Treasure Tuesday Spezialkritik: Die Puppe (1919)

14. Januar 2020, Christian Westhus

Beim Treasure Tuesday stellen wir filmische Schätze vor, eben „treasures“. Filme, die vergessen wurden, nie den ganz großen Durchbruch hatten, zu alt oder zu fremdsprachig sind, um im vielfältigen Angebot unserer Tage herauszuragen. Auch zu Großvaters Zeiten gab es schon sehenswerte Filme, wie es auch in anderen Ländern sehenswerte Filme gibt. Den Anfang dieser Kritikenreihe macht ein früher Film des legendären Ernst Lubitsch, „Die Puppe“ von 1919.

Universum Film

Die Puppe (Deutschland/Weimarer Republik 1919)
Regie: Ernst Lubitsch
Darsteller: Hermann Thimig, Ossi Oswalda, Victor Janson

Was ist das für ein Film?
Ein Frühwerk des legendären Ernst Lubitsch, wenige Jahre vor seiner Auswanderung in die USA, frei nach der Operette von Edmond Audran, die wiederum Motive von E.T.A. Hoffmann verwendet, die Jahre später auch vom britischen Genie-Duo Powell/Pressburger in „Hoffmans Erzählungen“ aufgegriffen wurden. So weit, so theoretisch und so trocken. Das ändert sich, wirft man einen genaueren Blick auf die Handlung: in einer vage historischen Märchenwelt versucht ein Baron, seine Nachfolge und das Bestehen des Throns zu regeln. Sein Neffe, der einzige männliche Blutsverwandte, soll heiraten und irgendwann seinen Platz einnehmen. So lässt der Baron alle heiratswilligen (Jung-)Frauen der Region zusammentrommeln, um eine Braut zu finden. Doch dieser Sohn, Lancelot, ist geistig noch Kind, hat kein Interesse an Heirat und am ernsten höfischen Leben. Also flüchtet Lancelot; erst ins Kloster und dann zu Erfinder Hilarius (ja, der heißt Hilarius), der lebensechte Roboter bauen kann. Lancelot entscheidet sich für einen Roboter, der Hilarius‘ Tochter Ossi (Ossi Oswalda) nachempfunden ist. Lieber eine Maschine an seiner Seite, denkt sich Lancelot, als wirklich zu heiraten. Eine echte Frau? Um Gottes Willen! Gottes Wille in der Tat, denn Anstifter dieser Idee sind die Klosterbrüder, die durch ihr verschwenderisch maßloses Leben fast bankrott sind und Lancelot einen Deal aufhalsen: Eine Roboterfrau heiraten, das gewaltige Erbe kassieren und dann hedonistisch genießen mit den Brüdern im Kloster.

Durch einen dummen Unfall wird der Roboter allerdings beschädigt und so gibt sich die echte Ossi als ihr Roboter-Ebenbild aus und begleitet Lancelot. Und die kecke Ossi weiß ihr Schauspiel als Maschine bald sehr geschickt und gewitzt zu steuern. Sie verhält sich wie eine mechanische Aufziehpuppe, wenn sie dem Baron und dem Gefolge als Lancelots Auserwählte vorgestellt wird, macht sich aber auch einen Spaß daraus, einen etwas dümmlichen Spruch oder eine aufdringliche Hand verspielt-frech abzuweisen.
Es ist lauer Schabernack, eine überdreht irreale komödiantische Zerstreuung. So viel wird von der ersten Minute an klar. Der Film beginnt mit Lubitsch höchstpersönlich. Aus einer verzierten Kiste holt er eine kleine Spielzeugbühne aus Holz und Pappmaché, ergänzt Bäume, Horizont und kleine Figuren, die nach einem Schnitt lebendig werden, wenn wir die märchenhafte Spielzeugwelt der Filmhandlung betreten. Sonne und Mond sind lachende Gesichter, Utensilien an der Wand einer Küche sind nur aufgemalt und zwei Pferde sind ganz offensichtlich Menschen in grob vernähten Pferdekostümen. So wie diese Welt eine kaum versteckte Illusion aus Papier, Stoff und Farbe ist, so geben sich auch Drehbuch und Inszenierung ungehemmt und bühnenhaft. „Die Puppe“ ist mitunter klamaukiger Unsinn, dessen inhärente Unlogik gleichermaßen magisch wie absurd ist. Lubitschs Figuren ziehen wilde Fratzen, Gesten sind überhöht und immer wieder verirren sich Figuren in albern-turbulente Abschweifungen, die streng genommen keinen Sinn erfüllen.

Universum Film

Warum sollte mich das interessieren?
Stummfilme können Spaß machen. Das mag auf jeden Zuschauer unterschiedlich stark zutreffen, doch je älter Filme im Vergleich zur eigenen Gegenwart sind, desto weniger leicht mag man sich ihnen nähern. Schwarzweißfilme sind oftmals schon ein Hindernis, von Stummfilmen ganz zu schweigen. Wenn nicht ein Genre-Einschlag wie bei „Metropolis“ oder „Nosferatu“ anhängt, wenn nicht zeitlose Giganten wie Charlie Chaplin und Buster Keaton ihre unsterblichen Szenen auf der Leinwand vorführen, hat der Stummfilm oftmals ein Image als schwer nahbar, trocken und öde. Ein Stummfilm ist, so die häufige Vermutung, einfach nicht mehr zeitgemäß. Einen derart alten Film zu schauen, der die vermeintlichen Einschränkungen in Bild und fehlendem Ton bewältigen musste, fühlt sich oftmals eher wie filmhistorische Pflichtarbeit an, nur selten wie lockere Unterhaltung.

Natürlich ist auch „Die Puppe“ ein Opfer seiner Entstehungszeit und kommt mit so manch historischer Einschränkung daher. Und doch ist dieser gezielt artifizielle Klamauk nicht wirklich aus der Zeit gefallen, sondern wahrlich zeitlos. Wenn überhaupt kann und darf man mit modernen Augen und Ohren darüber diskutieren, ob es chauvinistischer Unsinn ist, wenn Erfinder Hilarius Lancelot rät, seine Roboter-Frau „alle Woche zweimal zu ölen“, oder ob Ossis beherzten Reaktionen schon etwas Progressives aus der Sicht von 1919 hatten. Oder man wirft einen Blick auf die Darstellung der Klosterbrüder, die die katholische Kirche damals derart erbost hatte, dass laut und deutlich tadelte. Grundsätzlich aber überwiegt der Spaß und der kommt fast komplett über Ossi Oswaldas Mimik und Gestik. In einer überdrehten Handlung, die kaum 70 Minuten Spielzeit in Anspruch nimmt, wirkt jede Szene, in der Ossi nicht auftritt, wie verschenkte Zeit. Die Slapstick-Abschweifungen u.a. von Hilarius und seinem tolldreisten Assistenten können mit dem komödiantischen Kernstück des Films nicht mithalten und fühlen sich an wie Bremsklötze. Doch sie bleiben Ausnahmen und können nicht verhindern, dass „Die Puppe“ ein höchst amüsanter Sonderfall der deutschen Stummfilm-Ära ist. Wer die erwähnten „Klassiker“ bereits kennt, kann sich über diesen lockerleichten Lubitsch-Film tiefer in die Materie vorwagen und einfach mal unterhalten lassen.

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Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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