BG Kritik: „The Unforgivable“ auf Netflix

16. Dezember 2021, Christian Mester

Sandra Bullock war schon länger nicht mehr zu sehen, meldet sich nun aber mit einem starken Drama zurück, das auch auf Oscarfang gehen könnte. Wir haben uns das Unverzeihliche einmal angesehen.

Regie: Nora Fingscheidt
Besetzung: Sandra Bullock, Jon Bernthal, Vincent D’Onofrio, Viola Davis

Ruth (Sandra Bullock) sieht schlimm aus – kein Wunder, kommt sie doch gerade nach 20 Jahren Gefängnis wieder frei. Die Jahre der Gefangenschaft und der täglichen Behauptung gegen andere Mithäftlinge haben sie gezeichnet und abgehärtet, doch an der frischen Luft warten noch ganz andere Herausforderungen. So muss sie sich in einem Frauenhaus das Zimmer mit vielen anderen teilen, wird bei der Jobsuche überall abgewimmelt und lernt recht schnell, dass ihr kaum einer eine Chance geben will.

© Netflix – Trailer Screenshot https://youtu.be/PHaff851W20

Was sie all die Jahre motiviert hat, weiter zu machen, ist der unaufhaltsame Glaube an ihre Schwester – die sie juristisch gesehen jedoch eigentlich nicht aufsuchen darf.

Wie man erfährt, hat Ruth damals im Affekt einen Polizisten erschossen, als dieser zusammen mit anderen dafür sorgen wollte, dass sie und ihre kleine Schwester aufgrund fehlender Eltern in ein Heim gesteckt werden. Während Ruth hinter schwedische Gardinen wanderte, wuchs die kleine Katie indes bei reichen Eltern auf, die ihr jedoch nie erzählt haben, was damals passiert ist – oder dass sie überhaupt eine Schwester hat.

Über weite Teile ist der Film der deutschen Fingscheidt (die zuvor den gefeierten „Systemsprenger“ gemacht hat) ein einfühlsames Drama a la „Nomadland“, in dem Bullock als gebrochene Seele brillieren darf. Glaubhaft und oscar-würdig spielt sie die zerstörte Seele, die sich nicht mehr in die Gesellschaft eingliedern kann und ständig auf neue Hindernisse stößt, dabei auf Ablehnung, Abscheu und auch Gewalt trifft. Erst in den letzten 20 Minuten schaltet der Film dann einen Gang höher und versucht etwas Thrill einzubringen, durch einen nebenbei laufenden Storyfaden samt Twist, der ihre Lage am Ende nochmal zuspitzt. Zwar gibt es keine Shootouts, aber obwohl dieses Spannungsende recht passabel ist, bleibt das Gefühl, dass es ein wenig forciert gesetzt ist, um den Film etwas lebhafter enden zu lassen. Es schadet dem größeren Ganzen jedoch nicht und bricht auch nicht mit dem Realismus der Geschichte.

Fingscheidts zweiter großer Film wirkt insgesamt einen kleinen Tacken kommerzieller als ihr gefeierter „Systemsprenger“, in dem es übrigens auch um Kinderprobleme mit dem Jugendamt ging, ist aber nicht das, was deutschen Regisseuren in Hollywood oft passiert: keine komplett verwässerte Auftragsarbeit als Feelgood-Fastfood. „The Unforgivable“ zeichnet das Leben Ruths mit jeder Menge Dreck und Schmutz und beschönigt nichts; auch gibt es hier gewiss kein weiße-Holzzaunlatten-Happy End mit Golden Retriever und Frank Sinatra im Abspann.

Ein wenig amüsant ist, dass Bullock im Film auf Viola Davis, Vincent D’Onofrio und Jon Bernthal trifft, die alle an ihre Comicrollen als Amanda Waller, Kingpin und den Punisher erinnern lassen und bemerken lassen, dass Bullock, eine der bekanntesten Schauspielerinnen überhaupt, selbst noch nicht bei DC oder Marvel vorstellig geworden ist.

Fazit:

„The Unforgivable“ mag 0815 aussehen, ist aber tiptop inszeniert und gespielt und damit wirklich einen Blick wert. Nach den eher mäßigen „Bird Box“, „Ocean’s 8“ und die „Die Wahlkämpferin“ endlich wieder ein guter Film für Bullock.

7/10

Autor: Christian Mester

Dieser Filmenthusiast (*1982) liebt es, manchmal auch mit Blödsinn, Leute für Filme zu begeistern. Hat BG im Jahr 2004 gegründet und ist dann für Pressevorstellungen, Interviews und Premieren viel rumgereist, hat als Redakteur u.a. für GameStar geschrieben, war dann mal Projektleiter in einer Werbeagentur mit Schwerpunkt dt, Kinostarts und - schaut gerad vermutlich schon wieder was.

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