Treasure Tuesday Spezialkritik: Raus aus Amal
Gemeinsam neue Filme entdecken. Zum Beispiel einen der ausgewählten Schätze, die wir wöchentlich beim Treasure Tuesday vorstellen. Vergessene Filme, unterschätzte Filme, alte Filme, fremdsprachige Filme. Filme, die sich lohnen, auch wenn gerade nicht die halbe Welt über sie spricht. Heute widmen wir uns einem Mini-(Mini!)Klassiker des Coming-of-Age Films: der schwedische Raus aus Åmål von 1998.
Raus aus Åmål
(Originaltitel: Fucking Åmål | Schweden, Dänemark 1998)
Regie: Lukas Moodysson
Darsteller: Rebecka Liljeberg, Alexandra Dahlström
Was ist das für ein Film?
Das Spielfilmdebüt des Schweden Lukas Moodysson ist inzwischen zu einem Miniklassiker des Jugendfilms geworden. Spricht man in den richtigen Kreisen über Coming-of-Age Filme, findet man garantiert schnell jemanden, der „einen Film wie ‚Raus aus Åmål‘“ sucht oder vielleicht sogar gesehen hat. In den richtigen Kreisen ist dieser Film zu einem festen Begriff und Vergleichspunkt geworden, doch wie so oft: diese richtigen Kreise sind noch zu klein.
Agnes und Elin sind Teenager und besuchen dieselbe Schule in der schwedischen Kleinstadt Åmål. Während Elin hübsch, beliebt und energiegeladen ist, daher die provinzielle Ödnis so schnell wie möglich verlassen will, ist Agnes eine stille Außenseiterin, oft allein, ohne Freunde und zudem heimlich in Elin verliebt. Eine dumme Wette treibt die Mädchen zu einem ersten Kuss und irgendwie auch dazu, vermehrt Zeit miteinander zu verbringen. Doch der Druck ihrer Umwelt und (falsche?) Instinkte treiben Elin auch in die Arme von Johan und Agnes damit tiefer in die Einsamkeit.
Warum sollte mich das interessieren?
Coming-of-Age und Jugendfilme sind eine ungemein komplizierte und persönliche Angelegenheit. So wie eben die eigene Jugend und das eigene Erwachsenwerden auch. Kommt ein Film dann noch aus einem anderen Land, einer anderen Kultur und hat ein paar Jahre auf dem Buckel, wird es noch einmal schwieriger, ein modernes Jugendpublikum zu erreichen. Es kann keine Universallösung geben, wie man einen idealen Film dieser Art machen sollte. „Raus aus Åmål“, ein schwedischer Film entstanden Ende der 90er, mit minimalem Budget ausgestattet und präsentiert in beinahe Home Video Optik, kann womöglich eine gewisse Herausforderung für deutsche Teenager im Jahre 2020 sein.
Idealerweise verwandelt das Gefühl von Authentizität und Echtheit, also emotionaler Ehrlichkeit, einen durchschnittlichen Jugendfilm in einen wer-weiß-wie-großen Genreklassiker, der Generations- und Kulturgrenzen überschreiten kann. Doch Regisseur und Autor Lukas Moodysson kann hier unmöglich aus der eigenen Erfahrung schöpfen, kann unmöglich autobiographische Authentizität einfügen, wenn es hier doch um die schwierige erste Liebe zwischen zwei jungen Mädchen geht. Und doch – obwohl auch diese Einschätzung wie immer subjektiv bleibt – wirkt dieser Film echt, authentisch und unvoreingenommen real. Das liegt an der visuellen Herangehensweise, an den authentischen Gesichtern und Darstellern, aber auch am geschickten Script. „Raus aus Åmål“ ist ein augenscheinlich simpler Film, der sich nicht zu viel zumuten kann und will, wenn es um die Tragweite von Jugenderfahrungen geht. Es ist die erste Liebe und diese ist kompliziert verwurzelt und verhangen in den typischen Unebenheiten der Adoleszenz. Diese geschickt dramatisierte Einfachheit wird zum Trumpf für diesen Film.
Aber warum eigentlich „Raus aus Åmål“? Was hat diese Kleinstadt mit all dem zu tun? „Fucking Åmål“ lautet der Originaltitel, im Sinne von „Scheiß Åmål“ oder „dieses elendige Drecksloch Åmål“. Beide Mädchen lehnen die verschlossene und unbewegliche Kleingeistigkeit ihrer dörflichen Heimatstadt aus unterschiedlichen Gründen ab. Die hip-rebellische Elin und die schüchterne Außenseiterin Agnes, deren verwirrende und lange Zeit nicht ausgesprochene Zuneigung zu Elin das Hauptmotiv des Films bildet, finden nicht nur eine gewisse Sympathie für einander, sondern trotz ihrer so gegensätzlichen Persönlichkeiten auch eine intensive Gemeinsamkeit. Diese Auseinandersetzung mit der Heimat und dem eigenen Leben ist das unverkrampfte Schleifchen für diese naturalistische Jugendromanze. Und wie Moodysson diese Beobachtungen durch die ungeschliffene Effektivität seiner beiden wunderbaren Hauptdarstellerinnen zu einem wirkungsvollen Ende führt, ist mindestens einen Blick wert. Und sei es nur, um sich selbst ein Bild zu machen, ob und wenn ja wie man sich in diesem Jugendfilm wiederfindet.
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