BG Kritik: „Calvary – Am Sonntag bist du tot“

9. Juni 2018, Christian Westhus

Die Handlung: Pfarrer James Lavelle (Brendan Gleeson) ist als Priester eines kleinen, irischen Küstendorfs tätig. Eines Tages verkündet ein Mann im Beichtstuhl, dass er plant Vater Lavelle zu töten. Dieser hat schon eine Idee, wer der Unbekannte im Beichtstuhl gewesen sein könnte, doch Lavelle will dem Ursprung dieses Wunsches auf den Grund gehen.

Am Sonntag bist du tot
(Originaltitel: Calvary | Irland, UK 2014)
Regie: John Michael McDonagh
Darsteller: Brendan Gleeson, Kelly Reilly, Chris O’Dowd, Isaach De Bankolé, Dylan Moran u.a.
Kinostart Deutschland: 23. Oktober 2014

(Diese Kritik erschien ursprünglich zum Kinostart des Films im Oktober 2014.)

„Am Sonntag bist du tot“ ist der zweite Spielfilm von John Michael McDonagh. Als Regisseur der schwarzen Komödie „The Guard“ (ebenfalls mit Brendan Gleeson) und als Bruder von „Brügge sehen und sterben“ Regisseur Martin McDonagh schleicht sich schon früh in der Karriere eine gewisse Erwartungshaltung ein. „Am Sonntag bist du tot“ ist ein McDonagh Film; mit der gelegentlich auftretenden humorvollen Provokation aus „The Guard“ und der melancholischen Schwere aus „Brügge…“. Und doch ist es ein ganz und gar anderer Film, dessen thematische Ernsthaftigkeit auch schnell auf Ablehnung stoßen kann.

Am Sonntag, am Strand. Dann soll es passieren, sagt der potentielle Mörder. Und Vater Lavelle ist gewillt, seinem Mörder zu begegnen, ihm in die Augen zu blicken und zu ergründen, wie es zu diesem Entschluss kommen konnte. Eine Woche hat James Zeit, die verschiedenen Kandidaten seiner Gemeinde zu treffen, sie zu beobachten und zu versuchen herauszufinden, ob sein Verdacht der Wahrheit entspricht. Ein Krimi ist dies aber auch nicht. „Calvary“ lautet der Originaltitel des Films. Calvary ist im Englischen ein anderer Name für Golgatha (oder Golgotha), einem Ort außerhalb von Jerusalem, an dem Jesus Christus laut biblischer Überlieferung gekreuzigt wurde. Das macht Vater Lavelle zu einer Art Jesusfigur, bewegt er sich auf seinem Kreuzweg doch unbeirrt vorwärts, die Möglichkeit seines eigenen Todes akzeptierend. Er ist ein guter Priester, im Dorf gemocht und respektiert. Auch sein potentieller Mörder sieht das nicht anders. Lavelle soll sterben, da er unschuldig ist. Sein Tod soll vorherige Sünden ausmerzen.

Lavelle ist eine ungewöhnliche Jesusfigur, denn er ist ein ungewöhnlicher Priester. Erst nach dem Tod seiner Frau entschied er sich fürs katholische Priesteramt und leitet mit unkonventionellen Methoden eine kleine Kirche in der ländlichen irischen Provinz. Er spricht auch mal direkt aus, was er denkt, hat einen klugen, modernen Blick auf Mechanismen, die Lügen und Eigenheiten des zeitgenössischen Menschen und ist auch mal in der Kneipe anzutreffen. Und Lavelle hat als katholischer Priester eine Tochter. Fiona Lavelle (Kelly Reilly) kehrt nach einem Selbstmordversuch in ihre Heimat zurück, um die Wunden zu lecken und Abstand zu gewinnen.

© Ascot Elite

Die Bewohner des Dorfes sind urige Figuren, mit ihren ganz eigenen Wunden, die sie verbergen oder provozierend hervorzeigen. Eine Frau lebt ihren Ehebruch öffentlich aus und trägt die Reaktionen ihres Mannes im Gesicht, eine frisch gewordene Witwe fühlt sich zu Lavelle im Gebet verbunden, ein reicher Geschäftsmann hat jegliches Gefühl für einen Sinn an Geld, Freude und Leben verloren, und dann fackelt jemand die Kirche ab, als vermeintliches Symbol der Ablehnung gegen eben diese. Mit einem beinahe ent-institutionalisierten Glauben, der häufig eher moderner Selbsthilfe gleicht, begegnet Vater Lavelle seinen Schäfchen. Für Brendan Gleeson ist es erneut eine starke Rolle, die perfekt auf seinen Typ zugeschnitten ist. Als sanfter Bär von einem Mann, der eigene Wunden und negative Emotionen nicht immer vollständig verbergen kann, fasziniert Gleeson als sehr direkter Kumpel-Priester, der auf eine Reaktionen seines Henkers wartet.

Vor der wunderschönen Kulisse der irländische Provinz, die, genau wie ihre Bewohner, Alter, Sanftmut und Rauheit in der Landschaft spürbar macht, entwickelt sich ein faszinierender Blick auf das zentrale Thema von Sünde und Vergebung. Die Nebenhandlungen sind nicht immer zufriedenstellend eingebracht, wirken zuweilen überflüssig. Doch wenn dann nach einer aufwühlenden Woche wieder Sonntag ist, findet sich der Film. Hier kommt die Ernsthaftigkeit, mit der John Michael McDonagh seine religiösen und moralischen Themen anpackt, zur vollen Entfaltung. Wir sehen angewandte Religion, losgelöst von der Kirche, und erhalten ein Gespür dafür wie schwer es ist, wie emotional auslaugend es ist, nachsichtig zu sein, zu vergeben und sich nicht dem Zorn hinzugeben. Der Mittelteil des Films mag ein wenig abgelenkt wirken, doch das faszinierend vielschichtige Ende bleibt lange haften.

Fazit:
Faszinierendes Drama über Schuld und Vergebung. Toll gespielt und vor malerischer Kulisse eingefangen, hat der Film nur vereinzelt die Elemente, die John Michael McDonaghs Vorgängerfilm „The Guard“ zu einem kleinen Hit machten. Wer keine reine schwarze Komödie erwartet und thematisch aufgeschlossen ist, sollte einen Blick riskieren.

7/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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