BG Kritik: „Enemy“

27. Oktober 2019, Christian Westhus

Jake Gyllenhaal in einem irren Psychothriller vom „Prisoners“ Regisseur. Uni Dozent Adam (Gyllenhaal) stößt vermeintlich zufällig auf einen drittklassigen Schauspieler (Gyllenhaal), der sein exaktes Ebenbild zu sein scheint. Adam forscht nach und nimmt Kontakt auf.

Enemy
(Kanada, Frankreich, Spanien 2013)
Regie: Denis Villeneuve
Darsteller: Jake Gyllenhaal, Sarah Gadon, Mélanie Laurent
Kinostart Deutschland: 22. Mai 2014

(Diese Kritik erschien ursprünglich zum Kinostart im Mai 2014.)

Der Film „Prisoners“ machte den kanadischen Regisseur Denis Villeneuve einer breiteren Masse bekannt. Mit Stars wie Hugh Jackman und Jake Gyllenhaal besetzt, war „Prisoners“ ein gut gemachtes, aber auch recht gewöhnliches Thrillerdrama. „Enemy“ vereint Regisseur Villeneuve erneut mit Gyllenhaal, doch da enden auch schon die Parallelen. Dieser Film ist ein gänzlich anderes Ungetüm. Drehbuchautor Javier Gullón adaptiert mit einigen Freiheiten den Roman des portugiesischen Literaturnobelpreisträgers José Saramago. In den Händen von Denis Villeneuve wird so einer dieser Filme, von denen man im Vorfeld möglichst wenig wissen sollte, obwohl man selbst nach der Sichtung nicht ganz sicher sein kann, was überhaupt passiert ist. Das Doppelgänger Motiv ist in Literatur und Film weit verbreitet. Die „Lösungen“, woher die doppelte Person kommt, sind in den meisten Fällen unter ähnlichen Kategorien einzuordnen. Zwillinge, Klone oder Einbildungen, vielleicht auch zwei Aspekte gleichzeitig, aber immerzu sind sie metaphorische Sinnbilder.

Als Kanadier, der einen mysteriösen Doppelgänger Film dreht, muss sich Villeneuve zwangsläufig mit David Cronenberg vergleichen lassen. Nicht zuletzt weil Villeneuve Cronenbergs aktuelle Quasi-Muse Sarah Gadon als Ehefrau des zweiten Gyllenhaals besetzt. Doch mehr noch als Cronenberg beschwört Villeneuve das Kino eines David Lynch herauf. Isabella Rossellini, die in Lynchs „Blue Velvet“ die Hauptrolle spielte und mit dem Filmemacher einige Zeit liiert war, spielt die kritische Mutter Gyllenhaals in einem kurzen Gastauftritt, der ganz gezielt als Meta-Hommage an den Meister gedacht zu sein scheint. Villeneuve zeigt, woher er seine Ideen hat. Von Lynch kann Villeneuve aber auch noch ein bisschen was lernen, obgleich er und sein Kameramann Nicolas Bolduc Toronto ganz im Sinne Lynchs einfangen, mit einem abstrakten Score und den vollverglasten Hochausfronten als bizarre Monstren ins Bild gerückt. Toronto wird zur Steppe der Konformität, getaucht in ein kränkliches Bernstein-Gelb. Hier fristet Uni-Dozent Adam sein eintönig routiniertes Alltagsleben, gepfercht in ein stickiges anonymes Apartment.

© Capelight

Wenn Adam also seinen Doppelgänger findet, nach und nach dessen Leben erkundet, als wäre es eine Alternative, eine weitere Möglichkeit, wie auch sein Leben hätte verlaufen können, bricht er aus dieser Alltagsanonymität aus. Jake Gyllenhaal gelingt es, zwei separate, glaubwürdige und zumeist – wenn von Villeneuve gewollt – unterscheidbare Figuren zu kreieren, die bald neugierig umeinander tanzen. Der Eine neugierig, verwirrt, schüchtern, der Andere aufgeregt, energetisch, aufbrausend, als wäre der Doppelgänger keine Alternative, sondern ein Ausweg oder ein Konkurrent. Gyllenhaal schafft es hervorragend, innere Prozesse anzudeuten und die beiden Figuren lebendig wirken zu lassen. Zu dieser Spiegelung und Doppelung gehören auch die beiden Frauen. Sarah Gadon als schwangere Ehefrau und „Inglourious Basterds“ Star Mélanie Laurent als lose Freundin/Geliebte.

Mit einem gemäßigten Erzähltempo, einem teilweise abstrakten Schnitt, aufdringlicher Symbolsprache und der jederzeit unheilschwangeren Atmosphäre macht Villeneuve deutlich, dass er es ernst meint. Er meint es so ernst, dass die betonte Ernsthaftigkeit mitunter ein wenig albern gerät. Dann aber wieder lockt er mit Meta-Humor, denn das Humorpotential muss jedem am Set bewusst gewesen sein, wenn Rossellini ausgerechnet „Brokeback Mountain“ Star Jake Gyllenhaal rät, sich nicht mit fremden Männern im Hotel zu treffen. „Enemy“ ist ein Film über männlichen Frust, männliche Lust und männliche Sehnsucht. Die zwei Gyllenhaals suchen nach neuer Erfüllung in Job, Liebe und Alltag. So erzählt „Enemy“ weniger eine Geschichte, als dass uns der Film einlädt in eine Traum- und Metapher-Welt. Hier gibt es keinen Showdown im eigentlichen Sinne, sondern eine bis zum abrupten Schluss abstrakt präsentierte Jonglage mit Themen und Ideen, die Gyllenhaal als gedoppelter Protagonist durchmacht und demonstriert. Die unvergessliche, verblüffende und auf geschickte Weise unheimliche Schlussszene gibt schließlich den Startschuss zum Rätselraten. Nun haben wir alle Puzzleteile beisammen, aber was genau haben wir da gerade gesehen? „Enemy“ ist mehr als nur brotlose „pseudo“ Verwirrung. Villeneuves Ideen sind klar ersichtlich, doch manchmal ist er bis zur Grenze der unfreiwilligen Komik verspielt, macht es sich und damit dem Zuschauer nicht immer einfach, der Brotkrumenspur zu folgen.

Fazit:
Langsam, abstrakt und bewusst bedeutsam erzähltes Thrillermysterium mit Doppelgänger Motiv. Atmosphärisch dicht, wenn auch manchmal ein wenig gewollt und verkopft. Inhaltlich und thematisch dennoch lohnend, nicht zuletzt wegen Jake Gyllenhaal und einem außergewöhnlichen Schlussbild.
7,5/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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