BG Kritik: „Luca“ (Pixar)

23. Juni 2021, Christian Westhus

Der neue Pixar, direkt bei Disney+ gelandet: zwei Seemonster-Jungen wagen sich heimlich in die Welt der Menschen, in einer kleines intalienisches Fischerdorf, und werden im Laufe eines turbulenten Sommerabenteuers zu Freunden.

Luca
(USA 2021)
Regie: Enrico Casarosa
US-Sprecher: Jacob Tremblay, Jack Dylan Grazer, Emma Berman, Maya Rudolph, u.a.
D-Sprecher: Francisco Palma Gallisch, Oskar Hansch, Marie Düe, Ranja Bonalana, Giovanni Zarrella
Veröffentlichung Deutschland: 18. Juni 2021

Auch nach 25 Jahren ist Pixar noch immer eine Institution. Das heißt nicht so sehr, das Animationsstudio hinter Filmen wie „Toy Story“, „Findet Nemo“ und „Wall-E“ sei unfehlbar und qualitativ makellos, wohl aber, dass Pixar einige Grundprinzipien und Eigenheiten auch im großen Schatten von „Mutterkonzern“ Disney und trotz des einen oder anderen qualitativen Ausrutschers beibehalten hat. Zu diesen Grundprinzipien gehört u.a. der Wille bzw. die Bereitschaft, sich und die Zuschauer zu testen und herauszufordern, wie zuletzt „Soul“ wunderbar demonstrierte. Dazu gehört aber auch, dass man eigentlich immer irgendwie spürt, sich in einem Pixar-Film zu befinden, ohne das ausschließlich an der animationstechnischen Gestaltung festzumachen. Auf vorsichtige und fast unbemerkte Art und Weise spielt „Luca“ mit diesem Gefühl der Vertrautheit und der damit verbundenen Erwartungshaltung. „Luca“ ist das Langfilmdebüt von Enrico Casarosa, was für sich genommen schon ein bemerkenswerter Vorgang im Hause Pixar ist. Denn anders als Kollegen wie Jan Pinkava („Ratatouille“) und Ronnie del Carmen („Alles steht Kopf“), die an der Seite bekannter Pixar-Größen wie Brad Bird und Pete Docter assistierten, darf Casarosa direkt Solo ran. Sein Debüt ist dann auch – bei allem Respekt – kein notdürftig bis berechnend nachgereichtes Sequel der Marke „Cars 3“ oder „Die Monster Uni“, sondern ein originaler und sehr persönlich gefärbter Stoff, mindestens auf einer Höhe mit einem „Onward: Keine halben Sachen“.

Stilistisch bewegen wir uns wieder ein paar Schritte zurück, weg vom fortschreitenden Texturrealismus, den Pixar zunehmend verfolgt. Die Welt von „Luca“ ist klarer, runder, gesättigter, einfach „cartooniger“, ohne an Animationspracht einzubüßen. Der italienische Sommer erstrahlt in wunderbar warmen Farben und Seemonster-Junge Luca verlebt seinen zunächst eintönigen Alltag in seiner Heimat Unterwasser. Dann, angestoßen vom augenscheinlich mutigeren und kesseren Seemonster-Jungen Alberto, entdeckt Luca die Oberfläche und die Welt der Menschen. Die Jungs müssen ihre Monsteridentität geheimhalten, wollen sie doch bei einem sportlichen Wettbewerb mitmachen, um das Fahrzeug ihrer Träume zu gewinnen: eine Vespa. Dabei werden sie unterstützt von Giulia, die mit ihrem Vater, einem knorrigen Fischer, im hübschen Dorf Portorosso wohnt. Giulia weiß nichts von der wahren Herkunft ihrer beiden Begleiter, wie auch der arrogante Ercole, der Favorit beim anstehenden Wettbewerb, der der Wahrheit näher zu kommen scheint. Ob man für diesen bewusst cartoonig-überzeichneten Antagonisten in der deutschen Synchronisation unbedingt den übereifrigen Klischee-Italo-Jargon von Giovanni Zarrella braucht, sei jedem selbst überlassen. Als Figur ist Ercole nicht besonders spannend, jedoch ein dringend benötigter Mechanismus zur Zuspitzung. Eine Zuspitzung, durch Gegenspieler Ercole und durch den Wettbewerb, die jedoch immerzu dazu dient, die Freundschaft und Verbindung zwischen Luca und Alberto zu intensivieren.

© Disney / Pixar

Man hörte es schon im Vorfeld im Blätterwald rauschen und braucht sich selbst beim Blick nur auf den Trailer nicht lange zu fragen, woher der Wind weht. Die Möglichkeit, in „Luca“ eine früh-jugendliche Freundschaft auf der Schwelle zur vorsichtig homosexuell gefärbten Romanze zu erkennen, liegt auf der Hand. So etwas sollte einem Studio wie Pixar im Jahre 2021 nicht zuletzt auch einfach zuzutrauen sein. Die große Freundschaft zweier Jungen während eines Sommers in Italien; fast wirkt „Luca“ wie die Antwort auf die implizierte Forderung von „Call me by your Name“. Gerade weil dieser eine magische Sommer Luca nicht nur mit Seemonster-Junge Alberto bekanntmacht, sondern auch mit Menschen-Mädchen Giulia, wird diese Lesart relevant und interessant. Es ist auffällig, so meint man jedenfalls, wie Lucas Verbindung zu Alberto emotionalisiert wird, während sie zu Giulia rationalisiert wird. Das heißt nicht, dass eine Seite kälter behandelt wird als die andere, entwickelt „Luca“ als Film doch insbesondere aus dem Trio erst seine entscheidende Dramatik für das Schlussdrittel. Doch auf der einen Seite steht eine Verbindung gefußt auf gemeinsamen Zielen und Interessen, vergleichbaren Persönlichkeitsansätzen, und auf der anderen Seite steht etwas unausgesprochen Emotionales, eine schwer greif- und begreifbare Verbindung und Zuneigung, die einfach nur da ist.

Natürlich könnte man sich wünschen (und sollte man vielleicht auch), Pixar würde diese leicht lesbaren, aber keineswegs unumstößlichen Ansätze zum Finale hin konkretisieren, um ein lange überfälliges Zeichen zu setzen. Doch am Ende zeigt sich die verspielte und unbemerkt-hintersinnige Art dieses Films. Gerade weil ein Pixar-typischer Kniff und Twist am Ende ausbleibt, weil diese Geschichte lediglich (ein „nur“ im besten Sinne) von einer märchenhaft-übersinnlich gefärbten Sommerfreundschaft berichtet, bleibt das Gesehene facettenreich und spannend. Anders als andere Filme mit einer ähnlich gelagerten Ausrichtung, z.B. Ghiblis „Erinnerungen an Marnie“ oder auch ein „Captain Marvel“, wo die finale Auflösung so mancher Lesart einen Strich durch die Rechnung macht, bleibt „Luca“ vielseitig, ohne dabei schwammig zu werden. Ob romantisches Erwachen oder intensive Freundschaft, „Luca“ meistert diesen Spagat erstaunlich gut und ist dabei in erster Linie ein so unterhaltsamer wie emotionaler Sommerausflug auf gutem Pixar-Niveau.

Fazit:
Schön anzusehen, turbulent unterhaltsam, witzig und in den richtigen Momenten bewegend. „Luca“ wird wohl nicht zu den ganz großen Pixar-Meisterwerken gehören, ist aber ohne Frage mindestens eine Sichtung wert.

7/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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