BG Kritik: „Things heard and seen“

2. Mai 2021, Christian Westhus

Geister-Drama mit Amanda Seyfried bei Netflix: eine junge Familie bezieht ein neues Heim. Mutter Catherine (Seyfried) und die Tochter bemerken schnell eine nicht-menschliche Präsenz, während sich Ehemann/Vater George auf Abwegen befindet.

Things heard and seen
(USA 2021)
Regie: Shan Springer Berman, Robert Pulcini
Darsteller: Amanda Seyfried, James Norton, F. Murray Abraham , Alex Neustaedter, Natalia Dyer, u.a.
Veröffentlichung Deutschland: 29. April 2021 (Netflix)

Geister, Dämonen und ähnlich ruhelose Erscheinungen sind schon so lange die dominierende Spielform des Horrorgenres, dass man vor lauter Subgenres glatt die Übersicht verlieren könnte. Das geht so weit, dass es oftmals schon ein fataler Fehler sein kann, überhaupt das Wort ‚Horror‘ in den Mund zu nehmen, ganz egal welche Sub-Umschreibung beigefügt wird. Ein solcher Fall ist zum Beispiel der neue Netflix-Film „Things heard and seen“ nach dem Roman „All Things cease to appear“ von Elizabeth Brundage. Es ist vermutlich unser Fehler, als vages Zuschauerkollektiv, dass wir Geister und das Übernatürliche fast ausschließlich im Kontext des Unheimlichen, Verstörenden und Bedrohlichen wahrnehmen. Genau hier will auch der Film ansetzen. Andererseits hat uns nicht zuletzt die Filmgeschichte nur selten echte Alternativen gegeben. So ganz auch die Regisseure Shari Springer Berman und Robert Pulcini nicht von der Erwartungshaltung los, hier und da ein wenig spuken zu müssen, auch wenn von Minute eins an ein spürbarer spirituell-philosophischer Wind weht.

Es ist zunächst eine bekannte Grundprämisse: die junge Familie zieht aus der Großstadt aufs Land und findet bald allerhand „Beweise“, dass sie im neuen Haus nicht allein sind, weigern sich jedoch, diese Realität anzunehmen. George (James Norton) und Catherine (Amanda Seyfried) Clare lernten sich beim Kunststudium kennen, sind inzwischen verheiratet und Eltern einer jungen Tochter. Sie sei die eigentliche Künstlerin, sagt er mit einem spürbaren Hauch falscher Bescheidenheit. George hat die aktive Kunst inzwischen gegen die Theorie getauscht, unterrichtet als Professor an der örtlichen Uni. Catherines aktive Kunst ruht aktuell jedoch größtenteils. Man könnte denken, es liege an ihrer Essstörung, doch vielleicht liegt es auch am Ortswechsel oder gar an George, den wir recht schnell als arroganten und selbstverliebten Egomanen kennenlernen, der – obwohl seine Ehefrau keineswegs körperlich abweisend ist – die erstbeste junge Frau der Kleinstadt („Stranger Things“ Star Natalia Dyer) direkt auf plumpste Art und Weise anbaggert. Elegant geht anders, auch was das Drehbuch betrifft.

© Netflix

In der Stadt und insbesondere im Uni-Zirkel unter der Leitung des Dekans Floyd DeBeers (F. Murray Abraham) ist der realhistorische Theosoph und Mystiker Emanuel Swedenborg äußerst beliebt. Dessen philosophischen Theorien und Vorstellungen über den Tod, Seelen und die christliche Nachwelt leiten den Film per Zitat ein, ehe uns eine chronologische Vorausschau gewisse Dinge glauben machen will. Wie passend bei all der Theorie, dass sich im schmucken Farmhaus, welches Familie Clare in ihrer neuen Heimat bezogen hat, bald schon Spirituelles regt. Und der Zuschauer ist geneigt davon auszugehen, den Verdacht des Übernatürlichen in den allermeisten Filmen dieser Art ernst zu nehmen. Catherine spricht von seltsamen Gerüchen, die Elektronik spielt verrückt, Lichtflecken zucken durch die Räume und die Tochter glaubt, jemanden gesehen zu haben. Natürlich hat das neue Heim eine lange verschwiegene tragisch-grausame Vergangenheit, die sich – oh Schreck – nun zu wiederholen scheint. Es ist klassisch und vielleicht schon zu klassisch. Nicht ungeschickt präsentiert, aber doch nicht originell genug. Dieser Eindruck bessert sich nach einer etwas überambitionierten Seance, die einen neuen Blickwinkel parat hält. So ist „Things heard and seen“ nicht länger ein lauwarmer Geisterhaushorror von der Streaming-Stange, sondern auf bestem Wege, der geisterhaften Prämisse echte Bedeutung und echte Emotionen abzugewinnen.

In den „Szenen einer Ehe“ Passagen funktionieren dann auch Seyfried und Norton besser, die sonst gegen ihre etwas einseitig angelegten Rollen anspielen müssen. Insbesondere Seyfried rückt stärker ins Zentrum, begibt sich mit ihrer Figur auf eine engagierte Suche und beginnt zu erwachen. Doch so spannend (jedoch nur bedingt unheimlich) die Ansätze in der Theorie auch sind, so schnell geht dem Film im letzten Drittel die Luft aus. Plump und überraschungsarm fügen sich die Puzzleteile zusammen, werden mit unglaubwürdiger Psychologie hochgekocht und durch mystische Symbolik eher verwässert als verstärkt. Mit wilden Vergleichen ist selten viel gewonnen, doch nur zu leicht fallen aktuelle Alternativen ein, die die Ansätze von „Things heard and seen“ konsequenter und/oder befriedigender umsetzen. So wirken die konzeptionellen und inszenatorischen Höhen von „I’m thinking of ending things“ unerreichbar, war „Relic: Dunkles Vermächtnis“ in seiner Bildsprache besser und bleibt ein „Conjuring“ (oder die meisten Filme des Conjuring-Universums) schlicht spannender.

Fazit:
Spannende und emotional reichhaltige Ansätze, die Genregrenzen überschreiten wollen, am Ende aber leider nicht überzeugend genug, weder als Ehe-Drama, noch als unheimliche Geistergeschichte.

5,5/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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