BG Kritik: „Marie Antoinette“ (Treasure Monday)

12. Juni 2019, Christian Westhus

Auf ihren Welterfolg „Lost in Translation“ ließ Regisseurin Sofia Coppola diesen Film folgen: Die junge Maria Antonia (Kirsten Dunst) aus Österreich wird mit dem französischen Thronfolger Louis Auguste (Jason Schwartzman) vermählt. Als Marie Antoinette soll sie irgendwann an der Seite ihres Mannes Königin von Frankreich werden und weitere Thronfolger zur Welt bringen. An der Politik darf Antoinette nicht teilnehmen und Ehemann Louis Auguste ziert sich in Bettangelegenheiten, also flüchtet sich die junge Frau in einen Luxus aus Kleidern, Schuhen und Kuchen.

Marie Antoinette
(USA, Frankreich, Japan 2006)
Regie: Sofia Coppola
Darsteller: Kirsten Dunst, Jason Schwartzman, Rose Byrne, Steve Coogan u.a.
Kinostart Deutschland: 02. November 2006

(Diese Kritik erschien im Rahmen der Kritikenreihe Treasure Monday, ursprünglich veröffentlicht im Oktober 2014.)

Auf ihren Oscargewinn für das Drehbuch von „Lost in Translation“ ließ Sofia Coppola diesen bisher teuersten Film ihrer Karriere folgen. Was nach außen wie kritikerfreundliche Prestige-Kost wirkte, wurde naserümpfend als selbstverliebter und oberflächlicher Modewerbespot beschrieben. Auch die irrsinnigen Anschuldigungen, Coppola habe ihren Erfolg nur ihrem Vater, dem großen Francis Ford Coppola, zu verdanken, erreichten einen vorläufigen Höhepunkt. Einmal mehr wurde nicht erkannt, was die Filmemacherin hier überhaupt bezweckte. Das sollte sich in Zukunft noch wiederholen.

Noch bevor die Filmhandlung beginnt, während uns die Eröffnungstitel pink auf schwarz die Beteiligten mitteilen, zeigt uns Coppola einen kleinen Ausschnitt ihrer Marie Antoinette. Die spätere Königin von Frankreich liegt entspannt auf einem Sofa, während ihr eine Dienerin neue Designerschuhe an die Füße steckt. Gelangweilt genießend lässt Marie Antoinette ihren Arm kreisen und streift mit dem Finger beiläufig an einer Torte entlang. Als sie sich die Fingerspitze Torte ableckt, blickt Marie Antoinette einmal kess grinsend zu uns auf, schaut uns für eine Sekunde direkt an, als wollte sie sagen „Na und?“ Die Torte ist natürlich kein Zufall. Die österreichische Königin Frankreichs ist in erster Linie für einen einzigen Spruch (und für ihren Tod) bekannt. „Lasst sie Kuchen essen“, soll sie angeblich gesagt haben, als sie von Hungersnöten im Land aufgeklärt wurde. Und Sofia Coppola greift dieses historische Stück Gossip-Popkultur auf und entzaubert es, noch ehe wir uns richtig in ihrem Film befinden. Wir glauben zu wissen, wie der Hase läuft. Sowohl mit Ihrer Hoheit der Königin, wie auch mit Filmen über historische Berühmtheiten.

Coppola erforscht das Individuum Maria Antonia in der Rolle Marie Antoinette. Eine Rolle, die keinen Platz für das Individuum zulässt. Als symbolische Verbindung und als Stütze dieser wird die junge Frau, eigentlich noch ein Kind, mit Frankreich vermählt. Sie ist nicht Maria Antonia, sie ist ein Stück Österreich, das den Frieden beider Länder als neue Tochter Frankreichs repräsentieren soll. In einer rituellen Zeremonie legt sie sämtliche Besitztümer aus Österreich ab und tritt am anderen Ende eines Zeltes in neuer Gestalt als Dauphine Frankreichs hervor, um ihrem zukünftigen Gemahl vorgestellt zu werden. Am Hof von Versailles angekommen muss sie Menschen begrüßen, freundlich Lächeln, mal eine Verbeugung machen. Zum Essen und Ankleiden braucht sie größtenteils keinen eigenen Handgriff mehr erledigen. Überall gibt es Diener und halbadlige Gehilfen, die ihr jeden einzelnen Schritt abnehmen. Es geht von einem Ritual zur nächsten Zeremonie, vom ersten Empfang zur Hochzeit und schließlich zur Hochzeitsnacht ins Bett, das zunächst noch von einer Vielzahl Beobachter umlagert wird.

