BG Kritik: „Chappie“

13. September 2015, Christian Mester

In der nahen Zukunft werden im afrikanischen Johannesburg Polizeiroboter mit einfachen Befehlsroutinen eingesetzt. Als Entwickler Deon eine bahnbrechende neue KI in einem der Bots ausprobiert, wird dieser zum ersten künstlichen Lebewesen mit eigenständigem Bewusstsein. Dann gerät die Maschine jedoch in die Hände von chaotischen Gangstern, die ihn als Komplizen für einen großen Bruch brauchen…

Chappie (US 2015)
Regisseur: Neill Blomkamp
Cast: Sharlto Copley, Ninja, Yo-Landi, Hugh Jackman

Kaum ein Filmemacher stürzte so schnell im Fan-Ansehen wie der Afrikaner und zukünftige Alien 5 Regisseur Neill Blomkamp. Nachdem er fast die Game-Verfilmung Halo gedreht hätte, erlangte sein erster Film District 9 eine Oscar-Nominierung für den besten Film des Jahres. Ein neuer Sci-Fi Gott schien geboren. Als er kurz danach jedoch den Actioner Elysium mit Matt Damon nachlegte, war die Fangunst schon wieder futsch. Obwohl der Film stattlich gemacht war und solide Action hatte, nahmen ihm viele krumm, dass er seine Arm gegen Reich Sozialkritik einfallslos plump kommunizierte und vieles im Film furchtbar vorhersehbar ausfiel.

Oh, oh, seinem Drittwerk Chappie droht jetzt noch stärkere Kritik. Es geht um einen Roboter, der überdurchschnittlich intelligent und niedlich ist. Das gab‘s so schon mal mit Nummer Fünf lebt in den 80ern, doch Chappie macht es sich ungemein schwieriger. Zum einen steckt er seinen Nummer Fünf ins Kabuff der höchst kontroversen White Trash Rapper Die Antwoord, die den meisten gar nicht zusagen werden. Zum anderen hat er wieder die selbe Roboter- und Slums-Optik wie bei seinen beiden Vorgängerfilmen, die schon bei Elysium als ideenlos kritisiert wurde. Und dann ist da die schwammige Tatsache, dass der reichlich kindisch agierende Chappie einige blutigere Situationen erlebt, die ihn als Kinderfilm schnell disqualifizieren. Zielgruppe: niemand?

Bringt man gesunde Neugier mit, belohnt Blomkamps neuer mit ungeahnten Stärken. Die größte ist Chappie selbst. Absolut beeindruckend umgesetzt als CGI-Geschöpf, hat man rundum das Gefühl, Chappie sei real und agiere direkt vor Ort mit den Darstellern. Sein Design ist komisch, aber aufgrund beweglicher Hasenohren und einiger anderer Teile mehr als ausdrucksstark genug. Und das müssen sie, denn Chappie macht einen emotionalen Wandel durch. Sein Erbauer Deon füttert ihn mit Vertrauen und Mut, seine Gangstereltern dagegen mit Zusammengehörigkeitsgefühl, Gangster-Etiquette und der brutalen Realität der Slumswelt. Chappie bleibt dabei jede Sekunde faszinierend; das auch, weil er oft genug unberechenbar ist und man nicht weiß, wie er auf die nächste Situation reagieren wird. Wer die Gangsterrapper-Attitüde für kindisch hält, fühlt sich vielleicht darin gerettet, dass Chappie sich nur so lange so verhält wie er geistig in Jugendlichenjahren steckt. Die erwachsene Reife des Roboters aus I, Robot erlangt er nicht, aber die Evolution dahin ist mehr als absehbar.

Einen Teil der menschlichen Seite bilden Die Antwoord. Die schwer zu durchschauenden Künstler, die sich als authentisch verkaufen und im Alleingang eine südafrikanische White Trash Straßenkultur namens Zef kultiviert haben, insgeheim aber ein Kunstprojekt sind, das Gangster-Rap bloß parodiert (wobei die Grenzen mittlerweile verschmiert scheinen), schlagen sich überraschend gut. Sie sind nicht dicaprioesk und spielen vielleicht nicht die sympathischsten oder hellsten Figuren, sorgen aber für eine Bandbreite emotional unterschiedlicher Szenen, womit sie wirkungsvoller als Figuren anderer Filme werden. Kurios ist, dass sie sich selbst spielen: sie heißen wie ihre Kunstfiguren Ninja und Yo-Landi, tragen Die Antwoord Shirts, hören Die Antwoord Musik und sprayen Die Antwoord-Graffiti an Wände. Auf der anderen Seite steht Dev Patel aus Slumdog Millionär als junger Tüftler, der Hugh Jackman auf den Schlips tritt. Jackman will einen Kampfroboter namens Elch etablieren und fühlt sich vom Erfolg des jungen Kollegen zurückgehalten, weswegen er ihn zunehmend drangsaliert. Die Story wechselt immer wieder zwischen Chappie, der Antwoord und Deon, und alle drei Handlungen sind unterhaltsam, insbesondere im fulminanten Ende, wenn alle aufeinander treffen.

