BG Kritik: „The Woman in the Window“

18. Mai 2021, Christian Westhus

Psychothriller nach Romanvorlage mit Amy Adams, Gary Oldman und Julianne Moore. Eine Frau beobachtet durch ihr Fenster einen Mord, doch die Dinge sind nicht so, wie sie zunächst scheinen. „The Woman in the Window“, inszeniert von „Wer ist Hanna“ Regisseur Joe Wright, jetzt bei Netflix.

The Woman in the Window
(USA 2021)
Regie: Joe Wright
Darsteller: Amy Adams, Gary Oldman, Julianne Moore, Jennifer Jason Leigh, Fred Hechinger, Wyatt Russell, u.a.
Veröffentlichung Deutschland: 14. Mai 2021 (Netflix)

Keine voreiligen Schlüsse ziehen. Ursprünglich sollte „The Woman in the Window“ 2019 erscheinen, galt als neue Oscar-Hoffnung für Amy Adams, die auf Leonardo DiCaprios Spuren in Sachen „wann kriegt sie endlich einen Preis“ wandelte. Nach suboptimalen Testvorführungen gab es für den Film jedoch erst einmal Nachdrehs. Dann kam die Übernahme von Fox durch Disney, dann kam Corona. Soll heißen: es war bisher kein einfacher Weg für diesen Film, doch nun ist es endlich soweit. Auf Netflix. Auch dort gilt es weiterhin, nicht vorschnell zu urteilen. Und dennoch wurde aus einer Tendenz eine Ahnung, die sich mit Erscheinen des Films nun leider bestätigt. „The Woman in the Window“ ist kein großer Wurf.

Basierend auf dem Bestseller von A.J. Finn (das Autorpseudonym von Daniel Mallory) wandeln wir ein wenig auf Spuren von „Gone Girl“ – zumindest glauben wir das. Ein vermeintlich subversiver Stoff im Trash-/Pulp-Gewand mit einer komplex bis komplizierten weiblichen Hauptfigur, einem großen Geheimnis, größeren Twists und basierend auf einem Erfolgsroman. Im Zentrum steht Anna Fox (Amy Adams), eigentlich Kindertherapeutin, die zurzeit aber selbst einen Therapeuten braucht, denn sie leidet unter Agoraphobie. Anna kann ihre mehretagige New Yorker Wohlstandswohnung nicht verlassen, bekommt Panikanfälle, wenn sie sich nur der Tür nähert. Ihre Ehe hat das bereits ruiniert, wie es scheint, lebt Anna doch von ihrem Mann und ihrer jungen Tochter getrennt. Dann ziehen im Haus gegenüber neue Leute ein; der eigentümliche, aber sympathische Sohn (Fred Hechinger) und die kesse Mutter (Julianne Moore) stellen sich vor, der aufbrausende Vater (Gary Oldman) fällt auf, bis sich eines Nachts ein Mord ereignet – und Anna ist Zeugin. Sie hat gesehen, wie die Mutter ermordet wurde. Der Haken? Als die Polizei vor Ort ist, stellt Oldman, der mutmaßliche Täter, seine Frau vor, quicklebendig und nun gespielt von Jennifer Jason Leigh.

© Netflix / 20th Century Studios

Es ist ein so simples wie unwiderstehliches Rätsel: wer ist die echte Mrs. Russell? Wie funktioniert der angebliche Rollentausch? Und wer wurde wirklich ermordet? Diese Fragen nehmen durch Anna Fox als unzuverlässige Protagonistin bzw. Zeugin ganz neue und eigene Gestalt an, denn mit ihrer aufgewühlten Psyche und den vielen Medikamenten muss man Annas Darlegung mit Skepsis begegnen. Eine Person, die ihre Wohnung nicht verlassen kann, glaubt, durchs Fenster einen Mord in der Nachbarschaft gesehen zu haben. Das klingt vertraut. So vertraut, dass der Film schon während der Eröffnungstitel einen klaren Verweis auf Hitchcocks „Das Fenster zum Hof“ hinterlässt, um früh jeglichen Kopie-Anschuldigungen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch auch einen weiteren Hitchcock-Film bekommen wir präsentiert: „Spellbound – Ich kämpfe um dich“ (1945), den Psychothriller mit der berühmten Salvador Dali Traumsequenzen mit den Augen und den Scheren. Der Verweis macht angesichts von Annas Zustand reichlich Sinn und gibt Regisseur Wright die Erlaubnis für erzählerische Freiheiten und visuelle Spielereien.

Joe Wright ist kein gewöhnlicher Regisseur, wie ein Blick auf „Abbitte“, „Wer ist Hanna“ oder insbesondere „Anna Karenina“ sofort verrät. Doch Wright hatte in den letzten Jahren ein wenig Pech, auch wenn „Die dunkelste Stunde“, der geradlinigste Film seiner Karriere, ein kleiner Erfolg war. „The Woman in the Window“ ist keineswegs langweilig inszeniert, ist kein austauschbarer Thriller von der Stange. Im Gegenteil, sind manche Sequenzen doch beinahe überinszeniert, mit auffälligen Kamerabewegungen und einem Flair, den es eigentlich gar nicht braucht. Joe Wright scheint mit sich selbst nicht ganz im Reinen zu sein, was genau er hier inszenieren will oder soll, in welche Richtung die Reise geht. Statt die dramatischen Möglichkeiten des zentralen Rätsels auszukosten, setzt das Script vom langjährigen Bühnenautor Tracy Letts (hier in einer Nebenrolle) eher auf das Psychogramm seiner Hauptfigur. Für Wright heißt das, aus Annas Unsicherheit schrillen Paranoia-Wahn zu machen, was wiederum für die bemühte, aber auch hilflose Amy Adams heißt, von einem Extrem ins nächste zu eiern. So ist der Film für lange Zeit weniger spannend als vielmehr nervig und zehrend, mit umständlich gestreuten Twists und Offenbarung, die nicht unbedingt sofort durchschaubar sind, aber auch nicht den Boden unter den Füßen wegziehen. Statt Aha-Momenten haben wir es regelmäßig mit „Natürlich, wie sollte es auch sonst sein“ Momenten zu tun.

Wenn zum Finale dann scheinbar alle Karten auf dem Tisch liegen, beginnt der Film seinen Sturzflug in echte Trash-Gefilde, wird zu einem überkandidelten Chaos. Ein Chaos, welches in seiner Über- und Durchgedrehtheit spannend oder zumindest unterhaltsam sein könnte, würden alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Doch zum Finale wird aus der Uneinigkeit zwischen Regie, Script und Darstellern ein echtes Problem, welches jegliche Aussicht auf Rettung zunichtemacht. Statt eine harmonische Richtung einzuschlagen, wird der Film zu einem konfusen und teils unfreiwillig komischen Durcheinander. Die eine Seite will das ernsthafte psychologische Drama, eine andere Seite den packenden Psychothriller, wiederum eine andere Seite versucht sich an einem Pulp-Spaß. Oder anders formuliert: „The Woman in the Window“ bzw. Joe Wright können sich nie entscheiden, ob sie Hitchcock, David Fincher oder Brian De Palma sein wollen. Statt eines neuen „Gone Girl“ haben wir hier im besten Falle also einen neuen „The Girl on the Train“.

Fazit:
Schrill und überzeichnet, in seiner Ausrichtung widersprüchlich. „The Woman in the Window“ hätte spannend, emotional oder unterhaltsam sein können, bleibt aber in erster Linie frustrierend.

4,5/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

Um an dieser Diskussion teilzunehmen, registriere dich bitte im Forum:
Zur Registrierung