BG Kritik: Top Gun Maverick

31. Mai 2022, Christian Mester

Wer hätte gedacht, dass ein neuer Top Gun 36 Jahre nach seinem Erstling gut oder gar gewinnbringend werden könnte? Zum Zeitpunkt dieser Kritik , dh eine Woche nach Veröffentlichung, ist es schon jetzt einer der erfolgreichsten Filme des Jahres – und wird er auch einer der erfolgreichsten von Tom Cruise überhaupt werden. Aber wie konnte das passieren?

Der erste Top Gun erschien 1986 während der Reagan-Ära, in der viele militärbezogene Filme veröffentlicht wurden. Titel wie Good Morning Vietnam mit Robin Williams, Full Metal Jacket, Geboren am 4. Juli (auch mit Cruise) oder Die Verdammten des Krieges mit Michael J Fox kritisierten das Kriegsgeschehen, doch dann gab es auch noch Filme wie Red Dawn, Rambo 2+3, Iron Eagle 1+2 oder halt auch Top Gun: Sie fürchten weder Tod noch Teufel, die das ganze eher romantisierten und Krieg in einem positiveren Licht zeigten. Natürlich klagt Rambo in 2 und 3 das Vorgehen der US-Regierung an, so wie er es deutlich emotionaler im ersten Film machte, doch nach diesen Filmen wollte jeder mit Stirnband und Sprengbogen im Dschungel kämpfen, das Land zusammen mit Charlie Sheen und Patrick Swayze gegen einfallende Invasoren verteidigen, oder zusammen mit Tom Cruise Kampfjets fliegen, weil es der Film als Riesengaudi verkaufte.

Top Gun zeichnete Kampfpiloten wie Cruises Pete Mitchell als durchtrainierte, überselbstbewusste Alleskönner, die einen Heidenspaß an ihrer Arbeit haben und den ganzen Tag lang nur Motorrad fahren, Jets fliegen, in Bars singen, Volleyball spielen, spießigen Vorgesetzten auf den Keks gehen und nie gefeuert werden können, weil man schlichtweg zu gut ist. Und gerade der damals junge Tom Cruise war für diese Rolle prädestiniert und absolut glaubhaft, was sich auch in seiner späteren Karriere genau so weiter zementieren sollte. Ein weiteres wichtiges Element war die Kameraderie. Zum einen feierte Top Gun das Zusammenhalten zwischen Freunden wie Mitchell und Kollege Goose (gespielt von E.R. Doktor Greene Anthony Edwards), andererseits aber auch den ständigen schulhaften oder sportartigen Wettbewerb zwischen gleicherseits talentierten Assen, hier in Form von Iceman Kazansky (Val Kilmer).

36 Jahre später sieht die Welt ein klein wenig anders aus und Pro-Militärfilme sind eine Seltenheit geworden. Selbst Rambo hatte sich in seinem letzten Auftritt gegen ein Drogenkartell gerichtet und den Fokus nicht mehr länger auf Weltpolitik gelegt. Und dann fliegt dieser von niemanden erwartete zweite Top Gun ins Bild, der es exakt so macht wie im Original.

Tatsächlich ist der Film dem ersten so ähnlich, dass es mit minimalen Änderungen ein Remake sein könnte. Die Storypunkte sind ausgesprochen ähnlich, es werden die gleichen Orte besucht, die gleiche Musik läuft (u.a. das fantastische Highway to the Dangerzone) die jungen Kadetten sind denen des ersten Films absolut identisch, mit Miles Teller (spielt Gooses Sohn) als neuen Draufgänger und Glen Powell als shit-eating-grinsenden Val Kilmer Ersatz. Einziger Unterschied ist, dass der alte Cruise nach wie vor die Hauptrolle hat und mit seinen fast 60 natürlich der weltbeste Kampfpilot ever ist. Der Film erklärt mit viel Ausrede, wieso er für den Hauptteil des Films nach wie vor Top Gun Pilot ist und noch immer an vorderster Front mitfliegt, obwohl er längst als hochdekorierter General in irgendeiner Kommandozentrale sitzen müsste.