Auf dem deutschen Poster mag Chappie mit einem Gewehr abgebildet sein, doch Action nimmt nur einen kleinen Teil des Films ein. Wenn, kracht es aber ganz ordentlich, insbesondere wenn Hugh Jackman nach Real Steel schon wieder Roboter kontrolliert und den Hasenohrenbot mit dem Hundefutternamen ausradieren will. Chappie ist kein Actionfilm, sondern ein Charakterdrama mit einigen Actionaspekten. Er lebt von der Faszination am künstlichen Wesen. Faszinierend ist, wie Chappie zahlreiche menschliche Aspekte durchläuft, von kindlicher Naivität, Verzweiflung, Vernunft, Rache bis hin zur Empathie. Das ist nicht immer subtil, wird aber besser verpackt als in Elysium. Chappies Schwachstellen liegen hauptsächlich in der Handlung. Schon als gegen Hälfte des Films die ersten Polizeiroboter vermeintliche Fehlfunktionen bekommen, müsste das gesamte Konzept der Roboterzukunft gesellschaftlich gekillt sein. Jackmans Figur bleibt unlogisch, da sein Vorschlag viel zu übertrieben ist. Spätestens mit den konzeptionellen Ähnlichkeiten seines Elchs zu Robocops ED209, der ebenfalls übertrieben war und sich auch gegen eine humanoide, kleinere und vor allem menschlichere Figur zur Wehr setzen musste, fällt zudem auf, dass Chappie nicht der originellste Film ist. Überhaupt wiederholt sich Blomkamp selbst. Die Bots sehen aus wie die aus Elysium, und der Elch-Showdown erinnert nicht nur zufällig an den Kampfroboter aus District 9. Shared Universe sind seine Filme nicht, aber was im ersten Film noch interessant und neuartig wirkte, lässt beim dritten Mal ziemliche Tim Burton Kringelerscheinungen aufkommen.

Relativ haarig wird es als es um Chappie’s Seele geht. Von ‘Geburt‘ an hat er einen Batterieschaden und kann nur fünf Tage leben. Als vermeintliche Software- und Datensammlung müsste man ihn einfach auf Festplatte sichern und sogar Kopien von ihm anfertigen können, aber dann heißt es aus heiterem Himmel, Chappie sei mehr als Computerdaten und deswegen gehe das nicht. Ohne zu spoilen, aber im Verlauf der Handlung widerspricht sich der Film sehr, was das betrifft, geht darüber hinaus und ergibt wenig Sinn. Moralischen Totalschaden gibt’s, was die ungenaue Aussage des Films betrifft. Der böse Jackman will, dass Roboter weiterhin nur Werkzeuge sind und die Verantwortung beim Menschen liegt. Er traut Maschinen nicht. Blomkamp selbst mag es darum gehen, dass eine hochintelligente Maschine irgendwann selbst Rechte und Entscheidungsfreiheiten bekommen sollte, aber er übersieht, dass der Film mehrfach klar zeigt, dass Jackman Recht hat. Wenn es etwas Gruseligeres als autonom agierende Polizeiroboter gibt, die Türen auftreten und Häuser räumen, dann von Terroristen übernommene Polizeiroboter. Chappie ist sympathisch und ein Opfer seiner Einflüsse, aber die immense Gefahr, die von ihm ausgeht, trübt das Unterstützungsgefühl.

Fazit:

Bei der Macht von Grayskull: Sofern man damit zurechtkommen kann, dass Die Antwoord Hauptrollen spielen und Blomkamp nicht so recht weiß, was er moralisch aussagen will und man sich an seiner Sci-Fi Optik noch nicht müde gesehen hat, ist Chappie gute Unterhaltung. Faszinierende Hauptfigur. gute Regie, solide Action und ein überraschend zurückhaltender Hans Zimmer Score übersprayen Chappies ärgste Schwächen.
7 / 10

Autor: Christian Mester

Dieser Filmenthusiast (*1982) liebt es, manchmal auch mit Blödsinn, Leute für Filme zu begeistern. Hat BG im Jahr 2004 gegründet und ist dann für Pressevorstellungen, Interviews und Premieren viel rumgereist, hat als Redakteur u.a. für GameStar geschrieben, war dann mal Projektleiter in einer Werbeagentur mit Schwerpunkt dt, Kinostarts und - schaut gerad vermutlich schon wieder was.

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