BG Kritik: „X-Men: Apocalypse“ (X-Men 6)

16. Mai 2016, Christian Mester

Ein Jahrtausende alter Mutant mit unglaublichen Kräften erwacht aus einer Starre. Sich selbst für einen Gott haltend, sucht er sich vier Helfer aus, die ihm bei der Übernahme der Weltherrschaft behilflich sein sollen. Zu diesen Auserwählten gehört der junge Magneto…

X-Men: Apocalypse (US 2016)
Regisseur: Bryan Singer
Cast: James McAvoy, Jennifer Lawrence, Oscar Isaac

Apocalypse alias En Sabar Nur gehört zu den beliebtesten und bekanntlich mächtigsten Antagonisten des X-Men Comic-Universums, weswegen es schon überraschend ist, dass er erst im achten Film der Reihe zu sehen ist. Im Film hat die Figur leider recht wenig Persönlichkeit, und das, obwohl er von Oscar Isaac (Ex Machina, Inside Llewyn Davis) gespielt wird. Hintergründe für seinen klischeehaften Pinky-and-the-Brain Plan, die übliche Weltherrschaft an sich reißen zu wollen, gibt es keine, und auch sonst hat er keine signifikanten Charaktermerkmale. Doch so blau und simpel er mit seinem an Power Rangers Gegner erinnerndem Outfit sein mag, so mächtig ist er. Singer hat es exzellent erfüllt, seine Fähigkeiten beeindruckend wirken zu lassen. Er, der die unbekümmerte Kühle des Dunkelelfen aus Thor 2 ausstrahlt, ist jedem bisherigen Mutanten weit überlegen; auch wenn Plaudereien nicht viel hergeben mögen, darf man auf seine Auseinandersetzungen gespannt sein.

Eine Schwachstelle hat der Mann mit den Kabel-Dreadlocks: er verbraucht menschliche Körper, die er nach einer Weile gegen neue auswechseln muss. Hier kommen seine „Vier Reiter der Apokalypse“ ins Spiel, denn Film-Apocalypse wählt sich stets vier Mutanten als Bodyguards aus, die ihn während eines Wechsels schützen. Zweifellos muss man hier an das 90er Remake von Die Mumie denken. Nach einem stimmungsvoll aufgezogenen Prolog im alten Ägypten sucht diese Mumie allerdings nur für sich, statt für eine Mumienbraut. Selbst das reduziert Apocalypse weiter, weswegen alle Welt auf seine Reiter blickt.

Über diese versucht Singer, der ansonsten kühlen Story Emotionen einzuhauchen. Einer der Reiter ist Magneto, der nach einer neuen tragischen Erfahrung wieder einmal der Meinung ist, dass die gewöhnliche Menschheit unterjocht werden sollte. Fassbender und McAvoy, beides natürlich starke Schauspieler, verleihen der belasteten Freundschaft der beiden erneut Bewegendes, doch es bleibt nicht zu übersehen, dass sich Abläufe wiederholen. Die Story versucht zwar, Magneto ein weiteres Mal glaubhaft zu verletzen, und lässt ihn sogar seine KZ-Prologszene aus dem ersten Film von 2000 erneut vor Augen rufen, doch das hatten wir längst. In X-Men: Erste Entscheidung traf er auf den KZ-Aufseher und Mörder seiner Eltern, mit dem er abrechnete, und obwohl seine neuen Momente Wirkung haben, dreht man sich im Überblick aller Filme unnötig im Kreis. Die übrigen drei Reiter sind nicht der Rede wert. Der geflügelte Angel aus X-Men 3, jetzt mit Stahlfedern, und Storm, jetzt mit Iro, haben fast nichts zu melden, und die vierte im Bunde, Olivia Munn als Psylocke, hat gerade mal drei Sätze und darf sonst nur gut aussehen.

Auf Seiten des Professors und der x-mal gesehenen „School for Gifted Youngsters“ gähnt sich eine überraschend unmotivierte Jennifer Lawrence durch ihre Szenen. Wenig glaubhaft tritt sie als Beschwichtigerin Magnetos und als idolisierte Betreuerin der nächsten Generation auf, für die ihr öffentlicher Auftritt im letzten Film eine Katniss-hafte Inspiration war. Der Flash-artige Quicksilver ist zwar wieder dabei und begeistert mit zwei weiteren spektakulären Super-Zeitlupenszenen, doch die jung neu besetzten Jean Grey (Sansa aus Game of Thrones), Cyclops und Nightcrawler sind allenfalls passabel und können den etablierten Rollen nichts ungesehenes entlocken. Singer wirft zwar ständig Cameos und Verweise auf die alten Filme und der Beziehungen der Figuren zueinander ein, die schmunzeln lassen und dezent daran erinnern, dass die Filmreihe schon seit 16 stolzen Jahren läuft – selbst der ungeliebte erste Wolverine Solofilm wird durch einen Cameo des Blobs registriert – doch er verpasst es, daraus eigenständige neue Kapitel zu machen. Jennifer Lawrence konnte in den letzten beiden Filmen genug aus ihrer Version der Mystique machen, die Neulinge kriegen das allerdings nicht hin. Am meisten versuchen sie es noch mit der selbstbewusst wirkenden, aber tief verängstigten Jean Grey, doch die Vermutung liegt nahe, dass Sophie Turner (noch) nicht über das nötige Schauspielvermögen verfügt, um dies wirken zu lassen. Der Unterschied zu McAvoy, Fassbender und Lawrence ist unübersehbar.

Actiontechnisch ist der neue X-Men relativ eigensinnig geraten. Wenn es zur Sache geht, passiert eine Menge. Im Kontrast zum lachhaft limitiert wirkenden Showdown aus X-Men 3 ist der achte Teil fast schon von Roland Emmerich Ausmaßen inspiriert, und obgleich die Auseinandersetzungen charakterlich belanglos bleiben, ist Singers Actionregie stets hervorragend übersichtlich, toll auf 3D ausgelegt und in ihrer Choreografie unterhaltsam. Manch einem kann der Film womöglich zu langsam vorkommen, denn obgleich Apocalypse die Welt vernichten will, geschieht es lange Zeit im Schneckentempo. Dennoch ist es schwer zu glauben, dass man als Fan der Reihe mit dem fraglos bislang besten Schlusskampf der gesamten Reihe unzufrieden sein könnte.

Fazit:
Ein x-beliebiges Sequel? Nach dem gänzlich chaotisch wirkenden Zeitreise-/Dystopie-Quatsch „Zukunft ist Vergangenheit“ fährt man im neuen Teil einfacher, doch eventuell zu einfach. Es ist ein Film, der an seinen emotionalen Ambitionen story- und castbedingt scheitert und sich zu sehr auf interne Wiederholungen ausruht. Fraglos ein kompetent inszenierter, kurzweilig unterhaltsamer Film mit respektablem Comicbuch-Feeling, der seiner Reihe qualitativ würdig ist und einen Batman V Superman locker in den Boden stampft, leicht aber auch denkwürdiger hätte sein können.

6/10

Autor: Christian Mester

Dieser Filmenthusiast (*1982) liebt es, manchmal auch mit Blödsinn, Leute für Filme zu begeistern. Hat BG im Jahr 2004 gegründet und ist dann für Pressevorstellungen, Interviews und Premieren viel rumgereist, hat als Redakteur u.a. für GameStar geschrieben, war dann mal Projektleiter in einer Werbeagentur mit Schwerpunkt dt, Kinostarts und - schaut gerad vermutlich schon wieder was.

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