© Sony Pictures

Marie Antoinette hat am Hof eine einzige Aufgabe. Sie muss einen Erben, einen Dauphin auf die Welt bringen. Der Frieden und die Allianz zwischen Österreich und Frankreich hat nur dann Bestand, wenn die Ehe zwischen Marie Antoinette und Louis Auguste eine Zukunft in Form von Nachkommen hat. Doch Louis ist schüchtern, desinteressiert und vermutlich asexuell. Doch Louis, als erster Thronfolger, erfolgreicher Jagdreiter und eben als Mann, braucht den Tratsch am Hofe nicht zu fürchten. Es ist die einzige Lebensaufgabe dieses jungen österreichischen Dings, einen Thronfolger zu gebären, also liegt der Fehler – so die öffentliche Auffassung nach zahlreichen Ehe-Monaten ohne Kind – bei ihr. Coppola zeigt ein junges Mädchen, das zwar nicht in eine fremde Welt gesteckt wird, wohl aber in eine unpersönliche neue Käfigwelt mit neuen Regeln und Anforderungen. Am politischen Geschehen hat sie keine Teilhabe und da man von ihr nur verlangt ein Kind zu bekommen, entwickelt sie auch kein Interesse für das politische Leben Frankreichs und für die bald anstehende Unterstützung der Amerikaner in ihrer Revolution. Marie Antoinette ist ein Kind, ein Teenager, geboren in eine absurd verschwenderische Welt, in der ihre eigene verschwenderische Lust nach Luxus und Unterhaltung wohl außergewöhnliche Dimensionen annimmt, jedoch keineswegs neu ist.

Es ist auffällig, wie Coppola ihre Szenen arrangiert und aufeinander abstimmt. Als ein befreundetes Paar am Hofe das erste Kind bekommt, stapft Marie Antoinette durch die endlosen Flure, durch die abertausend bombastisch ausgestatteten Zimmer, bis ins Schlafzimmer. Hier kann sie allein sein und in einem ersten echten emotionalen Anfall weinen. Auf diese Szene lässt Coppola eine Shopping Montage folgen. Marie Antoinette und ihre Freundinnen essen Törtchen, während sie Schuhe, Kleider und Kopfschmuck anprobieren und sich fragen, ob diese Schärpe in pink oder weiß besser aussieht. Milena Canoneros oscarprämierten Kostüme sind aber auch gigantisch. Für Antoinette, die bei ihrer standesgemäßen Zweckerfüllung auf ihren lustlosen Ehemann angewiesen ist, ist der Luxus eine Form der Frustbewältigung und des Ausbruchs. Ein tatsächlicher Ausbruch auf einen Maskenball zeigt keine vergnügungssüchtige verwöhnte „Tussi“, sondern eine junge Frau, die etwas erleben und einfach nur leben will, die ihr davongleitendes Selbst greifen und begreifen will. Kirsten Dunst spielt sie mit einer Zurückhaltung und gleichzeitig mit einer Ausdruckskraft, die beeindruckt.

Unterlegt mit großartig passender moderner Musik, zeigt Coppola Marie Antoinette als Opfer höfischer Oberflächlichkeit. Als Repräsentantin eines Länderbündnis ist sie auf der Suche nach etwas Eigenem, nach einem Verständnis ihrer Identität. Doch diese junge Frau ist eben auch eine Jugendliche, die, einmal in schöne Kleider gesteckt, Gefallen am Luxus und an dieser Maskerade durch Luxusprobleme hat. Vielleicht war es ein Fehler dieser jungen Frau, Mademoiselle Dubarry (Asia Argento), die Mätresse des Königs, zu schneiden, statt in ihr eine mögliche Verbündete zu sehen. Doch die Jugend macht Fehler, die Jugend lässt sich von Langeweile und Faulheit einlullen, noch dazu wenn man sie in einem quasi-symbolischen Akt auf ein separates Anwesen abseits von Versailles abschiebt, nachdem das erste Kind geboren ist. Kein Wunder, dass eine junge Frau, die mehr sein will, als ein Symbol, nicht tatenlos herumhocken will, sondern sich als Schauspielerin versucht oder eine Affäre mit einem schwedischen Soldaten anfängt. Diesen Soldaten zeigt uns Coppola als Antoinettes Tagtraum. Die Königin blickt aus dem Fenster, weiß ihren Liebhaber im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und sieht ihn zu Pferd auf dem Schlachtfeld, der satte rote Umhang wehend im Wind. Coppola nimmt eines der berühmtesten Gemälde Napoleons – noch so ein historisches Stück Popkultur – und abstrahiert es auf Marie Antoinettes Verkörperung individueller Zufriedenheit. Mit anderen Gemälden zeigt Coppola wortlos, dass sie Kinoerzählen zweifellos beherrscht. Ihr Film ist kein historischer Lehrfilm, kein nach Filmpreisen gierendes Stück Prestigekino. Coppolas Marie Antoinette ist eine faszinierende junge Frau in ungewöhnlicher Umgebung. Eine junge Frau, die mehr ist als ein Pop-Zitat oder das Mittel zum Zweck eines Thronfolgers.

Fazit:
Missverstandene Großtat von Sofia Coppola. Ein faszinierend vielschichtiges Charakterporträt einer ebenso missverstandenen Frau, in einem visuell überbordenden und geschickt inszenierten Film.

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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