BG Kritik: „American Graffiti“

3. August 2019, Christian Westhus

George Lucas noch vor Star Wars: Sie sind mit der High School fertig, planen den Wechsel ans College, zum Militär oder in den Beruf. Die Jugendlichen einer kalifornischen Kleinstadt haben eine letzte Nacht vor sich, ehe sie einen neuen Lebensabschnitt beginnen.

American Graffiti
(USA 1973)
Regie: George Lucas
Darsteller: Ron Howard, Richard Dreyfuss, Paul Le Mat, Charles Martin Smith, u.a.
Kinostart Deutschland: 23. August 1974

Ein Film voller Nostalgie, aus einer Zeit, in der George Lucas noch Hektoliter Herzblut in seine Filme fließen ließ.

George Lucas ist zu einem Schimpfwort oder zumindest zu einem negativ besetzten Begriff für Filmemacher geworden. Bevor M. Night Shyamalan sein ganz eigenes Symbol des Niedergangs wurde, verglich man seinen Karriereabstieg mit George Lucas. Peter Jacksons inhaltlich aufgeblasenen und mit Computereffekten überladenen „Hobbit“ Filme ließen einige Kritiker von der „Lucas-ifizierung“ von Jacksons Karriere sprechen. Es ist erstaunlich, wie stark der Erschaffer des vielleicht größten Popkultur Phänomens aller Zeiten (das wäre übrigens „Star Wars“, nicht dieser Film) an Sympathie eingebüßt hat. Und das liegt nicht nur an schwer ruhig und zufrieden zu haltenden Fans, sondern tatsächlich an den späteren Filmen. Es ist schon schwer zu verstehen, wie derselbe Filmemacher und Autor für das süffisant-spritzige Gezanke zwischen Han Solo und Prinzessin Leia verantwortlich sein kann, und gleichzeitig einige Jahre später die unsäglichen Soap-Plattitüden zwischen Hayden Christensen und Natalie Portman verbrechen konnte. Noch wesentlich erstaunlicher wird der Fall George Lucas, schaut man sich „American Graffiti“ an.

Mit dem Erfolg seines Abschlussfilms „THX 1138“ und mit Francis Ford Coppolas frisch gegründeter Produktionsfirma American Zoetrope im Rücken, drehte Lucas 1972/73 dieses zutiefst persönliche Werk mit autobiographischen Zügen. Es ist, wenn man sich von der Coolness und Nostalgie von „Krieg der Sterne“ lösen kann, die beste Arbeit von George Lucas als Regisseur. Aus jedem einzelnen Bild, aus jeder Pore des Films fließt, nein, strömt Authentizität und Gefühl. Dies ist seine Jugend. Der Film blickt zurück auf das Jahr 1962 in der kleinen kalifornischen Stadt Modesto. Lucas ist in Modesto geboren. 1962 war er 18 Jahre alt und begann sein Studium an der University of Southern California in Los Angeles. „American Graffiti“ ist George Lucas‘ Schwanengesang an seine eigene Jugend, ein Abschied und gleichzeitig eine so nostalgische wie wehmütige Inszenierung dessen was war, was hätte sein können und was Lucas unterbewusst empfunden haben mag. 1962 saß Lucas selbst am Steuer von knatternden Autos, die wir heute als Oldtimer bezeichnen würden, und versuchte beim Cruisen Mädchen anzuflirten.

© Universal Pictures

In dieser einen Nacht, bevor am nächsten Tag Flieger und Busse bereitstehen, um die Jungs in ihre jeweilige Zukunft zu bringen, wohnen wir einem letzten jugendlichen Ritual bei. Ein Ritual, das für die Jungs alltäglich und doch essentiell wirkt. Wir folgen ganz zentral vier Jungs, vier Freunde, zwischen Mel’s Diner, ihren Autos und dem heißen Asphalt. Da wäre Steve („Rush“ und „Da Vinci Code“ Regisseur Ron Howard), der versucht, seinen Beziehungsstatus – sozusagen – mit seiner Freundin auf die sich bald ändernden Lebensumstände anzupassen. Steve verleiht seinen Schatz, sein Auto an den schüchternen Terry (Charles Martin Smith), der sich fast um Kopf und Kragen bringt, um ein Mädchen zu beeindrucken. Curt (Richard Dreyfuss) zögert noch, ob er überhaupt ans College will, und gerät ungewollt unter die Fittiche einer lokalen Straßengang. Und John (Paul Le Mat), wortkarg, cool und möchtegern-rebellisch, fährt seinen hochgeschraubten Schlitten stolz durch die Straßen, auf der Suche nach einem Duell, muss sich aber bald mit einer ungewollten Beifahrerin herumplagen.

Zehn Jahre – elf, nimmt man das Erscheinungsdatum des Films – liegen zwischen der Entstehung des Films und der porträtierten Zeit. Doch enorm viel ist passiert, nicht nur im Leben von George Lucas, sondern auch in den USA. Zwei tote Kennedys, den Vietnamkrieg und eine Mondlandung später, wirkt Lucas‘ Blick zurück fast prophetisch. Ohne den Plot explizit mit politischen Referenzen aufzuladen, umgibt den Film eine Aura der Veränderung, des Abschieds, des Verlusts. So dicht, wie die Abgase der paar Dutzend Autos, mit denen die Jugendlichen die Straßen unsicher und einander schöne Augen machen. Jedes Auto, jede Felge, jeder Scheinwerfer, die Neonschrift in Mel’s Diner, die Bedienungen dort, das Radio und ganz besonders die Musik aus über 40 teuer lizensierten Rock’n Roll Songs machen „American Graffiti“ zu einem meisterhaften Porträt eines ganz bestimmten Zeitpunkts an einem ganz bestimmten Ort. Manchmal fühlt man sich fast erschlagen, überwältigt von der Echtheit dessen, was Lucas hier bietet. Es wirkt zu spezifisch, zu persönlich. Doch für die meiste Zeit über ist „American Graffiti“ ein wunderbar emotionales, so witziges wie dramatisches Werk eines jungen Filmemachers, der wirklich noch etwas zu erzählen hatte. Die subtile Emotionalität am Morgengrauen, die sich, wie die Sonne am Horizont, zu einem gewaltigen Gefühlsball aufbläht, ist selbst ohne spätere Vergehen nur den wenigsten Regisseuren zuzutrauen.

Fazit:
Extrem authentisches, wunderbar entwickeltes und toll gespieltes Porträt einer amerikanischen Jugend in einer Nacht, die das Leben der jungen Menschen verändern wird. Wehmut und Nostalgie in George Lucas‘ persönlichsten Film.

8,5/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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