch eher auf schottische Folklore und ein paar poppige Songs. Die Animationen sind makellos, detailreich und auf dem gewohnt hohen Niveau, das man von Pixar gewöhnt ist. Insbesondere das Menschendesign überzeugt, mit einer leicht reduzierten Überzeichnung, die dennoch nie vergisst, „Cartoon“ zu sein. Wie Meridas feuerroter Wuschelkopf durch die Wälder jagt, blauen Zauberlichtern folgend, und auf gewaltige Bären trifft, ist animations- und regietechnisch grandios gemachtes Kino, das durch die herrlich schottischen Klangfarben in den Dialogen auf zauberhafte Weise in eine andere Welt versetzt. Nur in der deutschen Synchro haben wir von den schottischen Akzenten natürlich wenig.

Fazit:
Ein guter Pixar, der sich in Ansätzen mutig und originell am Ende mit den gewohnten Pixar Qualitäten durchsetzt. Eine tolle Geschichte um ein starkes Mädchen, blendend animiert, so lustig wie aufregend und einfach gut gemachtes Kino, welches nur zu leicht herausragend sein könnte, dahinter jedoch zurückbleibt.

6,5/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

Um an dieser Diskussion teilzunehmen, registriere dich bitte im Forum:
Zur Registrierung