Die Flugszenen sind schlichtweg großartig, und die Tatsache, dass Cruise darauf bestanden hat, dass die gesamte Fliegerbesetzung in echten Kampfjets unter Extrembedingungen fliegt und gefilmt wird, verleiht dem Film eine mitreißende Authentizität, die CGI Actionszenen wie in Stealth mit Jessica Biel oder Roland Emmerichs Midway niemals liefern können. Auch wird die Fliegeraction aufgrund von Abwechslung und spannender Inszenierung nie müde, sodass das ganze Finale eine Wucht bleibt, obwohl man bis dahin schon über 2 Stunden mit Kampfjets gesehen hat.

Darstellerisch ist der Film durch die Bank weg gut, vor allem Jon Hamm als augenrollender Vorgesetzter, und dass man sogar den schwer kranken Val Kilmer integrieren konnte, ist eine weitere herzliche Umarmung des ersten Teils. Cruise selbst ist in den ersten zwei Dritteln des Films recht stumpf, stoisch und einsilbig, wird gegen Ende hin lebhafter. Nichtsdestotrotz demonstriert er einmal mehr, wieso er einer der größten Filmstars des Planeten ist, durch sein schieres Charisma und seiner immer glaubhaften Alleskönnerattitüde, die erstaunlicherweise nie arrogant zu wirken scheint.
Geerdet wird das ganze durch kleinere Nachdenklichkeiten. Zum einen besteht Konfliktpotenzial, da Gooses Sohn Mitchell vorwirft, am Tod seines Vaters Mitschuld zu haben und überdies seine eigene Militärkarriere erschwert zu haben, zum anderen droht der Zahn der Zeit, und Mitchell und seine ganze Art stehen vor dem Aussterben. Zwar spielen Drohnen und automatische Jets im Film keine wirkliche Rolle, doch es zieht diesbezüglich bereits ein dunkler Horizont auf, der Menschen in Kampfjets überflüssig machen wird.

Und was den Kriegsaspekt betrifft? Kann man mit einem neuen vermeintlichen Pro-Kriegsfilm Spaß haben, während einige hundert Kilometer gen Osten tatsächlicher Krieg stattfindet? Der neue Film macht es sich einfach, indem er das genaue Zielgebiet einer Urananlage gar nicht weiter definiert. Es geht also gegen ein unbekanntes Land, wodurch das ganze eher Videogame Charakter bekommt. Es wird auch kein einziger gegnerischer Soldat in Nahaufnahme gezeigt, was es noch leichter macht zu vergessen, dass auch diese Menschen sind. Es könnten auch Bots auf einer Battlefield-Karte sein. Wie auch schon der erste Teil interessiert sich Top Gun: Maverick kein bisschen dafür, Kriegsgeschehen zu beleuchten oder zu kritisieren, und das kann ok sein, wenn man die Realität mal für 2,5 Stunden aus den Augen verlieren möchte.

Fazit:
Wenn man den ersten mag, wird man den zweiten lieben. Gespickt mit detailverliebter Nostalgie, gefüllt mit mitreißenden Fliegeractionszenen, greift Top Gun 2 Story und Charaktere des ersten Teils gekonnt auf und adressiert sowohl Kenner des Originals wie auch Neulinge mit einem grandiosen Actionfilm.

8/10

Autor: Christian Mester

Dieser Filmenthusiast (*1982) liebt es, manchmal auch mit Blödsinn, Leute für Filme zu begeistern. Hat BG im Jahr 2004 gegründet und ist dann für Pressevorstellungen, Interviews und Premieren viel rumgereist, hat als Redakteur u.a. für GameStar geschrieben, war dann mal Projektleiter in einer Werbeagentur mit Schwerpunkt dt, Kinostarts und - schaut gerad vermutlich schon wieder was.

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